Die Verhaftung des prominenten Globalisierungskritikers Francesco Caruso und weiterer 19 italienischer New Globals unmittelbar nach dem erfolgreich verlaufenen Europaeischen Sozialforum (ESF) in Florenz hat in Italien für heftige Kritik gesorgt. Pikanterweise wird die Aktion der Staatsanwaltschaft Cosenza, die sich auf den 1930 von Mussolini eingefuehrten Strafgesetzparagraphen 270 stuetzt ("Politische Verschwoerung durch Vereinigung zum Ziele, die Ausuebung der Regierungsfunktionen zu stoeren, subversive Propaganda zu verbreiten und die bestehende Wirtschaftsordnung des Staates gewaltsam zu unterwandern") nicht nur von der Opposition abgelehnt. Selbst Hardliner wie Ignazio La Russa von der postfaschistischen Alleanza Nazionale und der exzentrische Lega Nord-Fuehrer Umberto Bossi sprechen sich vorbehaltlos gegen eine strafrechtliche Verfolgung wegen politischer Meinungen aus.
Innenminister Pisanu (Forza Italia) warnt sogar davor, den "in Florenz begonnenen positiven Dialog" mit der New Global- Bewegung zu gefaehrden.
Auf wessen Betreiben aber ist die Verhaftung zustande gekommen und wem nutzt sie? Dass hinter den Verhaftungen Anti-Terror-Ermittler der Polizei stehen, ist kein Geheimnis. Genau diese Abteilungen sehen sich wegen ihres teils brutalen Vorgehens gegen Globalisierungsgegner in Genua waehrend des G 8- Gipfels im Vorjahr weiter oeffentlicher Kritik ausgesetzt. In Genua sind Prozesse gegen Angehoerige der Sicherheitskraefte wegen Amtsmissbrauchs und uebertriebener Haerte angelaufen. In Neapel hat die Staatsanwaltschaft aehnliche Verfahren gegen etwa hundert Beamte eingeleitet.
Es ist daher nicht ganz abwegig, die Verhaftung Carusos und seiner Mitstreiter als juristische Gegenoffensive der Carabinieri anzusehen, die den Kameraden auf der Anklagebank den Ruecken staerken soll. Immerhin absolvierten die Kriminalbeamten bei ihrer monatelangen Suche nach einem bereitwilligen Staatsanwalt einen regelrechten Giro d'Italia, da das vorgelegte "Belastungsmaterial" - Mitschriften abgehoerter Telefonate und V-Mann-Berichte - von diversen Staatsanwaltschaften für unbrauchbar erklaert wurde. Darueber hinaus laesst sich eine Kausalitaet zwischen der riesigen Florentiner Friedensdemonstration und der spektakulaeren Verhaftung der Globalisierungskritiker, die im Hochsicherheitsgefaengnis Trani sitzen, kaum uebersehen. Nicht nur Fausto Bertinotti, der Chef von Rifondazione Comunista, hat ein "aufkommendes Kriegsklima in Italien" angeprangert. In Washington und London, wo die Vorbereitungen auf einen Irak-Krieg fast abgeschlossen sind, duerften die pazifistischen Signale aus der Toskana wenig Freude ausloesen. Fuer Bush und Blair ist der breite Konsens von Florenz ein viel gefaehrlicherer Gegner als Saddam Hussein. Gelingt es nicht, diese Allianz des Friedens - etwa durch Kriminalisierung ihrer Sprecher - im Keim zu ersticken, wird ihnen das Kriegsspiel am Ende gaenzlich verleidet.
[Aus Der Freitag, Nr. 48 v. 22.11.2002; http://www.freitag.de/]