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2007-08-29

AG Grauwacke: Eine Zwischenmeldung

Am 09.05.2007 führten Bundesanwaltschaft (GBA) und Bundeskriminalamt (BKA) eine bundesweite Grossrazzia gegen 18 Personen wegen angeblicher Gründung einer terroristischen Vereinigung namens "Militante Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel - G8 - 2007 in Heiligendamm" durch. Wie bekannt, war das politische Ergebnis dieser Aktion für die Verfolgungsbehörden ein Desaster. Aber wie sieht es mit dem juristischen und kriminalistischen Ergebnis aus? Und was sind die weiteren Folgen, auch auf politischer Ebene?

Bild: Cover

Den Kern des ganzen Ermittlungsverfahrens bildet das Buch "Autonome in Bewegung" und dessen tatsächliche oder vermeintliche Autoren, die "AG Grauwacke". Daher wollen wir uns hier gemeinsam zum Stand der Dinge äußern, obwohl wir alles andere als eine Gruppe, geschweige denn Vereinigung sind (dazu sind wir viel zu uneinig).

1. Was seit dem 09.05.2007 geschehen ist.

- Wie bekannt, gab es keine Verhaftungen bei der Razzia. Aber es wurden ED-Behandlungen durchgeführt und bei mehreren Personen gegen deren Willen DNA-Proben genommen. - In den Tagen nach dem 09. Mai wurden zahlreiche arbeitswichtigen Gegenstände, v.a. Computer und Mobiltelefone, vom BKA zurückgegeben. Der Rest lagert seit Monaten in Meckenheim beim BKA. - Am 12.05. entdeckte ein Beschuldigter an seinem Auto ein GPS-Peilgerät unbekannter Herkunft. Gegen ihn hat mittlerweile das LKA5 Berlin (Staatsschutz) ein Verfahren eingeleitet wegen "Unterschlagung eines Ortungsmoduls". - Mitte Juni übermittelte GBA einen "Aktenauszug" des Verfahrens. Dieser umfasste zwei DVDs mit insgesamt 33 Ordnern, insgesamt ca.10.000 Seiten. Soweit bekannt, handelt es sich dabei nur um ca.15% der gesamten Akten. Laut GBA sind es diese Akten, die dem BGH Ende April 2007 zur Verfügung standen, als BGH-Richter Hebenstreit die Durchsuchungsbeschlüsse ausstellte - demnach dürften sie die wesentlichen Teile des Ermittlungsverfahrens enthalten. Aber wir sind dennoch gespannt auf die restlichen 80.000 Seiten (von denen ein erheblicher Teil vermutlich Protokolle aus Telefon- und Internet-Überwachung (TKÜ) sind). - Einige Betroffene haben mit der Auswertung der Akten begonnen, was sowohl aufgrund des Umfangs als auch wegen der Form mit ziemlich viel Arbeit verbunden ist.

- Ende Juli gab es ein Treffen der unmittelbar Beschuldigten aus Berlin, Land Brandenburg, Hamburg und Bremen, um sich über den Umgang mit den Ermittlungsakten und die jeweiligen Einschätzungen zu verständigen. Ergebnis war, dass die Einschätzungen nicht sehr weit auseinanderliegen und der politische Umgang in den jeweiligen Städten (also v.a. Berlin und Hamburg) relativ autonom entschieden wird. Das lag auch deshalb nahe, weil es keine irgendwie geartete "Gruppenstruktur" zwischen den Städten gibt, die Berliner und Hamburger sind sich überwiegend noch nie vorher begegnet. Das weitere politische Vorgehen sehen wir nicht als Exklusivthema der juristisch Beschuldigten, sondern als Thema für mindestens alle Betroffenen von 129a-Repression.

