Über ein Jahr liegt es zurück, seitdem Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt in einer bemerkenswert hastig eingefädelten Aktion versucht haben, Teile des G8-Widerstandes zur terroristischen Vereinigung zu stilisieren. Juristisch und politisch sind die Behörden mit ihrem Ansinnen bekanntlich gescheitert – ja, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wurde zu Beginn des Jahres sogar vom Bundesgerichtshof zurückgepfiffen. Stattdessen ist das Verfahren mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft Hamburg anhängig, und niemand weiß so richtig, wann es endgültig eingestellt wird.
Doch das ist nicht der Grund dieses Textes. Im Folgenden soll es vielmehr um einen in den Akten anonym benannten Belastungszeugen bzw. Informanten gehen, welcher mittlerweile enttarnt werden konnte.
Konkret möchten wir auf vier Dinge näher eingehen: Erstens welche Rolle der Informant in den Ermittlungsakten spielt, zweitens wie der Informant mutmaßlich mit den Behörden kooperiert hat und drittens um wen es sich bei dem Informanten handelt. Darüber hinaus möchten wir viertens einen Vorschlag machen, wie mit dem 'Fall' zukünftig verfahren werden sollte. An vielen Stellen können wir natürlich nur mutmaßen. Deshalb möchten wir uns im Folgenden vor allem auf das konzentrieren, was wir wirklich wissen. Allerdings möchten wir auch – zumindest im Groben – transparent machen, wie wir zu unseren Einschätzungen gekommen sind.
1. Zur Rolle des Informanten in den Akten
In den umfänglichen Ermittlungsakten – immerhin 33 Ordner, und das sollen gerade mal 10% des Gesamtbestandes sein – gibt es eine „anonymisierte Zeugenvernehmung“, welche am 02.04.2007 durch das Bundeskriminalamt durchgeführt wurde. Ob es sich bei der Person um einen bezahlten Informanten oder um einen klassischen Zeugen handelt, bleibt unklar. Konkret zeichnet sich die Vernehmung durch vier Sachverhalte aus:
a) In dem Vernehmungsprotokoll geht es um fünf Personen – unter ihnen zwei bzw. drei der mutmaßlichen Autoren des Buches „Autonome in Bewegung“, welches ja offizieller Ausgangspunkt des G8-129a-Strafverfahrens gewesen ist. Der Informant bezichtigt zwar niemand der fünf Personen irgendwelcher Straftaten, allerdings gibt er dem Konstrukt der Bundesanwaltschaft (wissentlich oder unwissentlich) Futter. Demnach handele es sich bei den Beschuldigten um prominente Aktivisten der linken bzw. autonomen Szene und somit um Leute, welche durchaus das Zeug zu so etwas wie „terroristischen Führungskadern“ hätten. Praktisch kommt das in Sätzen zum Ausdruck wie: X „ist als intellektuelle Führungspersönlichkeit anzusehen...“, oder: Y „würde ich als charismatischen Führer bezeichnen, dem es aufgrund seines taktischen Geschicks gelingt, die Massen hinter sich zu bringen.“
b) Insgesamt ist die Zeugenvernehmung eine eigenartige Mischung aus Wahrheit und Dichtung: Manches ist durchaus zutreffend, vor allem Angaben darüber, wer an welchen Treffen teilgenommen hat (wobei hinzuzufügen ist, dass es sich durch die Bank um öffentliche Treffen wie die Aktionskonferenzen in Rostock oder dissent-Treffen gehandelt hat). Anderes hingegen – vor allem persönliche Informationen über die einzelnen Beschuldigten – ist absoluter Käse und Ausdruck davon, dass dem Informanten so gut wie keine Einblicke in die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten vorliegen. Und doch: In ihrer Beweisnot scheint die Gegenseite selbst auf derart lausige Zeugen angewiesen zu sein. Hauptsache, es gibt (Schein-)Begründungen, mit denen monate- bzw. jahrelange Durchleuchtungen gerechtfertigt werden können – nebst Hausdurchsuchungen.
c) Letzteres dürfte im Übrigen auch der Grund gewesen sein – so paradox es klingen mag, weshalb die Behörden die Bedeutung der Zeugenvernehmung relativ hoch gehängt haben. Konkret bezeichnet ein Ermittlungsbeamter die Aussagen des Zeugen – Lausigkeit hin oder her - als eine von vier zentralen Quellen, aus welchen sich „zusammenfassende Darstellungen zur Verdachtslage“ ableiten ließen.
d) Bemerkenswert sind im Vernehmungsprotokoll schließlich zwei Dinge: Einerseits eine für linke Kreise eher ungewöhnliche Sprache, etwa wenn der Zeuge mit postiv getöntem Unterton davon spricht, dass einer der Beschuldigten „in der Lage sein dürfte, Massen in seinen Bann zu ziehen und zu motivieren.“ Andererseits war auffällig, dass der Informant insbesondere Treffen des „Aktionsnetzwerks Globale Landwirtschaft“ und der antirassistischen G8-Mobilisierung besucht hat, und zwar auch Treffen bzw. Veranstaltungen, auf denen vergleichsweise wenig Leute zugegen waren.
