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2002-08-18

Heidi Lippmann: Bericht ueber meinen Besuch im Marassi- und Pontedecimo-Gefaengnis am 16. und 17. August

Gespraeche mit allen 15 deutschen Inhaftierten,
Anwalt, Staatsanwalt, EA und Angehoerigen. Details zu den Indizien gegen die
10er Gruppe.Politische Forderungen

Reisebericht II – Genua von MdB Heidi Lippmann
eMail: heidi.lippmann@bundestag.de

Im Nachgang zu meiner Genuareise vom 31.7.-2.8.01 reiste ich am
16./17.8.01 erneut nach Genua, um die dort inhaftierten deutschen
Gefangenen zu besuchen. Begleitet wurde ich wiederum von Frau
Generalkonsulin Mayer-Schmalburg, die an den Gespraechen mit den
Gefaengnisleitungen und der Staatsanwaltschaft beteiligt war. Im
Mittelpunkt meines derzeitigen Besuchs standen

  • zwei Besuche bei den 7 weiblichen Inhaftierten in Pontedecimo
  • Gespraeche mit den 9, nach der Entlassung von Christian aus
    Oberhausen, jetzt noch 8 maennlichen Gefangenen im Marassi-Gefaengnis
  • Gespraech mit einem Anwalt der 10er Gruppe
  • Gespraech mit dem Leitenden Staatsanwalt Pellegrino
  • Gespraech mit Angehoerigen und dem EA Genova

Die Ausgangslage
Von den bei meinem ersten Besuch urspruenglich 51 im Rahmen des
G-8-Gipfels Inhaftierten sind zwischenzeitlich bis auf 15 deutsche
Staatsangehoerige alle anderen nach positiver Haftbeschwerde entlassen
und bis auf die beiden italienischen Inhaftierten abgeschoben worden.
Dieses betrifft neben den Angehoerigen der internationalen
Volx-Theatergruppe (No-Border-Karawane) – darunter die beiden in
OEsterreich lebenden bzw. studierenden deutschen Staatsangehoerigen
Martin
und Robert – Angela und Christian aus Oberhausen, Joachim aus Muenchen
und drei junge Maenner aus dem saechsischen Freiberg. Christian wurde
im
Anschluss an meinen Besuch im Marassi-Gefaengnis entlassen und per
Flugzeug abgeschoben, so dass ich vorher noch die Moeglichkeit hatte
mit
ihm zu reden.

Angeklagt waren oder sind fast alle wegen Zerstoerung und
Pluenderung (§
419) und Mitgliedschaft im sog. Black Bloc, einer laut italienischer
Justiz “kriminellen Vereinigung” (§ 416). Alle bis auf einen, der bei
dem UEberfall auf die Schola Diaz verhaftet wurden, wurden am Sonntag
oder Montag nach den Gipfelveranstaltungen in oder außerhalb Genuas
festgenommen. (Siehe meinen 1. Reisebericht vom 8.8.2001)

Bei den 15 deutschen Staatsangehoerigen wurde die Haftbeschwerde
abgelehnt und der weitere Vollzug von Untersuchungshaft angeordnet.
Hierbei handelt es sich um die 10er-Gruppe :

  • Alexandra, 27, Psychologiestudentin, Berlin
  • Almut, 25, Studentin, Berlin
  • Ulrike, 26, Arbeiterin, Berlin
  • Christine, 24, Studentin, Berlin
  • Petra, 31, Mutter, Berlin
  • Inge, 31, Masseurin, Bremen
  • Mona, 27, Promotions-Studentin Bremen
  • Sven, Bremen
  • Hendrik, Leverkusen
  • Karsten, Bochum
    Sowie um:
  • Michael, 20, Leipzig
  • Michael David, 20, Leipzig
  • Peter, 18, Leipzig
  • Viktor, Berlin
  • Bjoern, 18, Abiturient, Schwelm

