Der Bundesgerichtshof hat den Terrorismus-Vorwurf gegen G8-Gegner und die Militante Gruppe verworfen. In einem dritten Verfahren laufen die Ermittlungen nach Paragraf 129a jedoch weiter. von thorsten mense
Die kritische Öffentlichkeit ist beruhigt, der Rechtsstaat ist gerettet. Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) Ende Dezember entschieden hatte, dass die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen auf Grundlage des Paragrafen 129a während der bundesweiten Razzia vor dem G8-Gipfel rechtswidrig waren und von einer terroristischen Bedrohung keine Rede sein könne, scheint das Recht wieder hergestellt zu sein.
Zwar ist der Beschluss in seiner Kritik am Vorgehen der Ermittlungsbehörde überraschend deutlich, voraussichtlich wird die Zurechtweisung durch den BGH aber keinerlei personelle Konsequenzen haben, weder für Generalbundesanwältin Monika Harms noch für die beiden Ermittlungsrichter Dieter Wolst und Ulrich Hebenstreit am BGH, die die Überwachungsmaßnahmen und Durchsuchungen in den drei großen Verfahren nach Paragraf 129a gegen linke Aktivisten angeordnet hatten. Wolst ist für manche Linke ein alter Bekannter, die Durchsuchungsbeschlüsse in Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Mitglieder der Revolutionären Zellen/Rote Zora Ende der neunziger Jahre trugen seine Unterschrift ebenso wie jene bei einem groß angelegten 129a-Verfahren gegen Antifaschisten in Göttingen im Jahr 1998, das ebenfalls »mangels hinreichenden Tatverdachts« eingestellt werden musste.
Daher ist die jüngste Entscheidung des BGH über die Rechtswidrigkeit der Razzia vom Mai vorigen Jahres höchstens hinsichtlich der Deutlichkeit eine Überraschung, denn die Vorwürfe und Indizien halten weder in diesem noch den anderen beiden 129a-Verfahren einer genaueren Überprüfung stand. Bei näherer Betrachtung offenbart sich ein abenteuerliches Konstrukt, das an Absurdität kaum zu überbieten ist.
Bereits die veröffentlichten Aktenauszüge zu dem Verfahren, das gegen die mutmaßlichen Herausgeber des Buches »Autonome in Bewegung« und ihr Umfeld eingeleitet wurde (Jungle World 49/2007) und auf dem die Durchsuchungen vom Mai 2007 basierten, belegen dies. Da durch die bereits mehrere Jahre laufende Überwachung eine direkte Beteiligung der Beschuldigten an den Straftaten der »terroristischen Vereinigung« ausgeschlossen werden muss, wird ihnen stattdessen eine zentrale Rolle in der »Planung« unterstellt. Alles, was diese Personen später taten oder sagten, wurde in das Konstrukt so eingefügt, dass es zumindest für die Ermittler einen Sinn ergab. Und selbst wenn nichts zu beobachten war, galt dies als Indiz für die Täterschaft. Mehr als einmal wird in den Ermittlungsakten auffällig vorsichtiges oder unauffälliges Verhalten so interpretiert.
Ähnlich verhält es sich auch in dem 129a-Verfahren gegen mehrere Aktivisten aus dem norddeutschen Bad Oldesloe und anderen Städten, in dem die Ermittlungen des Landeskriminalamts noch andauern. Bisherige »Terrorakte« hinterließen mehrere abgebrannte Fahrzeuge , die der Bundeswehr und einer an der Rüstungsproduktion beteiligten Firma gehörten. Der Vorwurf ist auch in diesem Fall ein »absolut fadenscheiniges Konstrukt, auf das nicht einmal ansatzweise die Paragrafen 129 oder 129a anwendbar sind«, so Rechtsanwalt Sven Adam aus Göttingen, der die Beschuldigten in dem Verfahren verteidigt. Die Begründung für das Ermittlungsverfahren ist tatsächlich eine Farce. Das Verfahren beginnt, weil in einer Abfrage der Mobilfunknetz-Funkzelle für die Tatzeit eines Brandanschlags in Bad Oldesloe im März 2006 auch die Nummern von zwei bekannten Linken auftauchten. Die dadurch festgestellte »unmittelbare Nähe zum Tatort« der Beschuldigten begründe den Tatverdacht. Bad Oldesloe ist jedoch ein sehr kleines Örtchen, weshalb alle 25 000 Einwohner, die in dieser Zeit telefoniert haben, zu Tatverdächtigen hätten erklärt werden können.
