Im folgenden findet ihr die Redebeiträge, die auf der bundesweiten Demonstration "Von Göteborg nach Genua" am 20. Juli 2003 anläßlich des 2. Jahrestages von Genua gehalten wurden.
Die Redebeiträge zu Genua und Göteborg entstanden auf Grundlage der aktuellsten Informationen.
Zur Demo kamen etwa 400 - 500 Leute. Sie startete an der italienischen Botschaft und führte über die schwedische Botschaft zum Potsdamer Platz und zum Brandenburger Tor.
Die Demo verlief ohne größere Zwischenfälle. Allerdings hatte die Polizei mindestens 3 Personen kurz in Gewahrsam genommen, weil sie "verbotene Gegenstände" wie Handschuhe, ein Tuch oder eine Trillerpfeife mit sich führten. Die Polizei war am Auftaktort omnipräsent; etwa 40 Wannen säumten die Straße zur italienischen Botschaft.
Am Ende des Rundbriefs dokumentieren wir noch einen Artikel der taz und eine Aktion in Zürich.
- Trailer zur Demo [deutsch, englisch, italienisch]
- Redebeitrag zu den Ermittlungen wegen des G8 in Genua
- Redebeitrag der Diaz-SchülerInnen zum 20. JULI 2003
- Redebeitrag von Haidi Giuliani
- Redebeitrag zu den Verhafteten in Italien
- Redebeitrag zu Göteborg
- Kurzer Überblick über die Situation in Schweden
- Redebeitrag der Gruppe FelS
- Redebeitrag zu Thessaloniki
- Redebeitrag des Republikanischen Anwaltsverein
- Redebeitrag des Solibündnis ‚Freiheit für Gabi Kanze und andere politische Gefangene'
- Raus aus dem Knast, rein in die Demo
- 2 JAHRE GENUA - antirep-spaziergang in zürich
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Trailer zur Demo: http://ch.indymedia.org/media/2003/07/12740.mp3
[deutsch]
Seattle, Peoples Global Action Day, Pink and Silver, Nizza, Radical Cheerleading, Göteborg, White Overalls, Genua, Rote Zonen, Davos, Black Block, Evian, No Border Camps, Thessaloniki......
Symbole einer Bewegung, die es geschafft hat, einer Globalisierung nach kapitalistischen Verwertungskriterien die Legitimation zu entziehen und die Frage nach einem besseren Leben für alle zu stellen.
Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Spektren sind für eine gerechtere Welt in Bewegung geraten. Doch am Ende des "Summer of Resistance" sahen sich viele der Aktivistinnen und Aktivisten auch mit einer neuen Dimension der staatlichen Repression konfrontiert.
Im Anschluss an die Proteste in Göteborg 2001 gegen die Politik der Europäischen Union - mit ihrer Abschottung gegen Flüchtlinge und Migranten nach außen und Kontrolle nach innen - verhängten schwedische Gerichte 42 Haftstrafen. Die durchschnittliche Dauer der Haftstrafen liegt bei über einem Jahr. Ermittlungsergebnisse wurden an die Polizeien in fünf anderen Staaten weitergeleitet. Immer noch kommt es zu Verhaftungen und Verfahren, auch in Berlin.
In Genua, wo im Sommer 2001 gegen das G8 - Treffen protestiert wurde, ist die Masse der Anklageerhebungen im Herbst diesen Jahres zu erwarten. Während des Gipfels wurden 400 Personen festgenommen, ihnen drohen nun langjährige Haftstrafen.
Anhand dieser Entwicklungen ist eine neue europäische Repressionspraxis festzustellen, die die Spielräume linker und oppositioneller Bewegungen immer mehr beschränkt.
Unter dem Motto "Von Göteborg nach Genua" fordern wir deshalb:
· Keine Kriminalisierung emanzipatorischer Bewegungen!
· Einstellung aller Verfahren im Zusammenhang mit Gipfelprotesten!
· Freiheit für alle Gefangenen von Göteborg und Genua!
· Grenzen auf für alle Flüchtlinge!
· Gegen die Aufrüstung der inneren Sicherheit!
· Für globale Bewegungsfreiheit!
· Gegen kapitalistische Verwertungslogik!
[englisch]
Cheerleading, Gotheborg, White Overalls, Genua, red zones, Davos, Black Block, Evian, No Border Camps, Thessaloniki...
Symbols of a movement, that managed to deprive the capitalist globalisation following criteria of exploitation of its legitimation, and to put the question for a better life for everyone on the agenda. People of very different social and political backgrounds started to move themselves for a more equal and fair world.
At the end of the "Summer of Resistance", however, many of the activists had to face as well a new dimension of state repression.
Following the protests in Gothenburg 2001 against the politics of the European Union- that means closing the outer frontiers against refugees and migrants, and controlling its inner space- swedish courts sentenced 42 persons to prison. He average period of the sentences was more than one year. The results of investigation were handed over to the police of five other countries. Still people are getting arrested and legal proceedings are initiated, in Berlin and elsewhere.
In Genua, where in the summer of 2001 protests against the summit of the G8 took place, the bulk of the legal proceedings is expected to be initiated this autumn. During the summit 400 persons have been arrested, who are expecting now long- term prison sentences.
Taking these developments, one can observe a new european practice of repression, reducing every time more the space that is left for leftist and opposition movements.
* No criminalization of emancipatory movements!
* End all proceedings connected to the protests at the summits!
* Freedom for all prisoners of Gothenburg and Genua!
* Open borders for all refugees!
* Against the armig of inner security!
* For global freedom of movement!
* Against the capitalist logic of explotation!
[italienisch]
Seattle, Peoples Global Action Day, Pink and Silver, Nizza, Radical Cheerleading, Göteborg, Tute bianche, Genova, Zone rosse, Davos, Black Block, Evian, No Border Camps, Salonicco...
simboli di un movimento che è riuscito a delegittimare una globalizzazione costruita sui criteri di valorizzazione del capitale, e a porre la questione di una vita migliore per tutti.
Persone provenienti dai più diversi ambienti politici e sociali si sono messe in movimento per un mondo più giusto. Tuttavia, dopo questa "Sommer of Resistence", molte attiviste e molti attivisti si trovano a fare i conti anche con una nuova dimensione della repressione statale.
In seguito alle proteste a Göteborg nel 2001 contro la politica dell'Unione europea - imperniata sulla chiusura delle frontiere contro profughi e migranti e controlli all'interno - i tribunali svedesi hanno comminato 42 pene detentive. La durata media delle pene supera i dodici mesi. Risultati delle inchieste sono stati trasmessi alle polizie di cinque altri stati. Così si effettuano ancora arresti e si istruiscono processi, anche a Berlino.
A Genova, attraversata nell'estate del 2001 dalla protesta contro il vertice del G8, si aspetta un'ondata di rinvii a giudizio per l'autunno di quest'anno. Durante il vertice vennero fermate 400 persone, molte di loro rischiano adesso anni di carcere.