Haftbedingungen:
Pontedecimo
- Die Haftbedingungen der 7 Frauen sind unveraendert und
vergleichsweise
gut. Sie haben dreimal taeglich die Moeglichkeit zum gemeinsamen
Freigang, sind in 2 sich gegenueberliegenden Zellen untergebracht (1
x 3,
1 × 4 Frauen), Kontaktmoeglichkeiten nach außen (1 Telefonat pro
Woche,
Besuche, Briefe) entsprechen den Regeln des ital. Strafvollzugs.
Kontakte zu anderen
Mitgefangenen sind moeglich, von denen viele sich solidarisch
verhalten.

Marassi
- Die neun Maenner sind in einer Gemeinschaftszelle untergebracht,
durch
die Entlassung von Christian jetzt zu acht. Ansonsten sind die
Haftbedingungen sehr eng an die Strafvollzugsregelungen angelehnt bzw.
liegen darunter, die Freigangmoeglichkeiten werden auf maximal 40
Minuten taeglich beschraenkt. Die aerztliche Versorgung laesst zu
wuenschen
uebrig, darueber hinaus gibt es Schwierigkeiten mit einigen
Vollzugsbeamten. Hierueber sprachen wir mit der Gefaengnisdirektorin.
Die
psychische Situation mehrere Gefangener ist durch die in Folge der
physischen und psychischen Misshandlungen ausgeloesten
Traumatisierungen
waehrend der Verhaftung und im Polizeigewahrsam und durch die
Haftbedingungen beeintraechtigt. Eine psychologische Betreuung, z.B.
durch erfahrene Vertreter von Organisationen fuer Folteropfer waere
wuenschenswert.

Besuchsmoeglichkeiten
Waehrend zwischenzeitlich auch Freunde und entferntere Verwandte
(Cousins, Cousinen) Besuchesgenehmigungen der Staatsanwaltschaft
Genua
erhielten, wurden diese in den vergangenen Tagen auf naechste
Angehoerige
(Eltern, Geschwister, Ehegatten) begrenzt. Im Gespraech mit dem
Staatsanwalt gelang eine Verstaendigung dahingehend, dass kuenftig
auch
weiterhin Besuche von Freunden genehmigt werden, wenn diese eine
entsprechende Bestaetigung von Eltern vorgelegen koennen, die ihre
Besuchsmoeglichkeit nicht wahrnehmen koennen.

Sprachliche Probleme
Dabei wurde noch einmal deutlich, dass die mangelnde sprachliche
Verstaendigung ein schwerwiegendes Problem darstellt. So wurde bei den
muendlichen Verhandlungen nur teilweise ins Deutsche uebersetzt, die
Qualitaet der UEbersetzung war teilweise sehr schlecht. Auch die
Kommunikation mit den Anwaelten gestaltet sich durch fehlende
Italienischkenntnisse der Inhaftierten muehlselig. Die meisten
Dokumente,
wie z.B. der Haftbefehl, die Anklagepunkte, das Ergebnis der
Haftbeschwerde werden lediglich in italienischer Sprache ausgefertigt.
Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden und die Bundesregierung
ist
aufgefordert, dahingehend zu intervenieren, dass alle amtlichen
Schriftstuecke in die deutsche Sprache uebersetzt werden sowie den
Angeklagten waehrend der Verhoere und muendlichen Verhandlungen
adaequate
Dolmetscher zur Verfuegung gestellt werden.

Die Anklage am Beispiel der 10er-Gruppe
Ausfuehrlich besprach ich mit den 10 Inhaftierten, deren
Haftbeschwerde
als erstes abgelehnt wurde, und ihrem Anwalt und teilweise mit dem
Staatsanwalt die gegen sie erhobenen Vorwuerfe, die ausschließlich auf
Indizien beruhen.