2. Zur Kooperation des Informanten mit den Behörden
Insbesondere die Sprache und die konkreten Teilnahmen an Treffen haben es einfach gemacht, den Informanten relativ schnell zu identifizieren. Denn neben dem Informanten gab es eigentlich nur noch eine weitere Person welche überhaupt in beiden Netzwerken aktiv war (und zwar einer der Beschuldigten). Vor dem Hintergrund diverser Erkundigungen haben sich sodann drei Aktivisten mit dem (mutmaßlichen) Informanten getroffen, als Ort hat ein zentral gelegenes Café in seiner Heimatstadt fungiert. Die an dem Gespräch Beteiligten teilten ihm mit, dass sie davon ausgingen, dass er just jener anonym in den Akten geführte Zeuge sei. Daraus entwickelte sich sodann eine längeres Gespräch, denn der Mann bestätigte ohne weitere Umschweife, dass er der Urheber der in der Zeugenvernehmung gemachten Aussagen wäre – auch er könne sich in den Formulierungen wiedererkennen. Er bestand allerdings darauf, dass es nie eine formelle Zeugenvernehmung gegeben habe – so wie dies durch das Vernehmungsprotokoll des BKA (bestehend aus 19 Fragen und Antworten) nahegelegt wird. Vielmehr sei er systematisch abgeschöpft worden. Konkret sei das so abgelaufen, dass er im Anschluss an G8-bezogenen Vorbereitungstreffen stets von zivil auftretenden Beamten angesprochen wurde – ob beim Taxistand, auf dem Bahnhof oder im Zug. Daraus hätten sich meist kurze Gespräche ergeben. Zuweilen habe er sich aber auch eine Stunde lang unterhalten. Aus Sicht des Informanten seien diese Gespräche durchweg harmlos gewesen. Einerseits weil er nur Gutes über die Beschuldigten gesagt hätte (was auch in der Zeugenvernehmung deutlich würde), andererseits weil er die Beamten stets als solche erkannt und sie auch auf ihre Rolle angesprochen habe. Dass dies eine grandiose Selbsttäuschung sei, ja dass es harmlose Kontakte mit Überwachungs- und Repressionsbehörden überhaupt nicht geben könne, wurde ihm unmissverständlich deutlich gemacht. Doch darauf wollte bzw. konnte sich der nunmehr (selbst enttarnte) Informant nicht wirklich einlassen.
Am Ende des knapp dreistündigen Gespräches wurde schließlich ein weiteres Treffen vereinbart. Dort hätte es darum gehen sollen, wie mensch politisch damit umgehen könne, dass das BKA – jedenfalls wenn man dem Informanten Glauben schenkte – im Rahmen des G8-Ermittlungsverfahrens Beweise manipuliert und somit eine schwere Straftat begangen habe. Allein: Zu diesem weiteren Treffen kam es nicht mehr. Vielmehr sagte der Informant ein zweites Treffen unter äußerst fadenscheinigen Gründen kurzfristig ab und war auch ansonsten nicht mehr bereit, den Kontakt zu halten. Hierzu gehört auch, dass er darauf verzichtet hat, die Veröffentlichung des vorliegenden Textes zu verhindern bzw. mitzugestalten. Denn diese Möglichkeit hatten wir ihm eingeräumt, indem wir ihm den Text zwei Wochen vor seiner Veröffentlichung vorgelegt und dies mit dem Angebot verknüpft haben, eine Stellungnahme abzugeben (auch hier mit der Überlegung, dass er sich entweder doch noch zu glaubwürdigen und juristisch belastbaren Aussagen gegen das BKA entschließen oder umgekehrt zu dem Eingeständnis durchringen würde, dass die Zeugenvernehmung sehr wohl stattgefunden habe).
