taz Nord: Polizei als Wiederholungstäter
Vor dem G8-Gipfel stattet die niedersächsische Polizei Globalisierungskritikern Hausbesuche ab, um vor der Fahrt nach Heiligendamm zu warnen. Das OVG Lüneburg hat die Polizei schon einmal wegen Gefährderansprachen gerüffelt
Globalisierungskritiker aus Niedersachsen bekommen dieser Tage Besuch von der Polizei. Drei Wochen vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm sucht die Polizei G8-Gegner zu Hause auf, die in der Vergangenheit als “gewalttätig” aufgefallen sind. Beim persönlichen Gespräch würden sie vor einer Reise nach Heiligendamm gewarnt, sagte Michael Knaps, Sprecher des Innenministeriums in Hannover.
Wie viele Menschen unangemeldeten Besuch zu erwarten haben, verriet er nicht. Es gehe um eine Zahl im zweistelligen Bereich. Den Leuten werde durch die Hausbesuche “signalisiert, dass wir sie im Visier haben”.
Durch diese “Gefährderansprachen” gebärdet sich die niedersächsische Polizei allerdings selber als Wiederholungstäter. Denn sie hat schon einmal versucht, Globalisierungskritiker von Protestaktionen abzubringen, und dabei einen Rüffel des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg kassiert. Vor dem EU-Gipfel in Brüssel im Dezember 2001 hatte die Polizei Göttingen an 13 Menschen Gefährderanschreiben geschickt. Darin wies sie die Empfänger darauf hin, dass sie polizeilich bekannt seien. Um erneute polizeiliche Maßnahmen zu vermeiden, wurde ihnen “nahe gelegt”, besser zu Hause zu bleiben.
Das OVG Lüneburg aber entschied, dass solche Warnungen nicht zulässig seien: Jemandem von der Teilnahme an Demonstrationen abzuraten, greife in dessen grundgesetzlich geschützte Willensentschließungsfreiheit ein, eben dies zu tun. Zwar habe die Polizei davon ausgehen müssen, dass beim EU-Gipfel die Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen im Zuge von Demonstrationen bestand. Um in die Grundrechte einer konkreten Person einzugreifen, hätte aber aber gerade von dieser eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen müssen. Die Tatsache allein, dass jemand in der Vergangenheit bei Demonstrationen polizeilich aufgefallen ist, reiche nicht aus.
Das Innenministerium will daraus seine Lehren gezogen haben. Die Hausbesuche, erklärt Knaps, bekämen Menschen, die in den vergangenen fünf Jahren mit globalisierungskritischen Aktionen strafrechtlich aufgefallen seien - und bei denen Hinweise vorlägen, “dass sie auch diesmal nicht nur Fahnen hochhalten wollen”. Der Göttinger Rechtsanwalt Johannes Hentschel, der die Entscheidung des OVG herbeigeführt hatte, rät den jetzt Betroffenen, die Polizisten nicht reinzulassen. Eine Pflicht, die Tür zu öffnen, bestehe nicht.
[http://www.taz.de/dx/2007/05/22/a0196.1/text.ges,1]