In der Ablehnung der Haftbeschwerde wird festgestellt, dass gegen sie
nach Art. 274 der ital. Strafprozessordnung Haftgruende bestehen.
Demnach
liegen gegen sie gravierende Indizien vor, die eine Zugehoerigkeit zum
“Black Bloc” vermuten lassen. Es wird festgestellt, dass in ihren
Fahrzeugen sog. suspekte Gegenstaende sichergestellt wurden, sie ihre
Anwesenheit in Genua an den Tagen des G8-Gipfeltreffens nicht
ueberzeugend und schluessig erklaeren konnten. Infolgedessen wird
vermutet,
dass sie an den sog. Krawallen und Verwuestungen des “Black Bloc” in
Genua beteiligt waren.

Es folgen einige Definitionen des “Black Bloc”, einige Hinweise zu
seiner Geschichte, seiner Gliederung sowie Hierarchie, seiner
Kampftaktik und seinen Zielsetzungen, die zum großen Teil aus dem
Internet stammen, jedoch von Staatsanwalt und Ermittlungsrichter als
Grundlage genommen werden. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wird der
Schluss gezogen, dass der “Black Bloc” als kriminelle Vereinigung
(Art.
416 des italalienischen Strafgesetzbuchs = Codice Penale, kurz CP)
anzusehen ist.
Daraus folgt, was die reinen Indizien angeht, dass es in Beug auf den
§
416 CP hinreichend erscheint, den Black Bloc unter den Tatbestand
“Associazione per delinquere”, § 419 CP einzuordnen, d.h. “Gruppen von
Personen, die sich mit krimineller Zielsetzung (Zerstoerung)
zusammengeschlossen haben und die gemeinsame Interessen haben (Kampf
gegen Globalisierung indem sie Eigentum zerstoeren, staedtisches
Zubehoer
in Waffen verwandeln, sich unter die Demonstranten mischen, mit dem
Ziel
eine starke Solidaritaet herzustellen, die sie ihrerseits
demonstrieren)
auch unabhaengig und außerhalb der effektiven Ausfuehrung einzelner
vorprogrammierter Straftaten, weshalb keine komplexe Organisation der
Mittel vonnoeten ist, es reicht auch eine einfache, elementare
Vorbereitung der Mittel…”

In dem vorliegenden Fall muss das Gericht auf Antrag der
Staatsanwaltschaft und mit Zustimmung der Ermittlungsrichter pruefen,
ob
schwerwiegende und uebereinstimmende Indizien gegen die Beschuldigten
vorliegen, die den Straftatbestand der kriminellen Vereinigung
bestaetigen.
In dem Text folgt pauschal eine Beschreibung der vom “Black Bloc” in
Genua angerichteten Verwuestungen. Es folgt eine Auflistung von
sichergestellten Gegenstaenden mit dem mutmaßlichen Verwendungszweck.

Zur Erinnerung: Die 10 sind 2 Tage nach Beendigung der
Gipfelveranstaltungen 40 km außerhalb von Genua festgenommen worden,
wo
sie am Rande einer Straße ihre 2 Campingmobile (1 umgebauter
UPS-Transporter, ein aehnlicher Mercedes-Transporter, beide aelteren
Datums, einer mit dem Symbol der Toten Hosen verziert) geparkt hatten
und dabei waren, zu kochen. Dass sie sich abseits der offiziellen
Touristenrouten und nicht auf einem oeffentlichen Campingplatz wird
als
suspekt bewertet.