Così si va sviluppando una nuova prassi europea della repressione, che restringe sempre più gli spazi per i movimenti di sinistra e di opposizione.
Questa prassi "da Göteborg a Genova" ci induce perciò a lottare:
. Contro la criminalizzazione dei movimenti per l'emancipazione.
. Per l'archiviazione di inchieste e processi collegati alle proteste
in occasione dei vertici.
. Per la libertà per tutti i prigionieri di Göteborg e Genova.
. Per l'apertura delle frontiere a tutti i profughi.
. Contro l'inasprimento della repressione poliziesca.
. Per la libertà di movimento globale.
. Contro la logica di valorizzazione del capitale.
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Redebeitrag zu den Ermittlungen wegen des G8 in Genua
Anders als in Göteborg, wo die meisten angeklagten AktivistInnen schon verurteilt sind, werden die meisten Verfahren in Genua erst nächstes Jahr beginnen.
Die italienische Polizei muss Ermittlungen nach spätestens 2 Jahren beenden und die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft vorlegen. Diese 2 Jahres-Frist endet, wie wir wissen, heute am 20. Juli.
Während der Proteste wurden in Italien etwa 350 Personen vorläufig festgenommen. Es ist zu erwarten, dass es demnächst, 2 Jahre später, Dutzende, vielleicht Hunderte von Anklagen geben wird.
Die Vorwürfe lauten auf Widerstand, unzulässiger Waffenbesitz, Plünderung und Verwüstung. Diejenigen, die ab Samstag Nachmittag festgenommen wurden, sollen unter dem Konstrukt "Bildung einer internationalen kriminellen Vereinigung ‚Black Bloc' mit dem Ziel, Verwüstungen anzurichten" angeklagt werden. Die Carabinieri haben 1.900 Seiten Material zum ‚Black Bloc'-Konstrukt zusammengetragen. Behauptet wird die Existenz einer international organisierten Gruppe, die auch bei anderen Gipfelereignissen operiert und per Internet kommuniziert.
Bis es allerdings zur Hauptverhandlung kommt können mehrere Monate vergehen, vielleicht Jahre. Sowohl für Plünderung, als auch für Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung können Strafen bis 15 Jahre Gefängnis verhängt werden.
Betroffen sind vor allem ItalienerInnen, aber auch etliche AktivistInnen aus Deutschland, Österreich, Schweiz und anderen Ländern innerhalb und außerhalb der EU. Auch nach dem G8-Gipfel hat die Polizei zahlreiche Razzien durchgeführt und AktivistInnen in Italien verhaftet, die nun Verfahren zu erwarten haben. Die politische Polizei DIGOS drohte in einer Pressekonferenz, dass 400 weitere Personen identifiziert worden seien. Die Polizei hat Fotos und Videos an ausländische Polizei zur weiteren Identifizierung weitergegeben. Möglicherweise gibt es auch Ermittlungsverfahren im Ausland.
Eine Person befindet sich weiterhin in Haft. Ein Antrag auf Hafterleichterung wurde kürzlich abgelehnt. 4 weitere sind in Hausarrest, sie dürfen dort keinen Besuch empfangen. Andere haben Meldeauflagen.
Es gab auch schon erste Verurteilungen. Zunächst werden die sog. "einfacheren" Fälle verhandelt. Diejenigen, die zu einer Verurteilung führten, endeten mit verhältnismäßig hohen Strafen: 1 Jahr, 6 Monate und 1 Jahr/ 8 Monate; beide allerdings zur Bewährung ausgesetzt. Ein Verfahren gegen einen Iren wegen schwerem Widerstand wurde eingestellt, da die Polizei offensichtlich die Aussage gefälscht hat.
Es gibt aber auch gute Nachrichten: So ist zum Beispiel ein Teil der Ermittlungen gegen die AktivistInnen in der Diaz-Schule, wo es die brutale nächtliche Razzia gab, eingestellt worden: Die Polizei musste eingestehen, dass sie Beweise gefälscht hat. Deshalb wurde die Anklage gegen die AktivistInnen wegen Waffenbesitz fallengelassen. Noch immer steht allerdings ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Raum.
Viele AktivistInnen sind mit einem Einreiseverbot belegt. Dies betrifft allerdings hauptsächlich EinwohnerInnen aus Nicht-EU-Staaten. Die meisten Einreiseverbote gegen Betroffene aus der EU wurden wegen eines Formfehlers aufgehoben.
Vermutlich wird die Staatsanwaltschaft auch Anklage gegen Angehörige der Polizei und Carabinieri erheben. Angeklagt werden vor allem die Leiter der Einsatzgruppen und die identifizierten Polizeikräfte. Vorgeworfen wird ihnen Nichtverhinderung von Straftaten, Körperverletzung, Falschaussage, falsche Verdächtigungen, Freiheitsberaubung im Amt, Diebstahl und Raub.
Das Verfahren gegen den Carabinieri, der Carlo erschossen hat, wurde allerdings eingestellt. Und dies nicht wegen angeblicher Notwehr oder der Version der angeblich "durch einen Stein abgelenkten Kugel", sondern viel gravierender: Das Gericht stellte fest, dass die Polizei berechtigt war Schusswaffen einzusetzen. Ein Freibrief für die Polizei bei zukünftigen Demonstrationen.
Es gibt in Italien einige Gruppen und Organisationen, die sich um Aufklärung und Gerechtigkeit bemühen. Viele dieser Gruppen werden heute auch in Genua demonstrieren.
Wenn die Prozesse beginnen, wollen AnwältInnen versuchen auch auf politischer Ebene Druck zu machen.
Politischen Druck bedeuten auch die Klagen auf Schadensersatz gegen Polizei und Carabinieri. Betroffene können wegen ungerechtfertigter Freiheitsentziehung, Körperverletzung, Misshandlung und Verdienstausfall Klage einreichen. Wenn die angeklagten Polizeikräfte wegen der Diaz-Schule und Bolzaneto verurteilt werden, ist die Zahlung von Schadensersatz sehr wahrscheinlich.
Wir unterstützen die betroffenen AktivistInnen und fordern:
· Einstellung aller Verfahren gegen DemonstrantInnen!
· Sofortige Aufhebung aller freiheitsberaubenden Maßnahmen!
· Aufhebung der Einreiseverbote!
· Schadensersatz für Freiheitsentziehung und Misshandlung!
· Politische und juristische Konsequenzen für Polizei und Carabinieri!
· Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Carabinieri, der Carlo Giuliani erschossen hat!
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Redebeitrag der Diaz-SchülerInnen zum 20. Juli 2003
Als wir uns vor zwei Jahren in der nach vom 21. auf den 22. Juli 2001 im Info- und Medienzentrum der Schule Armando Diaz einquartierten, hatte wohl keiner von uns gedacht, dass uns bald eine Realität ereilen sollte, die uns auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen wird und als Erlebnis in unseren Köpfen wohl nie verschwinden wird.
