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2008-01-17

anti-atom-plenum berlin: Diskussionspapier zur Debatte um Klimawandel

Diskussionspapier zur Debatte um Klimawandel, KlimaAktionsCamp und warum sich die radikale Linke da einmischen sollte.

Wir wollen hier einen Beitrag zur Diskussion im Vorfeld des Klimacamps
leisten. Dazu gehen wir zuerst auf die Veränderungen in der
Energieversorgung in der kapitalistischen Entwicklung ein. Anschließend
erklären wir, warum die Klimadebatte mit der sozialen Frage verknüpft ist.
Im nächsten Abschnitt wollen wir den Glauben an die herrschende
Wissenschaft zerstören. Dann beschäftigen wir uns kurz mit den Folgen des
Klimawandels auf die weltweiten Migrationsbewegungen. Nicht wegzudenken
beim Thema Klimawandel sind die Nichtregierungsorganisationen (engl.
Non-Goverment Organizations – NGOs). Deshalb sehen wir uns gezwungen auf
ihre Rolle einzugehen und sie zu kritisieren. Und ganz zum Schluss eine
ganz kurze Skizze von dem wo wir mal hinwollen. Viel Spaß beim Lesen!

AAP

Alle reden vom Wetter – wir nicht

Mit dem Klima scheint es ein Problem zu geben. Zumindest wird das von
verschiedenen Seiten betont, in aufwendigen Kinofilmen, auf
internationalen Konferenzen, in den Medien sowieso. Es gibt da also das
Klimaproblem, manche sprechen sogar von der Klimakatastrophe, und „WIR
ALLE“ müssen handeln. Am besten natürlich sofort – sonst geht die Welt
unter. Das einige Leute und Kapitalfraktionen der Zeit hinterher hinken
und die Dramatik der Lage nicht verstehen wollen, kann eine_n da natürlich
zur Verzweiflung treiben.

Das Problem, wenn mensch den Klimawandel bzw. die Klimakatastrophe in
diesem Maße als Faktum voraussetzt, ist das dadurch erzeugte Bild: „Wir
sitzen alle im gleichen Boot.“ Was für ein Quatsch. Im Gegensatz zu dieser
vereinheitlichenden Sichtweise ist es vielleicht gewinnbringender, von
politischen Konflikten um die Deutungshoheit in Sachen Klimawandel und
Energiepolitik auszugehen. Und wichtiger noch und daran geknüpft, von
unterschiedlichen Interessen, von gesellschaftlichen Macht- und
Herrschaftsverhältnissen.

Kapitalismus und (Energie-)Ressourcen
Die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Produktionsmittel und damit
auch der Zugriff auf (Energie-) Ressourcen ist wohl in jeder
kapitalistischen Formation von zentraler Bedeutung. Die Zerstörung von
Natur ist dabei schlichtweg notwendig, sie kann nicht durch Effizienz und
Nachhaltigkeit „weggelassen werden“. Wir kommen darauf zurück, im
Folgenden soll erstmal versucht werden, historisch unterscheidbare
kapitalistische Produktionsmodelle skizzenhaft zu vergleichen. Wir
interessieren uns vor allem für das Energiesystem und für regionale bzw.
globale Ressourcen- und Warenströme. Damit soll die zentrale Bedeutung des
Themenfeldes Energie im Kapitalismus sowie – daran geknüpft – die
langfristige Verschiebung von Kräfteverhältnissen beleuchtet werden.

Frühe kapitalistische Formationen beruhten hinsichtlich ihrer
Energieressourcen auf nachwachsenden Rohstoffen. Die Produktion war damit
örtlich und zeitlich an die Ressource Holz gebunden. Das war hinsichtlich
der Produktionsabläufe einigermaßen unpraktisch, weil das Kapital an
bestimmte (waldreiche) Regionen gebunden war. Auch die vorherrschende
Lebensweise kann aus heutiger Sicht als unpraktisch bezeichnet werden. Der
Reproduktionsbereich war noch nicht dem Kapitalkreislauf untergeordnet,
Subsistenzwirtschaft spielte eine entscheidende Rolle. Das bedeutet u.a.,
dass der Bereich der Nahrungsmittelproduktion in weiten Teilen nicht über
den kapitalistischen Markt organisiert war. Natur wurde also zumindest
teilweise noch nicht als Ware angesehen.