Die Indizien
Durch Recherchen der Rechtsanwaelte stellte sich jetzt heraus, wie
selektiv Gegenstaende, deren Besitz den Gefangenen als schwerwiegende
Vorwuerfe unterstellt werden, beschlagnahmt wurden. Ich bin von den
Inhaftierten und ihrer anwaltlichen Vertretung autorisiert, die
folgende
Liste der Indizien zu veroeffentlichen mit dem jeweiligen mutmaßlichen
Verwendungszweck (kursiv) und Erklaerungen, die die Inhaftierten, ihre
Anwaelte und eine Mutter mir gegenueber gemacht haben. Zum Teil
wurden die
Argumente bereits vor Gericht vorgetragen. Da den Gefangenen keine
Protokolle ihrer Aussagen vorliegen, ist eine richtige Wiedergabe
nicht
ueberpruefbar. Grundlage fuer die folgenden Ausfuehrungen ist eine
Inhaltsangabe des Auswaertigen Amtes, die Frau Generalkonsulin
Meyer-Schalburg den Gefangenen aushaendigte (ohne Gewaehr) und die
sie mir
mit Anmerkungen versehen zurueckgaben sowie eine UEbersetzung der
Haftbeschwerde. Die Erklaerungen sind fett gedruckt:

1. Flugblaetter und Informationsmaterial
Beweis fuer Zugehoerigkeit zu Demonstrantengruppen, aber auch
zum “Black
Bloc”, da dessen Mitglieder sich unter “normale” Protestierende zu
mischen versuchen

2. Infomaterial und Stadtplaene von Genua
Indiz fuer die Notwendigkeit, sich in Genua gut bewegen zu koennen

3. Infomaterial zur medizinischen Versorgung und zu juristischem
Beistand nach eventuellen Zusammenstoeßen mit der Polizei
Kein Beweis fuer die Zugehoerigkeit zum “Black Bloc”, jedoch fuer die
Bereitschaft, zu einer koerperlichen Konfrontation mit der Polizei zu
kommen.

Alle Inhaftierten haben erklaert, dass sie sich – wie ueber 200.000
anderer Menschen – in Genua aufhielten, um an den verschiedenen
Veranstaltungen teilzunehmen. Die o.g. “Indizien” wurden ebenso wie
Flugblaetter verschiedenster Gruppen ueberall in der Stadt verteilt.
Es
war quasi eine Sammlung von Infos, deren Inhalt zum großen Teil
aufgrund
der Sprache nicht verstanden wurde. Darueber hinaus ist es eine
Selbstverstaendlichkeit, Karten und Stadtplaene dabeizuhaben, wenn man
sich in einer fremden Stadt bewegt.

4. Eine betraechtliche Anzahl von zu Waffen umfunktionierbaren
Gegenstaenden, wie z.B. Zimmermannshammer, große Dietriche,
Brechstangen, Englaender, Ketten, Steine und kleinere Messer (all
diese
Werkzeuge waeren als Campingausruestung ungeeignet)
Schwerwiegende Indizien
Die Hammer koennten benutzt worden sein, um Schaufenster oder
Autoscheiben einzuschlagen, die Brechstangen, um Tueren auszuhebeln
und
Pflastersteine herauszubrechen; die Steine als Geschosse fuer
Schleudern

Vorab sei festgestellt, dass die Festgenommen mit den 2
Campingmobilen
fuer mehrere Wochen unterwegs sein wollten und eine komplette
Campingausruestung einschließlich eines großen Zeltes bei sich
hatten. Da
es sich um alte Fahrzeuge handelt, waren zwei große Werkzeugkisten an
Bord, in denen sich u.a. auch Hammer, z.B. fuer Reparaturen an der
Bremstrommel oder auch zum Einschlagen von Zelt-Heringen Zelt
befanden.
Laut Erklaerung der Mutter eines der Gefangenen handelt es sich um ein
Sammelsurium von Werkzeugen aus dem Bestand ihres Mannes, der 40 Jahre
bei einem Autohersteller gearbeitet hat.
Bei den “Steinen” handelt es sich um kleine Ziersteine in einem
ungeoeffneten Netz, noch mit Preisschild ausgezeichnet, der groeßere
Stein
war am Strand aufgesammelt worden und sollte ein Mitbringsel fuer die
Tochter von Petra werden.
Die “kleineren Messer” waren dem Besteckkasten entnommen, in dem sich
natuerlich auch Loeffel und Gabel befanden…

5. Geraet fuer den persoenlichen Schutz und die medizinische
Selbstversorgung
Schwerwiegendes Indiz, da die Mittel zum persoenlichen Schutz und
insbesondere die zum Beinschutz den aktiven Plan voraussetzen bis zur
koerperlicher Auseinandersetzung mit dem Gegner zu gehen.