Bereits kurz nach unserer Freilassung hatte ein grosser Teil der Menschen aus der Diaz-Schule Anzeige gegen die italienischen Behörden erstattet. Ein komplizierter und nicht ganz ungefährlicher Schritt, den wir jedoch für wichtig hielten.
In den letzten zwei Jahren hat sich die italienische Justiz vor allem Zeit gelassen. Erst im Mai diesen Jahres - kurz bevor die Frist zur Verjährung verstrich - wurde richterlich festgestellt, das wir und die anderen der 93 Menschen, die in der Schule Diaz misshandelt wurden, keine Waffen besaßen und auch keine Polizisten verletzen. Trotz fehlender Beweise gehen die Ermittlungen wegen der angeblichen Bildung einer terroristischen Vereinigung mit dem Namen "black block" weiter.
Schleppend und schwierig verlaufen auch die Ermittlungen gegen die Polizeibehörden. In den letzten zwei Jahren haben große Teile der herrschenden Politik ihre Hand schützend über die Verantwortlichen bei der Polizei gehalten. Absprachen und taktische Schachzüge standen und stehen auf der Tagesordnung.
Einzig die Aufhebung der gegen uns verhängten Ausreiseverbote konnten wir relativ schnell durchsetzen - formal. Dies führt für uns aber nach wie vor nicht zu einem entspannten Reisegefühl in Italien und Europa, denn unsere Daten wurden schnell und unbürokratisch im Schengener Informationssystem (SIS) gespeichert. Deshalb werden wir nun regelmäßig bei politischen Protesten in anderen Ländern an der Grenze abgewiesen. Nach Italien können wir nur mit vorheriger Anmeldung reisen.
Die deutsche Politik und Justiz hat sich hier von Anfang an sehr kooperativ gezeigt und den italienischen Behörden viel Rückendeckung für ihr Handeln gegeben. Das deutlichste Beispiel war, dass der als "Linkenhasser" bekannte Berliner Staatsanwalt Heinke unsere Zeugenbefragungen gegen die italienische Polizei führte. Nur der Beharrlichkeit unser Anwältinnen und der italienische Staatsanwälte war zu verdanken, dass wir hier Belastendes gegen die italienischen Staatsbüttel zu Protokoll geben konnten. Wer denkt, dies sei ja eben Italien und in Deutschland nicht möglich, vergisst, dass vor zwei Jahren erst auf den politischen Druck einzelner PolitikerInnen und der Medien hin die deutsche Politik sich mehr schlecht als recht um uns gekümmert hat. Zur Widergutmachung schüttelte Otto Schily kurz nach Genua dem italienischen Innenminister Scaiola im Sonnenschein der Adria die Hand.
Zu den G8-Protesten in Evian wurden erst vor kurzem nicht nur 10 deutsche Wasserwerfer und mehr als 1000 StaatsdienerInnen sondern auch unsere Daten breitwillig an das nicht-EU-Land Schweiz weitergegeben.
Und auch in Italien ist die Repression nicht am Ende. Vor wenigen Wochen wurden 23 AktivistInnen der Gewerkschaftsgruppe COBAS im Zusammenhang mit den Genua-Protesten festgenommen.
Wir müssen noch eine langen Atem beweisen, denn mit dem Beginn des Mammut-Prozesses gegen die StaatsdienerInnen ist erst in etwa einem Jahr zu rechnen. Als Nebenkläger wollen wir dann zum Prozess nach Italien reisen. Bis Anna - deren durch die Bullen produzierte Zahnlücke noch immer nicht geschlossen werden konnte - und die anderen Geschädigten vielleicht irgendwann eine finanzielle Entschädigung bekommen, vergehen aber noch viele Jahre. Ein italienisches Sprichwort besagt, man gewinne in Italien einen Prozess nicht in der dritten Instanz, sondern in der dritten Generation.
In diesem Sinnen ist noch ein langes Durchhalten von uns gefragt. Durchhalten, Euch auch heute noch einmal aufzufordern, weiterhin Geld für die Geschädigten von Genua und Göteborg zu sammeln - damit Anna ihre restlichen Zähne nicht auch erst in der dritten Generation bekommt und wir weiterhin Geld für Anwältinnen und Reisekosten haben. Spendet an den EA mit dem Kennwort "Genua".
Wir fordern die
- Einstellung aller Verfahren gegen alle AktivistInnen!
- Reisefreiheit für ALLE auch für Nicht-EU-BürgerInnen! Kein Hausarrest für politische AktivistInnen!
- Löschung aller erhobener Daten und Dateien in Italien , Deutschland und überall!
- Unabhängige und lückenlose Aufklärung der Polizeiübergriffe von Genua!
- Bestrafung der Schläger in Uniform und angemessene Entschädigung für die Betroffenen!
- Rücktritt aller politisch Verantwortlichen!
Natürlich haben wir Eure Hilfe nach Genua nicht vergessen und wollen allen, die für uns auf den unterschiedlichsten Wegen Geld gesammelt haben, noch mal von ganzem Herzen danken!
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Redebeitrag von Haidi Giuliani
Wir sind wieder auf der Strasse, um an einen Jungen wie Euch zu gedenken.
Wir sind wieder auf der Strasse, um daran zu erinnern, dass vor zwei Jahren in Genua eine Repression veranstaltet worden ist, die beispiellos in einem demokratischen Land ist. Sie haben angegriffen, geschlagen, verwundet, entführt, getötet, um die Stimmen der vielen zum Schweigen zu bringen, die das Recht der acht sogenannten Grossen in Frage stellten, über das Leben ganzer Völker zu entscheiden.
Aber nicht nur deswegen demonstrieren wir heute.
Wir sind wieder auf der Strasse, um ihre Lügen zu dementieren, um die grossen Medien zu denunzieren, die keine Information betreiben; um eine Justiz zu kritisieren, die Augen, Mund und Ohren schliesst, die den Fall schliessen will um zu vergessen.
Aber nicht nur deswegen.
Wir sind wieder auf der Strasse, um daran zu erinnern, wie oft in der Vergangeheit die Wahrheit durch einen kleinen Stein oder eine "kluge Rakete", durch eine "wandernde Kugel" oder das Gespenst der Massenvernichtungswaffen zerstört worden ist, wie oft die Rechte der Menschen durch Schlagstöcke, Bulldozer oder Luftangriffe vernichtet worden sind.
Wir sind wieder auf der Strasse für Euch, Junge Leute der Zukunft!
Carlos Mutter
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Redebeitrag zu den Verhafteten in Italien
Wir möchten an dieser Stelle noch etwas zu Francesco Puglisi sagen, der seit dem 4.12.2002 in Messina, Sizilien im Knast sitzt Festgenommen wurde er im Zuge von 45 Hausdurchsuchungen gegen 23 Personen, denen vorgeworfen wird, in Genua beim G8-Gipfel verschiedene Straftaten begangen zuhaben. Die Festnahmen wurden auf Grund von Videoauswertungen beantragt.