Wie Rechtsanwalt Adam berichtet, hätten die daraufhin eingeleiteten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gegen die beiden Linken in den Augen der Ermittler ein »auffallend konspiratives Verhalten« gezeigt, was für eine »organisierte Struktur« spreche. Und fertig ist die terroristische Vereinigung. Ab diesem Zeitpunkt sei unter Missachtung jeglichen Realitätssinns alles so interpretiert worden, dass es in das Konstrukt passt. Demnach müssen Freunde der Beschuldigten schon wegen ihrer Freundschaft zwangsläufig über die Straftaten informiert sein. Personen, die keine Freunde sind, aber – teilweise nur einmaligen – Kontakt mit einzelnen Beschuldigten hatten, müssen wiederum Mitglieder der Organisation sein. Angesichts der Tatsache, dass einige Beschuldigte in keinem engeren freundschaftlichen Verhältnis zu den übrigen Beschuldigten stünden, lasse sich festgestellter Informationsaustausch nur mit der Zugehörigkeit zur terroristischen Vereinigung erklären. Der Besuch bei einem Verdächtigen lasse nur auf den Austausch von Informationen schließen. Zwei Sätze später sei dies, so Adam, in der Begründung der Durchsuchungsbeschlüsse bereits eine Tatsache.
Noch abenteuerlicher wird es, wenn die Beamten des LKA ihr Szenewissen zum Besten geben und angeblich szene-untypische Verhaltensweisen als Reaktion auf die Ermittlungen oder gar als eindeutiges Indiz für eine Tatbeteiligung ansehen. Wegen solcher Indizien, berichtet der Göttinger Rechtsanwalt, wurden und werden die Beschuldigten abgehört, observiert und als Terroristen beschuldigt. Im Bad Oldesloer Verfahren werden am Telefon geführte Gespräche über antifaschistische Aktivitäten sogar als Ablenkungsmanöver interpretiert, denn die vermeintliche terroristische Vereinigung sei ja schließlich nicht antifaschistisch, sondern antimilitaristisch.
Hier liegt Adam zufolge eines der Hauptprobleme des Anti-Terror-Paragrafen 129a: »Unter allenfalls rudimentärer oder teilweise gar keiner ausgeübten gerichtlichen Kontrolle wird durch den Paragrafen den Ermittlungsbehörden ein breites Arsenal an Sonderbefugnissen zur Überwachung eröffnet. Das verleitet die Ermittelnden offensichtlich dazu, mit haarsträubenden Konstrukten aufzuwarten, um kritische Menschen komplett ausforschen zu können. Wenn die Verfahren dann nach geraumer Zeit eingestellt werden, haben sie trotzdem, was sie wollten.«
Die Ermittlungen in den 129a-Verfahren sind aber noch aus einem weiteren Grund interessant: Denn dort wird offenbar – gegen die gesetzlichen Grundlagen verstoßend, nur ermittlungsrelevante Informationen zu verwerten – auch Privates über die Beschuldigten zum Bestandteil der Ermittlungsakten gemacht. »Es kommt vor, dass die Akten wie nebensächlich eingestreut vertrauliche persönliche Informationen enthalten, die zumindest geeignet sein können, für Unstimmigkeiten zwischen den Beschuldigten zu sorgen«, sagt Rechtsanwalt Adam.
»Das Private ist politisch« – die ursprünglich linke Parole bekommt so eine ganz neue Bedeutung. Für Verteidiger Adam zeigt sich hier die Notwendigkeit, »auch mit den persönlichen Folgen einer solchen Überwachung reflektiert umzugehen und dem offensichtlichen Ziel der Ermittler – insbesondere der Verunsicherung – solidarisch entgegenzutreten«. Vielleicht sollten sich Linke ein Beispiel an der organisierten Kriminalität nehmen. Szenekennern zufolge reagiert diese nämlich auf ganz eigene Art auf die zunehmende Überwachung: Man schreibt sich wieder Briefe.
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Source: www.jungle-world.com