Bei einer Gruppe von 10 Personen, die mehrere Wochen unterwegs ist,
waere es fahrlaessig, keine Reiseapotheke dabei zu haben.
Bei dem “Beinschutz” handelt es sich um ein paar Wadenschoner, die
gern
von Fußballern benutzt werden. Und auch hier wieder – ein paar
Wadenschoner fuer 10 Personen …

6. Eine groeßere Anzahl von schwarzen Kleidungsstuecken und Mitteln
der
Verkleidung wie Hasskappen, Schals und Peruecken
Schwerwiegendes Indiz fuer die gegenseitige Erkennung und zur
Vermummung

Die Erklaerung der 10 Beschuldigten, dass schwarze Kleidungsstuecke
und
auch Kapuzenpullover normale Bekleidungsstuecke seien, ließ das
Gericht
ebenso wenig gelten wie die, dass der Besitz 1 Hasskappe und 1
Peruecke
(im uebrigen zu Verkleidungszwecken) zur Vermummung von 10 Personen ja
wohl ungeeignet seien. Und auch die dicken schwarzen
Bekleidungsstuecke
“trotz sommerlichen Wetters” sind erklaerbar, wenn man im kuehlen
Deutschland losfaehrt und laengere Zeit unterwegs sein will.

7. Dosen und Flaschen mit Lacksprays
Ein weiteres schwerwiegendendes Indiz, das unter die Takik des “Black
Bloc” faellt, die Waende der Stadt als Tafeln fuer ihre Parolen zu
nutzen.
Und 4 Spraydosen mit schwarzem, rotem und blauen Lack sind voellig
unverhaeltnismaeßig und mit der beim Verhoer angegebenen
Rechtfertigung,
die Camper neu zu lackieren, nicht vereinbar

Die Aussage hierzu lautet, die Farben fuer Ausbesserungsarbeiten und
nicht fuer eine Neulackierung nutzen zu wollen. UEbrigens, die Dosen
waren
zum Teil noch original verpackt, ausschließlich in den Farben der 2
Campingmobile. Dass auch Lackierrollen und Pinsel an Bord waren,
stellten erst die Rechtsanwaelte fest…

8. Ein Film mit 17 Fotos
Schwerwiegendes Indiz, da es von der Anwesenheit eines Teils der
Beschuldigten am Ort der Aktionen des “Black Bloc” zeugt.
Fotos einiger der Beschuldigten neben einem umgestuerzten und in
Brand
gesteckten Auto, von einem zerstoerten Bancomaten und von der Fassade
einer Bank, von Vermummten sind Indizien fuer die Dokumentierung der
Aktionen des “Black Bloc” und von kriegerischen Ritualen und koennen
als
Mittel zur kritischen Nachbereitung gelten

Scheinbar ist es in Italien ueblich, dass gewalttaetige Aktivisten
mit
Fotoapparaten rumlaufen und sich selbst ablichten. UEbrigens ist eines
der Motive, dass sich auf dem Film befand, in der
Zeitschrift “Diario” –
ein Special ueber den G8 in Genua – gleich zweimal abgedruckt. Einmal
als
das umgestuerzte Auto gerade zu brennen beginnt, einmal im
ausgebrannten
Zustand. Das bei den Beschuldigten gefundene Foto zeigt den PkW in
ausgebranntem Zustand.