Nach seiner Festnahme wurde Francesco die erste Zeit unter Isolationshaft gestellt. Erst nach 2 Monaten wurde ein Besuch der Eltern bewilligt. Während der Isolationshaft kam er einen Tag in die Bestrafungszelle, in der es keinen Freigang und kaum Licht und Luft gibt.
In seiner nun 7 Monate andauernden Haftzeit musste er diverse psychische und physische Gewalttaten ertragen. Die Misshandlungen wurden von einer Gruppe von 6 Wächtern begangen. Diese gehören der "squadretta" an, die durch ihre grauen Anzüge mit schwarzen Armbinden ihre faschistische Einstellung offen zu Schau tragen. Sie werden fast nur zur "Bestrafung" und Misshandlung von Gefangenen eingesetzt.
Insgesamt sind die Haftbedingungen in Messina sehr schlecht und die Hoffnung , das er vor einem möglichen Prozess freigelassen wird, ist sehr gering.
Wir bitten euch, die Angeklagten zu unterstützen.
Schreibt den Leuten im Hausarrest und schreibt Francesco im Knast.
Spendet Geld für Anwalts- und Prozesskosten und die direkte Unterstützung der Leute im Hausarrest und im Knast.
Die Adressen der Leute sowie Spendenkonten sind unter indymedia oder über gipfelsoli@nadir.org zu bekommen.
Solidarität mit den Angeklagten von Genua!
Adressen:
-Hausarrest: Marina, Vincenzo und Alberto; c/o Villa Occupata, Via Litta Modignani 66, 20161 Milano, Italia
-Francesco Puglisi, C.C. Via Consolare Valeria, 98100 Messina-Gazzi, Italia
-Spenden für Anwälte und GefängnisinsassInenunterstützung: Bank: CCP N., 37626850 C.A.B. 1600, A.B.I. 07601
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Redebeitrag zu Göteborg
Verfahren im Zusammenhang mit Protesten in Göteborg
Am 11. Juli stürmten 4 Polizisten frühmorgens eine Wohnung im Odenwald. Die darauf folgende Hausdurchsuchung führten sie äußerst akribisch durch, auch der Computer wurde durchsucht. Schließlich beschlagnahmten sie Fotos von Demonstrationen sowie sämtliche Adresslisten. Der Durchsuchungsbefehl führt zur Begründung aus: "Der Beschuldigte ist verdächtigt, sich anlässlich des EU -Gipfels am 14.-15.06.2001 in Göteborg an gewalttätigen Ausschreitungen, die zu erheblichen Personen- und Sachschäden geführt haben, beteiligt zu haben." Angeblich konnte der Beschuldigte "durch Auswertung von Bilddokumenten (...) als einer der an den Ausschreitungen Beteiligten identifiziert werden."
Besonders bemerkenswert wird dieser Fall dadurch, dass der Betroffene definitiv nicht in Göteborg anwesend war, sondern offenbar v.a. deshalb verdächtigt wird, weil gerade noch ein anderes Verfahren in Zusammenhang mit politischer Aktivitäten gegen ihn geführt wird.
Dies ist der vorerst letzte Fall der zweiten Verfahrenswelle im Zusammenhang mit den Protesten in Göteborg, die erst anderthalb Jahre nach dem EU-Gipfel begann. Grundlage dieser neuen Verfahren ist die Auswertung von Bildmaterial vornehmlich durch die schwedische Polizei, wobei aber auch die Verfolgungsbehörden anderer Staaten ermitteln. Dabei zeigt sich zum einen die langfristige Vorbereitung der Repression, die sich gerade im Vergleich zu Genua als wesentlich geplanter und mehr auf juristische Verfolgung ausgelegt darstellt. Zum anderen zeigt sich an Menge und Qualität des Bildmaterials die Einmaligkeit des Ermittlungsaufwandes, der von der Schwedischen Polizei betrieben wurde.
In der BRD sind bisher 12 Betroffene bekannt. Bereits drei von Ihnen wurden verurteilt. Das Strafmaß scheint sich dabei z.T. an den extrem hohen Urteilen in Göteborg zu orientieren: So wurde ein Betroffener in Berlin unter dem vergleichsweise geringen Vorwurf des "schweren Landfriedensbruchs" und der "versuchten gefährlichen Körperverletzung" zu völlig unverhältnismässigen 2Jahren verurteilt, die auf 3 Jahre Bewährung ausgesetzt wurden. Der Beschuldigte hatte zudem bereits über ein Monat Untersuchungs-Haft in der JVA Moabit verbüßt. Die beiden anderen Verurteilungen fielen etwas moderater aus, wobei das Strafmaß bei einem Betroffenen in Bremen mit einem Jahr auf drei Jahre Bewährung auch keineswegs als moderat einzuschätzen ist. Vermutlich 9 Verfahren stehen bundesweit noch aus.
Eigenheiten dieser Verfahren
Grundlage der Verurteilungen außerhalb Schwedens ist das Europäisches Übereinkommen über Rechtshilfe in Strafsachen. Nur die Straftatbestände sind verurteilbar, die auch in beiden Ländern strafbar sind. So konnte in der BRD z.B. keine Anklage wegen "passiver Bewaffnung" oder Vermummung erhoben werden, da dies in Schweden keinen Straftatbestand erfüllt. Umgekehrt wird bei dem Ermittlungsverfahren in Holland gegen den Betroffenen beispielsweise nicht wegen "Landfriedensbruch" angeklagt werden können, da es dafür nur in Schweden eine juristische Grundlage gibt, nicht aber in Holland. Allerdings betreiben die Schwedischen Behörden nun ein Auslieferungsverfahren, um auch den Straftatbestand "våldsamt upplopp" (entspricht ungefähr dem deutschen "Landfriedens-bruch") anklagen zu können. Komplett ändern wird sich die Situation allerdings ohnehin, wenn der Europäische Haftbefehl eingeführt wird.
Entscheidend für die Beweisführung in diesen Verfahren ist zum einen der Vergleich von bei Hausdurchsuchung beschlagnahmter Kleidung der Angeklagten mit denen der Personen auf dem Bildmaterial. Zum anderen werden für gewöhnlich biometrische Gutachten erstellt, bei denen die Körpermaße und v.a. Ohren und Hände der Personen (sofern diese nicht bedeckt waren) auf dem Bildmaterial mit denen der Angeklagten verglichen werden. Obwohl durch dieses Vorgehen nie mit 100% Sicherheit die Identität festgestellt werden kann, wird diese Art der "Überführung" in der Rechtspraxis anerkannt.