Dieses Energiesystem stieß im Rahmen der gesellschaftlichen Transformation
zum Fordismus schnell an Grenzen. Mit „Fordismus“ bezeichnen wir ein
Modell der Herrschaftssicherung, eine Art und Weise, kapitalistische
Gesellschaften zu regulieren, zu stabilisieren. Mit dem Fordismus waren
bis in die 1970er Jahre verschiedene Institutionen, Normen und Leitbilder
verbunden: Das fordistische Produktionsmodell bedeutete vor allem die
Massenproduktion von Konsumgütern. Die Arbeiter_innen wurden durch hohe
Lohnzuwächse und die Beteiligung am Konsum integriert, ihre Organisation
an den runden Tischen der Sozialpartnerschaft gezähmt.
Subsistenzwirtschaft wird mehr und mehr vollständig verdrängt. Produktion
und Reproduktion sind (im globalen Norden) fast ausschließlich über den
kapitalistischen Markt organisiert.

Die Fabrik kann als Ikone dieser Zeit angesehen werden. Neben der
„wissenschaftlichen Optimierung“ der Arbeitsorganisation – eine rigidere
Kontrolle der Arbeiter_innen durch die Bosse und das Reduzieren ihrer
Tätigkeit auf ein Anhängsel der Maschine – war hierbei vor allem ein
anderes Energiesystem nötig, weil nachwachsende Rohstoffe den immensen
Energiehunger der Produktion nicht ansatzweise stillen konnten. Das
fordistische Energiesystem beruhte deshalb vor allem auf fossilen
Brennstoffen und der Atomenergie. Fossile und nukleare Energieträger sind
vergleichsweise leicht zu transportieren. Sie haben für den
Produktionsprozess den Vorteil einer größeren räumlichen und zeitlichen
Unabhängigkeit, was dem kapitalistischen Drang zu Expansion und
Beschleunigung zugute kommt. Der Kapitalismus wird also nuklear und
fossilistisch.

An dieser Stelle kommen auch hinsichtlich des Energiesystems die globalen
Warenströme ins Spiel. Einerseits dadurch, dass riesige Mengen Öl, Kohle
und Uran in die kapitalistischen Zentren transportiert werden,
andererseits durch den Transport von Gütern und von in Ware transformierte
Natur, also bspw. Kaffee oder Soja. Alleine für diesen Transport sind
immense Mengen Energie nötig. Die globalen Warenströme haben eine ganz
bestimmte Richtung, sie fließen vom Süden in den Norden, aus der
Peripherie in die Zentren. Das fordistische Energiesystem beruht auf
bereits bestehender, auf kolonialer Herrschaft fußender Ungleichheit,
indem der Zugang zu Öl und Uran in der Regel über den Energiemarkt
geregelt wird. Nicht alle Gesellschaften können hier mit Einkommen und
Vermögen mithalten, eine direkte Folge kolonialer Herrschaft.

Nun, mittlerweile haben wir Postfordismus. Das heißt keinesfalls, dass
sich an globalen Herrschaftsstrukturen etwas grundlegendes geändert hat.
Wenn wir das Energiesystem betrachten, gibt es aber seit den 1970er Jahren
eine Diskussion über die „Grenzen des Wachstums“, darüber, dass das
fordistische Energiesystem nicht nachhaltig sei. Das ist es auch nicht,
Nachhaltigkeit war nie ein Anspruch, der mit der fordistisch-imperialen
„wir nehmen uns das, was uns zusteht“-Mentalität verbunden war.

Aber heute ist das wie eingangs erwähnt anders. Nicht zuletzt soziale
Bewegungen wie die Ökologie- und Anti-Atom-Bewegung haben seit den 1970er
Jahren bewirkt, dass die Konsequenzen des Fabrikregimes – Naturzerstörung,
Luftverschmutzung, aber auch die Reduzierung der Arbeiter_innen auf
Rädchen der Maschine – öffentlich bekannt und skandalisiert wurden. Die
Endlichkeit der Ressourcen Kohle, Öl und Uran, die ökologischen
Katastrophen, die mit einem „weiter so“ interessierter Öl- oder
Atomkonzerne verbunden sind bzw. wären– das alles ist nichts, worüber
mensch großartig streiten müsste.