9. Kuechenstreichhoelzer und Zigarettenfilter, die in den Taschen der
beschlagnahmten Jacken gefunden wurden
Ziemlich schwerwiegendes Indiz, da das Vorhandensein bedeutet, dass
Mittel (Zigarettenfilter) vorhanden waren, die miteinander verbunden
und
auf den Hals einer zuvor mit Benzin gefuellten Flasche gesteckt und
durchtraenkt zu einem zur Herstellung eines Molotows unerlaesslichen
Mittel werden, zumal diese waehrend der Verwuestungen in gewaltiger
Anzahl
angefertigt und geworfen worden sind

Man naehme statt eines Putzlappens oder Taschentuchs also Filter und
verbinde sie miteinander … Warum einfach wenn’s auch kompliziert
geht?
Im Gespraech mit dem Staatsanwalt musste ich lernen, dass in Italien
niemand Eindrehfilter benutzt und er sich nicht vorstellen kann, dass
Leute, die doch sonst nach seiner Erkenntnis auf ihre Gesundheit
bedacht
seien, so etwas ungesundes wie einen Zigarettenfilter zum
Zigarettendrehen benutzen koennten – eine schwerwiegende kulturelle
Frage?
Nebenbei, die Anwaelte fanden natuerlich auch Tabak und
Zigarettenpapier

Als weiteres Indiz wird aufgefuehrt, dass alle zehn Beschuldigten
verletzt waren, was am 23.7. im Krankenhaus dokumentiert wurde, wohin
sie von der Polizei gebracht wurden… Eine schwere Verbrennung der
Beschuldigte Christine …, die zu einem Zeitpunkt der heftigsten
gerade
erst stattgefundenen Zusammenstoeße im Krankenhaus behandelt wurde ist
ein weiteres Indiz fuer die Teilnahme und dafuer, dass sie mit
Substanzen
zu tun gehabt hat, die eine Verbrennung herbeifuehren konnten, zum
Beispiel die von den “Black Bloc” waehrend ihrer UEbergriffe
entfachten
Feuer…

Man achte auf das Datum der Dokumentation im Krankenhaus: Sie
erfolgte
nach den schwerwiegenden Misshandlungen im Polizeigewahrsam und alle
wiesen entsprechende Spuren auf, die mehr oder weniger dokumentiert
wurden. Die Verbrennung von Christine stammt von einem
Feuerwerkskoerper,
von dem sie waehrend der Demonstration getroffen wurde, was auch
bezeugt
werden kann.

Ich fuehre dieses so detailliert auf, weil hieraus sehr deutlich
wird,
wie man Straftatbestaende konstruieren kann. Eine Ausfuehrung dieses
Berichts wird u.a. der Bundesregierung zugestellt, um nochmals die
Notwendigkeit einer umgehenden politischen Intervention zu
verdeutlichen. Den 15 Inhaftierten drohen waehrend der
staatsanwaltlichen
Ermittlungen Untersuchungshaftstrafen von bis zum einem Jahr oder
sogar
darueber hinaus. Auch gegen die bisher aus der Haft entlassenen werden
die Ermittlungen weitergefuehrt.

Nach meinen Recherchen betone ich ausdruecklich:

  • Nicht einer der Inhaftierten wurde im Rahmen von gewalttaetigen
    Ausschreitungen festgenommen.
  • Es ist ein reiner Indizienprozeß.
  • Alle Beschuldigungen beruhen auf selektiv ausgewaehlten
    Gegenstaenden
    aus den Fahrzeugen. Aufgrund dieser wird den Beschuldigten eine
    Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, dem sog. Black Bloc
    unterstellt.
  • Weitere Beschuldigungen beruhen auf Gegenstaenden, die
    untergeschoben
    wurden. Zwei weiteren Inhaftierten wurde in den vergangenen Wochen
    immer
    wieder ein Stempel aus einer Bank zugeordnet, der erst dem einen und
    dann dem anderen zugeordnet wurde/wird. Nach ihrer Beschreibung wurden
    alle Gegenstaende von ca. 10 – 15 Personen, die gemeinsam auf einem
    Platz
    im Genua verhaftet wurden, von den Polizisten auf einen großen Haufen
    geworfen. Im Polizeigewahrsam versuchte man mehrfach, den Festgenommen
    fremde Gegenstaende, u.a. diesen Stempel in die Hand zu druecken, um
    so
    Fingerabdruecke zu erhalten.
    In diesem Zusammenhang ist auch das Abschneiden von Haaren bei fuenf
    der
    Beschuldigten zu hinterfragen, die zu DNA-Analysen genutzt werden
    koennten.
  • Das Konstrukt des “Black Bloc” beruht zum groeßten Teil aus
    Informationen, die dem Internet entnommen sind.
  • Besonders fraglich
    ist
    die Weitergabe von polizeilichen Erkenntnissen der deutschen Polizei
    an
    italienische Polizeibehoerden. Wie
    Staatsanwalt Pellegrino mir mitteilte, sei es vollkommen normal, dass
    italienische Polizeibehoerden Anfragen bei der deutschen Polizei
    stellen,
    so z. B. um herauszufinden, ob es Erkenntnisse ueber eine Teilnahme
    von
    Beschuldigten bei Demonstrationen in Goeteborg oder Prag gaebe, ueber
    vorherige polizeiliche Ermittlungen, Mitgliedschaften in kriminellen
    Vereinigungen usw.
  • Im Fall einer Verurteilung drohen den Angeklagten
    Haftstrafen von 8 – 15 Jahren aufgrund von fadenscheinigen Indizien.
    Im
    uebrigen handelt es sich bei der Staatsanwaeltin um eine sog.
    Mafia-Expertin.
  • Ziel der Prozesse ist die Festschreibung der Konstruktion eines
    sog.
    “Black Bloc”. Diese wird als “politisch reife, nichthierarchische,
    militante Gruppe” (Zitat: SECCOLO XIX) beschrieben, die sich aus
    autonom
    agierenden Kleingruppen zusammensetzt. Dafuer sollen die Angeklagten
    als
    Paradebeispiel herhalten. Gesetze aus dem Anti-Terrorismus- und
    Mafia-Bereich sollen auf den sog. “Black Bloc” angewandt werden bzw.
    um
    neue Gesetze zu dessen Bekaempfung erlassen zu koennen. Dazu muss
    seine
    Existenz in dieser Form erst einmal “bewiesen” werden, wozu die
    Beschuldigten herhalten sollen.
  • Es soll ein Exempel statuiert werden, das der Kriminalisierung und
    Spaltung der immer staerken Protestbewegung der
    Globalisierungskritiker
    dienen soll.

All die o.g. Punkte benoetigen eine breite politische Debatte. Die
berechtigte und dringend erforderlich Kritik an der
Globalisierungspolitik der G8 darf nicht zum Anlass genommen werden,
die
gesamte Bewegung zu kriminalisieren und zu spalten.
Die Gefangenen wuenschen ausdruecklich breite Buendnisse, in denen
eine
gesamtpolitische Auseinandersetzung stattfindet.

Die Bundesregierung, der Bundestag, Europaeische Institutionen und
Regierungen sind u.a. aufgefordert, sich fuer eine umgehende
Entlassung
der Gefangenen von Genua und eine bedingungslose Einstellung aller
Verfahren einzusetzen, eine internationale Untersuchungskommission
einzurichten, die zwischenstaatliche Polizeizusammenarbeit offen zu
legen, die schweren Menschenrechtsverletzungen und die Ermordung Carlo
Guiglianis zu verurteilen.

Zum Schluss gebe ich erneut die Resolution, die bereits als Ergebnis
meines 1. Besuches veroeffentlicht wurde, zur Kenntnis.
Zwischenzeitlich haben alle Gefangenen von Genua diese autorisiert.

Goettingen, den 19. August 2001
Heidi Lippmann
Leiterin der AG Internationale Politik der PDS-Bundestagsfraktion