Ein besonderes Problem bei diesen Prozessen sind die hohen Verfahrenskosten aufgrund der Ladung von ZeugInnen aus Schweden. Die Aussicht von bis zu 20.000 EU pro Prozess, die im Falle der Verurteilung die Angeklagten erbringen müssen, wurde bei den Verurteilungen in der BRD zur Erpressung von Deals mit der Staatsanwaltschaft benutzt. Dies zeigt sich vor allem daran, dass die ZeugInnen fast nie irgend etwas zu den einzelnen Angeklagten hätten aussagen können.
Der wohl wichtigste Punkt ist jedoch, dass es nach wie vor insbesondere in Schweden aber auch in anderen Staaten kein öffentliches Bewusstsein über die Vorgänge in Göteborg gibt. Nur so ist erklärbar, wie z.B. Vernehmungsprotokolle in den Prozessakten landen konnten, in denen Polizisten zugeben, dass sie Steine auf ungeschützte DemonstrantInnen geworfen haben; ja, sogar die Protokolle der Polizisten, die in die Menge geschossen haben und drei DemonstrantInnen z.T. schwer verletzt haben, finden sich in den Akten!
Wenn wir heute auf die Straße gehen, so haben wir eine sehr konkrete Vorstellung davon, was sich ganz schnell ändern muss:
- Sofortige Freilassung aller Gefangenen von Gipfelprotesten
- Weg mit den rein politischen Straftatbeständen Landfriedensbruch, valtsam upplop, violent rioting etc.
- Politische und juristische Konsequenzen für die Polizei, insbesondere für die schießwütige Fraktion
- Sofortiges Ende der EU, insbesondere ihrer kapitalistischen Verwertungslogik und der rassistischen Abschottungspolitik
- Last but not least: Solidarität mit dem Gelöbnix
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Kurzer Überblick über die Situation in Schweden
Die Vorgänge in Göteborg waren in mehrfacher Hinsicht ein absolutes Novum für Schweden. Sowohl das Ausmaß der Proteste wie auch das der Repression sind einmalig in der Nachkriegszeit. Auffällig ist dabei das Missverhältnis bei der Beurteilung der "Schuldfrage" im Bezug auf die Härte der Auseinandersetzungen. So wird den DemonstrantInnen im Allgemeinen noch die Verantwortung für die Schüsse anlastet, die nur zufällig keine Toten unter den DemonstrationsteilnehmerInnen gefordert haben.
Aber es gibt auch eine gegenläufige Entwicklung in Schweden. Bereits einige Monate nach dem Gipfeltreffen wies der Fernsehjournalist Janne Josefsson nach, dass in den Prozessen verwendetes Beweismaterial (Videos) durch die Polizei manipuliert worden war.
Dann musste inzwischen sogar von schwedischen Gerichten anerkannt werden, dass zumindest am ersten Tag die Auseinandersetzungen ausschließlich durch die polizeiliche Räumung des Treffpunktes der Demo-Koordination, der Hvitfeldskaschool, ausgelöst wurden. Håkan Jaldung, der Einsatzleiter Polizei bei dem Angriff auf die Schule, wurde Anfang Juni angeklagt (wobei das Verfahren höchst wahrscheinlich eingestellt werden wird - wie bereits geschehen bei den Beamten, die geschossen haben).
Anfang diesen Jahres wurden im lang erwarteten sog. Carlsson- Bericht (benannt nach dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission, ehemaliger Premierminister) massive Defizite beim Vorgehen der Polizei festgestellt. Weitaus schärfer kritisiert der Amnesty International- Bericht von 2003 die Polizei und verurteilt außerdem das grobe Missverhältnis zwischen der Strafverfolgung von Polizisten und DemonstrantInnen.
Seit Januar gibt es Hungerstreiks in schwedischen Gefängnissen, begonnen von einem Verurteilten aus Protest gegen die fragwürdige Beweislage in seinem Prozess. Er soll einen Göteborger Pflasterstein über 25 m weit geschleudert haben, 7,5 m weiter als ein trainierter Handballspieler laut einer Untersuchung der schwedischen Polizei. Der Verurteilte versuchte daraufhin in einem offenen Brief an den Schwedischen Leichtathletikverband mit Hilfe der Urteilsschrift seine Aufnahme in das Nationalteam zu erwirken. Der Brief blieb allerdings bis jetzt leider unbeantwortet.
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Redebeitrag der Gruppe FelS
In Bewegung bleiben/ Für Bewegung sorgen
Seit dem Ende der 90er Jahre sehen sich die Gipfel von Regierungen der Industriestaaten und internationaler Institutionen mit wachsendem Widerstand konfrontiert. Wie sich gerade wieder im Juni bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Evian gezeigt hat, konnten weder die gezielte, brutale Repression während den Gipfelprotesten noch die neu geschaffene Frontstellung nach dem 11.09 gegen den Terrorismus die Dynamik der Bewegung brechen.
Im Unterschied zu früheren sozialen Bewegungen ist die globalisierungskritische schon von ihrem Ausgangspunkt her internationalistisch. Neben der organisatorischen Vernetzung drückt sich dies auch ihrer inhaltlichen Ausrichtung aus, die Regierungen der Industriestaaten und ihre Institutionen wie IMF, WEF etc. für das globale Ausbeutungsverhältnis verantwortlich macht. Der Protest hat sich also wie das Kapital von der Kategorie Nation gelöst. Ein weiteres, neues Merkmal ist die vielzitierte Pluralität der Bewegung. Diese zeigt sich sowohl in einer Vielzahl von unterschiedlichen Themenspektren als auch politischen Ansätzen, die bei den Gipfelprotesten auf einen gemeinsamen Gegner gerichtet werden. Strategien der Herrschenden, die darauf abzielen von dieser Heterogenität zu profitieren und Teile der Bewegung zu vereinnahmen, sind bisher zumindest weitgehend fehlgeschlagen. Es bestehen zwar unterschiedliche Vorstellungen über Strategien und Aktionsformen, wie z.B. beim Aufruf zu Grossdemonstrationen vs. Gipfelverhinderung des mittels Blockaden zu sehen ist. Doch wird durch die Wahl von Protestformen eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber der bestehenden Ordnung ausgedrückt, die als gemeinsamer inhaltlicher Konsens eine Spaltung noch weitestgehend zu verhindern mochte.
Mit der wachsenden Stärke des Protests wurde das politische Handeln nicht mehr nur an den Zusammenkünften der Mächtigen ausgerichtet, sondern auch eigene, inhaltliche Events veranstaltet. Diese Sozialforen hatten auch eine Bedeutung für die weitere politische Praxis. So gingen vom ESF in Florenz massgebliche Impulse für den globalen Anti-Kriegs-Protest vom 15. Februar aus.
Seit dem Ende der Ost-West-Systemkonkurrenz und der damit einhergehenden tiefen Depression der traditionellen wie Neuen Linken entstand mit dem globalisierungskritischen Protest erstmals wieder eine kontinuierliche Massenbewegung, die ein offensives Vorgehen gegen die globale Restrukturierung kapitalistischer Herrschaft ermöglicht.
