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2007-08-07

Interview mit Haidi Giuliani

Ende Juli 2007 war der 6.Jahrestag der Anti-G8-Proteste in Genua und der Erschießung des G8-Gegners Carlo Giuliani durch einen Carabiniere am 20.7.2001. Aus diesem Anlass gab es wiederum mehrere Kundgebungen und Aktionen des Restes der italienischen Antiglobalisierungsbewegung. Die unabhängige linksradikale Tageszeitung „il manifesto“ ergriff die Gelegenheit und befragte Carlos Mutter Haidi Giuliani nach dem Stand der politischen und juristischen Aufarbeitung der damaligen Ereignisse und dem Zustand der Bewegung.

2001

Haidi Giuliani (geboren am 11.5.1944), heute im Ruhestand befindliche ehemalige Grundschullehrerin, rückte am 12.10.2006 als parteilose Linke für Rifondazione Comunista (PRC) in den italienischen Senat nach, um sich dort vor allem der Aufklärung und politischen Aufarbeitung der Polizeiübergriffe in Genua sowie ähnlich gelagerter Fälle zu widmen. Der zunehmende Anbiederungskurs, den die Führung der frischgebackenen Regierungspartei Rifondazione verfolgt, wird von ihr zunehmend scharf kritisiert. Wegen ihrer in dem folgenden Interview für die „il manifesto“ vom 18.7.2007 getroffenen Feststellung,„dass es unter den Ordnungskräften Verbrecher gibt, die dem Hass und der Unterdrückung verfallen sind“, wurde sie noch am selben Tag vom Generalsekretär der 1992 gegründeten, stramm rechten Polizeigewerkschaft „Koordination für die gewerkschaftliche Unabhängigkeit der Polizeikräfte“ (COISP), Franco Maccari, bei der Staatsanwaltschaft Rom angezeigt.

Interview:

„Ordnungskräfte? Müssen verändert werden!“

Es spricht Haidi Giuliani (Senatorin des PRC): „Wenn Genua in Vergessenheit gerät, haben wir verloren.“

Giacomo Russo Spena – Rom

„Die einzelnen Abteilungen der Ordnungskräfte sind im Faschismus erzogen worden.“ Nach der Repression, die die Demonstranten beim G8-Gipfel in Genua erlitten, erwartet Haidi Giuliani, die Senatorin des Partito della Rifondazione Comunista (PRC), vor allem aber die Mutter von Carlo, Gerechtigkeit. Jener 20.Juli 2001, der Tag an dem ihr Sohn getötet wurde, hat ihr Leben verändert. Aber sie hat es verstanden, darauf zu reagieren. Sie hat den Weg des Kampfes gewählt, um die Wahrheit über jene finsteren Seiten der italienischen Demokratie ans Tageslicht zu befördern, so dass sie nun zu einem der Symbole jener Bewegung geworden ist, die in Genua demonstrierte. Ihr Engagement wurde in diesen Jahren nicht nur vom mütterlichen Schmerz über den viel zu frühen und ungerechten Tod des Kindes diktiert, sondern auch von ihren sozialen Überzeugungen: zu verhindern, dass sich ein ähnlicher Wahnsinn in Zukunft wiederholen kann. Wir trafen sie bei der offiziellen Präsentation des Videos „Op Genova 2001“, die im Palazzo Madama stattfand (und über die „il manifesto“ im Vorfeld bereits berichtete).

Das Video zeigt, dass es die Beamten waren, die die öffentliche Ordnung in die Krise brachten. Warum wird eine solche Aggression organisiert?

„Man musste das Volk von Genua wegen des innovativen und konfliktbereiten Drucks verhaften, den es ausübte. Die Macht fürchtete und fürchtet die Gegengipfel so sehr, dass sie nur mit Repression darauf antworten kann. Die Antiglobalisierungsbewegung wurde nämlich auch schon vorher bei anderen Gelegenheiten attackiert. Ich erinnere mich daran wie im Juni 2001 – also einen Monat zuvor – mit eiserner Hand gegen die Demonstranten in Göteborg vorgegangen wurde, wo ein Polizist auf einen Jungen schoss, der durch ein Wunder überlebte. Das ist eine von den Mächtigen beschlossene internationale Anweisung: Für die Antiglobalisierungsbewegung darf es keinen Raum geben. Dann ist da mit Sicherheit die italienische Besonderheit. Unsere Ordnungskräfte wollten eine Lektion von unerhörter Gewalt erteilen: Zusammenschlagen, Übergriffe, Lynchaktionen und Demütigungen. Das Ende der Zivilisation. Einer der Gründe für diesen Wahnsinn findet sich auch in unserer Geschichte. Jedes Mal, wenn das kommunistische oder das katholische Lager eine Übereinstimmung erzielt haben, hat der Staat in brutaler Weise darauf reagiert, weil er ihre Forderungen fürchtete.“

Besaß bei dem Wahnsinn auch die kulturelle Prädisposition ((Vorbereitung / Veranlagung)) der Beamten gegenüber den Demonstranten Gewicht?