Es dürfte sich von selbst verstehen, dass spätestens an diesem Punkt das weite Feld der Spekulation beginnt. Denn natürlich wissen wir nicht, weshalb sich der Informant zurückgezogen hat. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine Möglichkeit ist, dass der Informant bewusst mit der Polizei zusammengearbeitet hat – ob bezahlt oder aus Überzeugung. Wäre das der Fall, dann hat es sich bei der durchaus glaubwürdig vorgetragenen Erzählung des Abgeschöpft-Werdens lediglich um eine Schutzbehauptung gehandelt, d.h. um eine mit seinen Kontaktpersonen beim BKA abgesprochene Verteidigungslinie. Die andere Möglichkeit ist, dass er auf die von ihm geschilderte Weise tatsächlich abgeschöpft wurde und dass ihm das BKA sodann ein aus seinen Aussagen zusammengebasteltes Gespräch zur Absegnung vorgelegt hat. Das Druckmittel könnte in diesem Fall die Androhung gewesen sein, dass er ansonsten als namentlich benannter Zeuge in den Akten auftauchen würde – mit der Konsequenz, dass die Beschuldigten spätestens nach gewährter Akteneinsicht von seinen Aussagen erfahren würden. Auch wenn es verleitend ist, letztlich muss mensch anerkennen, dass es in dieser Angelegenheit nicht möglich ist, eine definitive Antwort zu geben. Das ist auch der Grund, weshalb wir darauf verzichten, im Detail vorzutragen, welche 'Argumente' eher für das eine bzw. das andere sprechen (denn es wird nicht überraschen, dass es für beide Interpretationen Hinweise gibt). Lediglich eine Deutung haben wir mehr oder weniger ausgeschlossen: Wir glauben nicht, dass der Informant wider Willen abgeschöpft wurde und erst in dem Gespräch davon erfahren hat. Zum einen haben die Ermittlungsbehörden eine solche Manipulation von Beweisen gar nicht nötig – denn sie hatten ja seine Aussagen bereits, zum anderen wäre bei dieser Interpretation nicht verständlich, weshalb der Informant den Kontakt derart schroff abgebrochen hat (einmal abgesehen davon, dass es natürlich immer auch persönliche Gründe wie z.B. Krankheit geben kann, die plötzliche Kursänderungen nach sich ziehen).
3. Wer ist der Informant?
Bei dem Informanten handelt es sich um den 74-jährigen Peter A. aus Kiel – seine Email-Adresse, unter der er beim G8-Protest meist aufgetreten ist, lautet: „Normalverbraucher@t-online.de“. Peter A. ist in seinem ersten Berufsleben Offizier bei der Bundeswehr gewesen, anschließend war er als Verwaltungsbeamter und in der Erwachsenenbildung tätig. Politisch war er lange Mitglied der CDU, später hat er bei den Grünen angeheuert. So weit wir in Erfahrung bringen konnten, ist Peter A. in den letzten Jahren auf regionaler Ebene lediglich bei attac aktiv gewesen – doch auch das nicht sonderlich intensiv. Auch das lokale „Kieler Netzwerk gegen den G8-Gipfel“ besuchte er nur einmalig. Weshalb Peter A. – ohne Mandat der Kieler attac-Gruppe – in mehreren bundesweiten G8-Bündnissen aufgetaucht ist (eine zeitlang im Hannoveraner Koordinierungskreis, ab und zu bei dissent, im Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft, bei antirassistischen Netzwerk-Treffen, mindestens einmal beim Rostock-Laage-Zusammenhang etc.) wissen wir nicht. Unser Eindruck ist allerdings – auch nach Gesprächen mit diversen Leuten, die ihn erlebt haben, dass Peter A. nirgendwo tiefere Einblicke erhalten hat. Einerseits weil er meist nur kurz auf Treffen anwesend war (oft hat er bereits nach ein bis zwei Stunden die Treffen wieder verlassen), andererseits weil er sozial relativ merkwürdig bzw. nervig agiert hat und auch dadurch keine engen persönlichen und politischen Kontakte entwickeln konnte. Hinzu kam, dass er zwischenzeitlich sehr persönlich gehaltene Emails über Mailinglisten oder an willkürlich ausgewählte Einzelpersonen geschickt hat, was verschiedentlich als Belästigung aufgefasst wurde. Das war im Übrigen auch der Grund, weshalb er von mindestens einer Mailingliste explizit gestrichen wurde. Mit anderen Worten: Unsere Einschätzung ist, dass Peter A. zwar mit der 'Gegenseite' kollaboriert hat, dass sich der dadurch entstandene Schaden allerdings sehr stark in Grenzen hält – von persönlichen Enttäuschungen, Verunsicherungen etc. einmal abgesehen.
4. Wie sollte mit Peter A. weiter umgegangen werden?
Wir haben Peter A. wissen lassen, dass er nicht mehr auf linken Treffen auftauchen darf – und zwar deshalb, weil er sich jeder Auseinandersetzung entzogen hat. Dort, wo er das doch tut (und erkannt wird), sollte er sofort aufgefordert werden, das Treffen bzw. die Veranstaltung zu verlassen; notfalls muss dies gegen seinen Willen durchgesetzt werden (was allerdings nicht all zu kompliziert sein dürfte).
Es bleibt: Was wir hier vorgetragen haben, ist zwar das Ergebnis intensiver Recherche, aber natürlich können wir nicht ausschließen, dass sich Peter A. mittlerweile in ganzen anderen, uns nicht bekannten Zusammenhängen bewegt. Insofern möchten wir alle bitten, etwaige Informationen oder Rückfragen in Sachen Peter A. an den Berliner Ermittlungsausschuss zu richten. Dort sind zum einen Menschen aktiv, die sich mit derartigen Fragestellungen schon oft und intensiv beschäftigt haben, zum anderen sind auch wir über den Berliner Ermittlungsauschuss erreichbar (Tel.: 030/ 692 22 22 Sprechstunde: Dienstag: 20 bis 22 Uhr im Mehringhof)
Einige Leute aus dem G8-Widerstand
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