Solch ein neues Aufflackern von massivem, sozialem Protest musste jedoch mit scharfer Gegenreaktion des Repressionsapparates rechnen. Dies wurde bei den Protesten in Göteborg und Genua in Extremform sichtbar. Solidarische Strukturen zur Unterstützung von Betroffenen und Eingeknasteten sind deshalb unverzichtbarer Teil linker, politischer Praxis und notwendiger denn je. Den Fokus nach Massenmobilisierung wie Genua aber auf die staatliche Repression zu richten, läuft Gefahr den Protest im Nachhinein als politischen Misserfolg zu verkennen und die Bewegung in einer passiven Opferrolle erscheinen zu lassen. Dabei war gerade Genua ein vorläufiger Höhepunkt einer offensiven, linken Politik. Auch der Blick auf eine nach vorwärts gerichtete Debatte, wie die Weltwirtschaftsordnung weiter angegriffen und delegitimiert werden kann, kann so versperrt werden.
Ein Zweck der angewandten Repression ist die Spaltung. Diese ist trotz der Heterogenität der Bewegung in den meisten Ländern gescheitert. Diese Einigkeit in der Pluralität ist nur möglich, wenn sich die verschiedenen Strömungen auf gemeinsame Lernprozesse einlassen, sich nicht in selbstbezogenen Debatten gegenseitig bekämpfen und sich als Bewegung um die von Repression Betroffenen kümmern. Dass die Bewegung gerade in Deutschland am schwächsten ist, liegt nicht zuletzt an der hierzulande eifrig betriebenen Abgrenzungspolitik und der unsäglichen Gewaltdebatte.
Wir sehen es als Aufgabe der radikalen Linken in eine soziale Bewegung hinein zu intervenieren und sie nicht von einem elitären Standpunkt aus, der nach politischer Reinheit verlangt, abzulehnen. Wer eine radikale gesellschaftliche Veränderung anstrebt, benötigt eine bewegungsorientierte Praxis. Eine intervenierende Haltung heisst konkret, dass die symbolischen Gipfelproteste mit einer lokalen Praxis verknüpft werden müssen. Es darf nicht bei Gipfelhüpfen bleiben, sondern die Dynamik der Bewegung soll in die Kämpfe hier vor Ort gegen imperiale Kriege oder die Agenda 2010 übertragen werden. In diesem Sinne: Für eine linke Strömung, lokal, global und solidarisch.
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Redebeitrag zu Thessaloniki
Thessaloniki? Da war doch was! Dem diejährigen EU-Gipfel in der griechischen Hafenstadt war weit weniger Aufmerksamkeit beschieden als bei solchen Ereignissen normalerweise üblich. Dabei waren die Inhalte von unabschätzbarer Tragweite. Die Vorstellung des Entwurfes zur europäischen Verfassung allein wäre Grund genug, dem Ganzen ähnlich viel Aufmerksamkeit zu widmen, wie etwas den Gipfeln in Göteborg und Genua. Dass dem nicht so war, lässt sich vielleicht mit der, auch bei der Globalisierungskritischen Bewegung eingekehrten, Routine und dem nachlassenden Interesse auf Seiten der Medien erklären. Auch der Fakt, dass viele Aktionen, die während der Proteste gelaufen sind, mehr mit Hooliganismus denn mit politischem Aktionismus vergleichbar waren, hat eher dazu geführt, dass viele nicht mit den Vorfällen in Verbindung gebracht werden wollen. Aber nichts desto trotz, darf aus den Augen verloren werden, dass auch an diesem Wochenende zehntausende Menschen aus unterschiedlichsten Motiven und politischen Hintergründen auf verschiedenste Art und Weise versucht haben, den reibungslosen Ablauf dieses Gipfeltreffen zu behindern. Einem Treffen, auf dem die herrschenden, politischen Eliten dieses Kontinents nicht nur über eine neue Verfassung, sondern auch über die weitere Verschärfung der Migrationskontrolle, über den Aufbau einer europäischen Armee, über die weitere Aufrüstung und Vernetzung der Sicherheitsapparate, über die Aufnahme neuer Staaten in die Union, sowie über unzählige weitere, kleine Themen diskutiert haben. Die Ergebnisse dieser Gespräche, werden unser aller Leben grundlegend betreffen.
Ähnlich wie bei vorherigen Gipfeln war die Antwort der polizei auf die Demonstrationen heftig und brutal. Nachdem sie stundenlang mit Schwaden von Kampfgasen traktiert wurden, wurden mehr als einhundert Menschen verhaftet und später in den Knästen bedroht, geschlagen und misshandelt. Die meisten wurden zwar nach kurzer Zeit wieder ohne Anklagen freigelassen, doch für andere verliefen die Ereignisse nicht so glimpflich. 19 Genossen sind nur gegen eine Kaution von je 1.500 Euro entlassen worden. Der Ausgang der Prozesse ist ungewiss. Zwei weitere wurden wegen angeblichen Waffenbesitzes zu Bewährungsstrafen und einer zusätzlichen Geldstrafe über je 3.000 Euro verurteilt. Immernoch sitzen 7 Genossen in griechischen Gefängnissen und warten auf ihre Prozesse. Bis dahin können noch Monate vergehen. Sie sind mit Anklagen, wie der Mitgliedschaft in bewaffneten Banden, schwerem Landfriedensbruch und Besitz von Explosionskörpern konfrontiert, die zwischen 7 und 25 Jahre Knast bedeuten könne. Die Beweise, die gegen sie vorliegen, sind in wenigstens einem Fall manipuliert. Ein vom griechischen TV-Sender ET3 ausgestrahltes Videoband belegt eindeutig, wie dem Engländer Simon Chapman, drei schwarze Rucksäcke mit sieben Molotowcocktails und einem Hammer, von polizisten während seiner Verhaftung untergeschoben wurden. Auch wenn all das im Vergleich zu den Geschehnissen auf anderen Gipfeln verhältnismäßig wenig ist und wir uns an Nachrichten von auf Polizeistationen gefolterten und erniedrigten menschen, manipulierten und parteiischen Prozessen schon fast gewöhnt haben ...
Jeder Tritt durch einen Schergen ist empörend, jede in Gas gehüllte und in Spalier gequetschte Demonstration nährt nur unsere Wut und fordert eine entsprechende Reaktion. Es ist zynisch Gefangene zu vergessen oder gar zu ignorieren, nur weil sie nicht auf einem der grossen Highlights der Bewegung festgenommen wurden. Auch ihnen gilt all unsere Liebe und Solidarität. Auch sie brauchen dringend briefe, Soli-Aktionen, und Geld. Geld für Anwalts- und Gerichtskosten, tägliche Ausgaben im Knast, oder, um eventuelle Kautionen oder Geldstrafen bezahlen zu können. Also werdet aktiv, schreibt ihnen, macht Soli-Konzerte und sammelt Geld!
WIR SEHEN DIE MAUERN, DIE UNS VONEINANDER TRENNEN! REIßEN WIR SIE EIN!