„Absolut ja. Es genügt sich all die rechten Wimpel anzusehen, die in den Kasernen aushängen. Zum Willen einer starken sozialen Kontrolle kommen an Faschismus erkrankte Apparate. So kommt es, dass es unter den Ordnungskräften Verbrecher gibt, die dem Hass und der Unterdrückung verfallen sind. Die Ermordungen von Dax ((Davide Cesare am 16.3.2003)) in Mailand und von Renato Biagetti ((am 27.8.2006)) in Rom durch Faschisten sind beispielhaft dafür. Im Falle von Dax hat die Polizei die Genossen, die sich im Krankenhaus einfanden, um seiner zu gedenken, brutal angegriffen. Im Biagetti-Prozess sind seine letzten Aussagen auf mysteriöse Weise verschwunden, um einen der Angreifer (nicht zufällig der Sohn eines Carabiniere) zu retten.“

Welchen Empfang erwarten Sie sich von Ihrer Stadt angesichts der Mobilisierungen dieses Jahres?

„Das Problem ist die Angst, die von den Medien und der öffentlichen Meinung geschürt wird. Bereits während der Tage des G8-Gipfels wurde eine Desinformationskampagne auf die Beine gestellt. Die Genuesen waren damals zu Tode erschrocken. Die Stadt war in jenen Tagen zur Hälfte wie ausgestorben. Erst 6 Monate später, als allen klar war, dass es eine Suspendierung des Rechtsstaates gegeben hatte, ist ganz Genua auf die Straße gegangen. Dann aber hat der Alarmismus ((das Verbreiten von Katastrophenstimmung)) gewonnen. Jetzt hat die Stadt ihr Urteil über das was damals geschah, suspendiert. Die Leute sind noch immer erschüttert.“

An welchem Punkt befindet sich die parlamentarische Untersuchungskommission über die Geschehnisse in Genua?

„Man wartet ab. Im Augenblick hat die Regierung andere Prioritäten, wie z.B. das Wahlgesetz. Die Kommission ist in jedem Fall ein wichtiges Instrument, sowohl um Gerechtigkeit zu erlangen als auch um das Land zum Nachdenken zu bewegen. Jene Tage dürfen nicht vergessen werden oder wir haben verloren.“

Wieso hat die Kommission so große Schwierigkeiten, sich zu konstituieren?

„Die Bewegungen bereiten allen Unannehmlichkeiten. Sie sind das kritische Bewusstsein des Landes. So hat der moderate Flügel der Mitte-Links-Union den Weg der Äquidistanz beschritten und verurteilt die Polizisten, die sich falsch verhalten und die Demonstranten, die darauf reagiert haben. Diese Position ist eine Absurdität. Die Demonstranten hatten alles Recht der Welt, sich zu verteidigen und vor allem das Recht darauf nicht gedemütigt, zusammengeschlagen, gefoltert und vergewaltigt zu werden. Ich empfehle denjenigen, die den Weg der Äquidistanz gewählt haben, das Buch ‚Was sich ändert’ von Roberto Ferrucci zu lesen.“

Der PRC hat den neuen Polizeichef Manganelli freundlich empfangen. Was meinen Sie dazu?

„Das ist ein völlig falsches Verhalten. Manganelli hat, kaum dass er auf den Posten gesetzt wurde, behauptet, dass er denselben Weg wie sein Vorgänger De Gennaro weitergehen wolle. Den Weg dessen, der die Verantwortlichen für den Wahnsinn gegenüber den Demonstranten auf höhere Ränge befördert hat. Zwischen den beiden gibt es eine deutliche Kontinuität. Er wird erst dann mein Wohlgefallen finden, wenn alle Polizisten, die während des G8-Gipfels geprügelt haben, suspendiert werden. Der einzige Sieg für das Land wäre eine Erneuerung aller Ordnungskräfte durch die Verbreitung einer zivilen und demokratischen Kultur in ihren internen Apparaten.“

((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: * Rosso))

Der Name Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat (siehe: http://www.freewebtown.com/antifauni/ Rubrik „Aktuelles“).

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