Unterlagen zur G8-Razzia ausgewertet
18 Personen standen im Fokus der Ermittler. 14 Brandanschläge in knapp
zwei Jahren wurden ihnen zugeschrieben. Gesamtschaden: 2,6 Millionen
Euro. 500 Kontaktpersonen, die in irgendeiner Beziehung zu den
Verdächtigen standen, identifizierte die Polizei. Innerhalb von sechs
Monaten überwachten die Ermittler bei einem Hauptbeschuldigten über 3000
Telefonate, 1300 Gespräche im Auto und lasen tausende E-Mails mit. Das
geheime Wissen der Beamten bündelte sich im Ermittlungsverfahren 2 BJs
10/06-2 der Bundesanwaltschaft. Vorwurf: Verdacht der Bildung einer
terroristischen Vereinigung/ Militante Kampagne zum
Weltwirtschaftsgipfel G8 in Heiligendamm.
Im Mai 2007 folgte eine bundesweite Razzia in der linken Szene. Berlin
war dabei Schwerpunkt. Ermittler durchkämmten Büros und Vereine. Sie
beschlagnahmten Computer, Bücher, Handys und Unterlagen. Vor fünf Tagen
entschied der Bundesgerichtshof: Die Razzia war rechtswidrig; die
G8-Gegner hätten sich gar nicht zu einer Terror-Vereinigung
zusammengeschlossen.
Bereits im vergangenen Jahr erhielten die Beschuldigten Einsicht in
Auszüge der Ermittlungsakten – 35 Ordner mit rund 10 000 Seiten. Dabei
wurde bekannt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) offenbar einen V-Mann in
der Berliner und Brandenburger linksautonomen Szene positioniert hatte.
Seine eher wenig belastenden Aussagen sollen dennoch eine der Grundlagen
für die Durchsuchungen gewesen sein.
Wenige Wochen vor der Razzia soll das BKA, Abteilung SO 53, zuständig
für Organisierte und Allgemeine Kriminalität, den “Zeugen” vorgeladen
haben. Ihm sicherten die Beamten Vertraulichkeit und seitens der
Bundesanwaltschaft Geheimhaltung der Identität zu. Offenbar war die
Person, die am 2. April eine 14seitige Aussage ablieferte, den
Polizisten seit längerer Zeit bekannt. Der Informant verfügte über
detaillierte Kenntnisse aus der Szene und hatte offenbar an diversen
G8-Vorbereitungstreffen teilgenommen und sie für die Ermittler
protokolliert. So soll er in Berlin beispielsweise am
“Anti-G8-Migrations-Treffen”, an der “Anti-AKW-Frühjahrskonferenz” sowie
an Treffen der “AG Migration” teilgenommen haben.
Die Ermittler legten dem Informanten zunächst zwölf Fotos von
Beschuldigten vor, denen das BKA eine Führungsrolle innerhalb der
militanten Kampagne gegen G8 vorwarf. Der “Zeuge” erkannte angeblich
sechs mutmaßliche Gewalttäter mit Namen und charakterisierte diese
Personen nach Fähigkeiten, Aktivitäten und Aufgaben innerhalb des linken
Spektrums.
Als der Informant jedoch konkret nach Hinweisen zur Beteiligung der
beschriebenen Personen an militanten Aktionen oder gar Anschlägen
gefragt wurde, musste dieser passen: Lediglich an allgemeine Äußerungen
zur Militanz könne er sich erinnern.
Die Vernehmungsprotokolle legen den Verdacht nahe, dass der mutmaßliche
V-Mann Ende 2006 über das Thema Gen-Technik einen Zugang zu linken
Kreisen erhielt. Ab Anfang 2007 war er offenbar auch bei größeren,
nicht-öffentlichen G8-Vorbereitungstreffen dabei. In Sachen Gen-Technik
und insbesondere zum “Barnimer Aktionsbündnis” verfüge er laut eigenem
Bekunden über Grundwissen – für linke Kreise ein möglicher Verweis auf
die regionale Zugehörigkeit.
Die Sammelwut der Ermittlungsbehörden kannte im G8-Verfahren keine
Grenzen. 270 verschiedene Berichte, Vermerke und Gutachten über
mutmaßliche Linksextremisten tauchen in den Akten auf. Allein ein
vertraulicher Bericht zur Berliner Videowerkstatt “autofocus” enthält
eine Namensliste mit 120 Personen – darunter sogar der Name des Notars,
der die Gründungsversammlung des Vereins 1989 beglaubigte.
Von Axel Lier
[http://www.morgenpost.de/content/2008/01/09/berlin/940672.html]
Source: www.morgenpost.de