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Redebeitrag des Republikanischen Anwaltsverein
Für die Aufklärung der Geschehnisse in Genua im Juli 2001
Die Verantwortlichen für Folter und Freiheitsberaubung müssen vor Gericht gestellt werden.
Der Republikanische und Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), ein Zusammenschluß fortschrittlicher Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland, unterstützt ausdrücklich die heutige Demonstration zum zweiten Jahrestag der Geschehnisse in Genua im Juli 2001.
Die Vorfälle auf und nach den Demonstrationen in Genua sind hinlänglich bekannt. Sie sind aber noch lange nicht umfassend aufgeklärt. Zwar weiß man mittlerweile durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Genua, dass der Überfall der Polizei auf die Diaz-Schule ungerechtfertigt war. Von den Leuten in der Schule gingen keinerlei Gefahren oder Angriffen auf irgendjemanden aus. Die Staatsanwaltschaft hatte darüber hinaus ermittelt, dass die Polizeibeamten Beweise fälschten und Falschaussagen zu Dutzenden machten, um einen vorher vorbereiteten und auch in seiner Brutalität geplanten Angriff auf mutmaßliche Teilnehmer an Demonstrationen zu rechtfertigen. Die Führer des Einsatzes und die politischen Hintermänner müssen jedoch noch ermittelt werden. Der Abschluß der Strafverfahren gegen die beteiligten Polizeibeamten ist für diesen Sommer zu erwarten.
Darüber hinaus sind jedoch noch Dutzende von Strafverfahren gegen mutmaßliche Demonstrantinnen anhängig, die an anderen Orten in und außerhalb von Genua verhaftet wurden. Auch diese Personen wurden brutal misshandelt und gefoltert. Allerdings sieht die Beweislage für sie ein wenig schlechter aus. Dazu kommt, dass die italienische Polizei an ihnen ein Exempel statuieren will. Fern ab von rechtsstaatlichen Regeln des Strafrechts und des Strafprozessrechts versucht sie über die Zuordnung von Kleidungsstücken und Demonstrationsutensilien eine Strafbarkeit zu konstruieren. Der sogenannte Black-Block soll nach Auffassung italienischer Polizisten einen kriminelle Vereinigung sein. Zwar gibt es Anzeichen, dass die italienische Staatsanwaltschaft dieses politisch leicht zu durchschauende Spiel nicht mitmachen will. Doch bis zum heutigen Tage sind die Strafverfahren anhängig.
Zwar haben sich einige Grüne und PDS-Politiker sowie Angehörige des Auswärtigen Amtes um die deutschen Verhafteten nach dem 20.07.2001 gekümmert. Doch ansonsten haben sich deutsche Behörden nicht mit Ruhm bekleckert. Innenminister Schily hatte vor dem G8-Gipfel in Genua nicht nur den Ton verschärft, sondern auch wesentlich schärfere Gesetze gegen GlobalisierungskritikerInnen gefordert. In deutschen Polizeidateien sind noch heute Hunderte von Namen von angeblichen GlobalisierungsgegnerInnen gespeichert. Als Speicherungsgrund genügte oft die Personalienfeststellung von ausländischen Polizeien. Bis zum heutigen Tage sind vor deutschen Verwaltungsgerichten Klagen gegen die vor dem Genua- und vor dem Brüssel-Gipfel ausgesprochenen Ausreiseverbote und Meldeauflagen gegen potentielle Demonstranten anhängig. Einige TeilnehmerInnen an den Demonstrationen in Göteborg müssen sich deswegen vor deutschen Strafgerichten rechtfertigen.
Wir fordern
- die Aufklärung der Geschehnisse von Genua 2001
- die Bestrafung der politisch und polizeilich Verantwortlichen
- die Einstellung aller Strafverfahren gegen Demonstranten
- die Löschung von Daten in polizeilichern Dateien in Deutschland und Europa und schließlich
- die Anerkennung eines Demonstrationsrechtes in Europa ohne bürokratische und polizeiliche Behinderungen, ohne Aufrufe zu Repression und ohne polizeiliche Angriffe auf körperliche Integrität und Leben der DemonstrationsteilnehmerInnen.
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck
Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins
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Redebeitrag der Internationalistischen Antirepressionsgruppe Berlin und des Solibündnis ‚Freiheit für Gabi Kanze und andere politische Gefangenen'
Die Repression gegen GlobalisierungskritikerInnen in Göteborg und Genua ist Teil einer sich verschärfenden Repressionswelle gegen Befreiungs- und Klassenkämpfe weltweit. Ein europäisches Laboratorium dieser Repression ist das Baskenland. Dort kriminalisiert der spanische Staat oppositionelle Zeitungen, Gewerkschaften, Jugendorganisationen und soziale Bewegungen mit dem Konstrukt der angeblichen Mitgliedschaft und Unterstützung der ETA. Folter ist an der Tagesordnung. Doch auch im spanischen Staat selber werden Oppositionelle ebenso kriminalisiert, wie jüngst eine Gruppe in Valencia. Die Repression ist schon längst EU-weit vorangekommen.
So wurde die Berliner Sprachlehrerin Gabriele Kanze wegen angeblicher ETA-Unterstützung in der Schweiz verhaftet und im Januar 2003 nach Spanien ausgeliefert. Paolo Elkoro wurde Ende Januar 2003 in Bayern verhaftet und soll ebenfalls wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft an Spanien ausgeliefert werden.
Wir organisieren am 22. Juli ab 20 Uhr im Sama-Cafe in der Samariterstrasse 32 in Berlin-Friedrichshain einen Solidaritätsabend für Gabriele und Paolo mit Film, Infoveranstaltung mit dem Cilip-Mitarbeiter Heiner Busch, den jW-Außenpolitik-Ressortchef Gerd Schumann, Gabis Anwältin Petra Schlagenhauf sowie Ariane und Maria vom Solidaritätskomitee ‚Freiheit für Gabriele Kanze und andere politische Gefangene'. Im Anschluss gibt es eine Soliparty mit lecker Cocktails, Reggae/Ska. Der Erlös ist für Gabys Solidaritätsarbeit und die Prozesskosten.
· Fight EU-Terror!
· Stop the repression in the Basque country!
· Freiheit für Gabriele Kanze und Paolo Elkoro!
Internationalistische Antirepressionsgruppe Berlin und Solidaritätskomitee zur Freilassung von Gabi Kanze und andere politischen Gefangenen
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Raus aus dem Knast, rein in die Demo
Nach den Göteborger Anti-EU-Krawallen verbrachte der Berliner Börn B. 16 Monate hinter schwedischen Gefängnismauern. Morgen demonstriert er wieder: vor der schwedischen und der italienischen Botschaft
"Ich bin kein Opfer. Knast war eine mögliche Konsequenz", sagt Björn. Seine Neuköllner Wohnung ist spartanisch, aber modern eingerichtet. Neben dem Bett liegt ein Buch über Reflexzonenmassage und Nanni Balestrinis "Die Unsichtbaren". Er arbeitet in einem linken Verlag, kümmert sich dort um Anzeigen und Veranstaltungen.