2. Unsere Herangehensweise

In Berlin sind eigentlich alle übereinstimmend der Meinung, dass das Verfahren nicht zu einem Prozess führen wird, sondern eingestellt werden wird - wie so viele §129a-Verfahren. Das erlaubt eine gewisse Freiheit im Umgang mit den Akten und in politischer Hinsicht, da nicht dauernd eine mögliche juristische Prozess-Strategie mitberücksichtigt werden muss. Zwei zentrale Fragen stehen nun im Raum: Was steht in den Akten? Was ist der politische Hintergrund und die passende Antwort darauf?

Erstens: Was ist der politische Hintergrund und die passende Antwort darauf? Diese Frage kann, spätestens nach den weiteren Razzien und den Verhaftungen vom 31.07.07, nicht mehr beschränkt auf unser Ermittlungsverfahren behandelt werden. Sie betrifft die gesamte Linke, nicht nur deren radikalen Teil, und letztlich weit darüber hinaus die politische "Landschaft" in Deutschland. Wir sehen "unser" Ermittlungsverfahren nur als einen Mosaikstein in einem weit größeren, höchst unerfreulichen Gesamtkunstwerk der sogenannten Sicherheitspolitik. Wir haben dazu darüber hinausgehend keine einheitliche Meinung, daher wird es auch keine politischen Erklärungen von AG Grauwacke geben. Sondern wir werden uns je nach eigenem Bedürfnis in die politische Arbeit bzw. Debatte dazu einbringen in nächster Zeit: in der Soli-Bewegung, oder auch in der Medienarbeit.

Zweitens: Was steht in den Akten? Hier gibt es ein großes Informationsbedürfnis von vielen: Mit-Betroffenen, politisch Interessierten, Medienleuten, Freunden und Freundinnen, BürgerrechtlerInnen, PolitikerInnen... Es gibt bestimmte Inhalte der Akten, die Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit verdient haben. Das betrifft z.B. die Vorgehensweise der Verfolgungsbehörden, ihre "Textanalysen" und Schlussfolgerungen, ihre Überwachungsmaßnahmen, ihre Rundumschläge gegen allerlei linke Gruppen und Strömungen. Andere Teile der Akten sind aus persönlichen oder anderen Gründen nicht geeignet zur öffentlichen Diskussion. Immerhin geht es in den Akten nicht nur um die 18 Beschuldigten - rund 1000 Namen tauchen in den Akten auf, manche nur einmal als Randbemerkung, manche aber auch mit sensiblen Informationen, die wir nicht ohne Zustimmung der Betroffenen anderen zeigen oder mitteilen könnten. Die vielgestellte Frage "tauche auch ICH in den Akten auf?" können wir vorerst so beantworten: Wie an vielen anderen Stellen sind auch hier die Akten wie Kraut und Rüben: Wer in den letzten 15 Jahren radikale linke Politik gemacht hat , und in den Akten NICHT erwähnt wird, muss von den Schnüffelbehörden wohl irgendwie übersehen worden sein.

Dies alles zu sortieren dauert seine Zeit, zumal die 10.000 Seiten Material nicht übersichtlich geordnet sind, was bei diesem Umfang auch kaum möglich ist. Es wimmelt von Wiederholungen, es gibt einander widersprechende "Vermerke" und Vermerke, die andere Vermerke korrigieren... Auch wir selbst haben beim Lesen schon an einigen Stellen vorschnell geurteilt, uns Sachen ungenau gemerkt, wichtige Details übersehen. Wir müssen darum um etwas Geduld bitten, was eine ausführliche Auswertung angeht. Die Zusammenfassung, die im Internet bei indymedia unter Hintergründe zu den 129a-Verfahren zu finden ist, gibt einen guten ersten Überblick über das Ermittlungs(wahn-)system des BKA. Bis es soweit ist, wird es einzelne Informationen geben. Betroffene werden persönliche Informationen bekommen, Soligruppen und ausgewählte Medienleute werden Details bekommen. Das geht nur über persönlichen Kontakt, der zu/von Beschuldigten (bzw. über deren Anwälte) aufgenommen wird.

[http://autox.nadir.org/buch/zwischenmeldung.html]

Source: autox.nadir.org