Zwei Jahre sind vergangen, erinnern kann er sich trotzdem noch gut. An die Festnahme im schwedischen Göteborg. Björn B., damals 24 Jahre alt, wurde am 16. Juli 2001 von Spezialeinheiten der Polizei stundenlang observiert und schließlich festgenommen. Zuvor hatte die zweitgrößte Stadt Schwedens die bislang schwersten Ausschreitungen in der jüngeren Geschichte des Landes erlebt.
Anlässlich eines EU-Gipfel waren fast 20.000 Demonstranten angereist. Attac, Gewerkschafter und kommunistische Gruppen protestierten drei Tage lang gegen Neoliberalismus und die Festung Europa. Ebenfalls dabei waren militante Linksradikale - die Behörden rechneten 500 Personen zum schwarzen Block. Auch Björn, der mit dem Auto aus Berlin gekommen war.
Die Anklage warf ihm vor, sich vermummt, behelmt und mit einem Stock bewaffnet an Angriffen auf Polizisten beteiligt zu haben. "Wenn mich ein Polizist schlägt, wehre ich mich", sagt er. Dass er bei den Krawallen dabei war, leugnet er nicht. Trotzdem sei er für Sachen verurteilt worden, die er nicht begangen habe. Seine Verurteilung beruht auf der Aussage eines Zivilpolizisten, der in sieben weiteren Verfahren Zeuge der Anklage war.
Geduldig zeigt und erklärt Björn Fernsehmitschnitte der Auseinandersetzungen. Die schwedischen Behörden waren sichtlich überfordert. Über 20 Personen aus halb Europa wurden zu Haftstrafen zwischen 6 Monaten und 2 Jahren verurteilt. Der öffentliche Druck war groß. Auf "valdsamt upplopp" - gewaltsamen Auflauf - stehen bis zu zehn Jahre Knast. Die schwedischen Strafen waren nicht nur die härtesten im Zusammenhang mit Anti-Globalisierungs-Protesten. Während der Proteste hatte die Polizei auch scharf geschossen. Zwei Jugendliche überlebten schwer verletzt. Die Richter der zweiten Instanz korrigierten auch Björns Urteil nach oben. Zwei Jahre geschlossener Vollzug. Freunde sammelten Spenden, schickten Pakete und organisierten Besuche.
Vier Wochen später starb Carlo Giuliani im italienischen Genua bei Krawallen durch einen Kopfschuss. Über 250.000 Menschen demonstrierten dort gegen den G-8-Gipfel. Einige von ihnen gehen morgen - am zweiten Todestag Giulianis - in Berlin auf die Straße. Sie fordern die Freiheit der verbliebenen Gefangenen von Göteborg und Genua.
Am 17. Oktober letzten Jahres wurde Björn entlassen. Er hatte 16 Monate - genau zwei Drittel seiner Strafe - abgesessen. Den größten Teil in einer Vollzugsanstalt für Schwerstkriminelle außerhalb Göteborgs. "Fluchtgefahr", hieß es bei Gericht. "Durch die Medien kannten viele Häftlinge meinen Fall, ich hatte ein hohes Ansehen", erzählt er. Problematisch seien die Besuche der Eltern gewesen. Reise und Unterkunft waren nicht billig. Sein Vater ist seit Jahren arbeitslos, die Mutter Krankenpflegerin. Die Familie wohnt in Schöneberg. Hier ging Björn zur Schule, brach ab, engagierte sich in zahlreichen Antifa-Gruppen und zog nach Friedrichshain in ein besetzes Haus. Politik wurde ihm immer wichtiger. Nebenbei arbeitete er in einem Kinderladen, später als Kurier und Hilfskraft.
Bei der morgigen Demo wird er dabei sein. Auch bei weiteren Gipfelprotesten? "Ja, ich glaube schon."" HANNES HEINE
Die Demo "Von Göteborg nach Genua" beginnt um 14 Uhr an der Botschaft Italiens, Hiroshimastraße 1, und führt zur schwedischen Vertretung
HANNES HEINE
[taz Berlin lokal Nr. 7108 vom 19.7.2003, Seite 30]
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2 JAHRE GENUA - antirep-spaziergang in zürich
STOPP DER KRIMINALISIERUNG VON POLITISCHEN AKTIVISTINNEN
vor zwei jahren demonstrierten in Genua 100'000e gegen den G8-gipfel. höhepunkt der massiven staatlichen repression war die ermordung carlo giulianis. es sind, wie auch in göteborg und thessaloniki, immer noch personen auf ungewisse zeit eingeknastet. wehren wir uns gegen die verschärfte kriminalisierung politischer aktivistinnen.
gestern samstag fand in zürich ein antirep-spaziergang statt. es waren nicht viele leute anwesend, da ziemlich spontan für diesen anlass mobilisiert wurde. es wurden einige reden gehalten und als die menschenmenge eine brücke richtung italienischem konsulat überqueren wollte, sperrten die bullen die brücke ab.
hier ein ausschnitt aus den reden: "in göteborg und genua wurde die bewegung auf ein feindbild reduziert: das konstrukt "black bloc". dies gehört zu einer strategie der spaltung des protestes. es gibt aber bei den anti-globalisierungsbewegung wie z.b. disobbendiente (ehemals tute bianche) ganz klare spaltungsversuche ihrerseits. z.b. in genua, als leute von disobbediente keine "schwarz" angezogenen leute mehr ins station zum ausruhen reinliessen. oder sie "schwarz" gekleidete leute als faschistinnen beschimpften und der bevölkerung genuas erzählen wollten, dass der black bloc schuld an carlos tod sei, und dass die polizei so gewaltsam gegen demonstrantinnen losgegangen sei. weiter gibt es unter ihnen viele, dessen hauptziel darin besteht, an der spitze der bewegung zu stehen. sie wollen die bewegung in ihre richtung lenken. so verteilten sie bei demos flugblätter mit "regeln" drauf, dass keine "individullen" aktionen toleriert werden. es gibt sogar mit den bullen und medien vorbesprochene und getäuschte auseinandersetzungen mit der polizei. es ist alles genaustens mit der polizei abgesprochen, wann die bullen angreifen, und wann sie dann gegenangreifen. sie denken so können sie den protest vorantreiben. vor den medien stellen sie sich als die organisatorinnen des protestes dar."
- sofortige freilassung der gefangenen von göteborg, genua und thessaloniki
- freispruch für unsere genossin andi
- freiheit für marco camenisch
- keine räumung besetzter häuser
- für eine gesellschaft ohne knäste
- freiheit für marina und vincenzo
Zürich im juli 2003
[anarchistisch/revolutionäres bündnis zürich]
Source: Gipfelsoli