Das Fabrikregime mit seinen immensen Verbrauch hat sich in den letzten
Jahren modernisiert und wird sich weiter modernisieren. Aus der Ikone der
schwerfälligen Fabrik wurde der global vernetzte, schlanke Konzern, der im
Krieg der Standorte flexibel reagiert. Diese Ikone bereitet dem global
sourcing den Weg, das Kapital hat neue Möglichkeiten, auf Arbeitskräfte
und Ressourcen flexibel zuzugreifen. Sie beziehen sich dabei flexibler auf
„ihren“ Staat und versuchen durch die Diskussion um Standorte die
neoliberale Politik der Deregulierung zu forcieren. Die Kräfteverhältnisse
haben sich hierbei massiv verschoben – zu Gunsten des Kapitals.
Gleichzeitig war die Kritik von sozialen Bewegungen innerhalb dieser
Transformation ein zentraler Faktor. Sie wurde nach und nach integriert,
einzelne Forderungen ver-rückt, d.h. teilweise aufgegriffen und
entpolitisiert. Innerhalb heutiger Kräfteverhältnisse ist es etwas
vollkommen anderes, für bspw. Windparks zu streiten. Vor dreißig Jahren
innerhalb der energiepolitischen Diskussion geäußert, war eine solche
Position gegen das monströse fordistische Energiesystem als ein zentrales
Projekt gerichtet, heute liegt sie im Mainstream.

Wie gesagt. Ein Streit um effiziente Energienutzung ist für eine linke
Bewegung politisch nicht ungefährlich, wenn es dabei auch um Emanzipation
und Befreiung gehen soll. Mit ökologischen, dezentralen Konzepten der
Energieversorgung rennt eine Ökologiebewegung (oder auch ein Klimacamp)
offene Türen ein. Konzerne und Regierungen sind hier sicher für jeden
Hinweis offen. Dass es eine ökologische Krise gibt, dass das fordistische
Energiesystem unglaublich ineffizient war, dass Fabriken, Staaten und
nicht zuletzt Individuen schlank, fit, gesund und effizient sein sollen –
diese einfachen (ideologischen) Wahrheiten locken heute keine_n mehr
hinterm BHKW hervor. Es gibt keine technischen Lösungen für soziale
Probleme.

Streiten müsste mensch sich also viel eher mit der täglich wachsenden Zahl
von Öko-Kapitalist_innen, die der Meinung sind, es bräuchte hinsichtlich
gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse keine Veränderung, sondern eben
einzig eine „Effizienzrevolution“. Lassen wir uns also auf diese
Diskussion ein: Kann es einen ökologischen, nachhaltigen Kapitalismus
geben? Dabei lassen wir kurz mal außer acht, dass Kapitalismus in erster
Linie auch eine Art und Weise ist, wie soziale Beziehungen in der
Gesellschaft organisiert sind, also immer auch mit Unterwerfung und
Ausbeutung von Menschen verknüpft ist. Die Diskussion um Öko-Kapitalismus
ist schon aus diesem Grund automatisch zynisch, weil sie das nicht
berücksichtigt. Dazu später mehr.

Mit Blick auf das Energiesystem ist ein nachhaltiger Kapitalismus wohl
durchaus vorstellbar. In der technokratischen Denkweise, der es eben vor
allem um Modernisierung geht, ist überhaupt einiges denkbar und machbar
(Recycling, Einbeziehung nachwachsender Rohstoffe…), sicher fällt also
den Technokrat_innen auch eine Lösung für das Klimaproblem ein. Das
transnationale Konzerne wie BP gerade massiv im Bereich alternative
Energien investieren, scheint ja diese These erstmal zu bestätigen. Hier
kommen wir wieder auf den eingangs erwähnten Zusammenhang von Kapitalismus
und Naturzerstörung: Kapitalismus bedeutet immer, dass der kapitalistische
Markt wächst. Und mehr Wachstum bedeutet mehr Zerstörung. Der Kapitalismus
als System muss zerstören, dauerhaft. Das ist der einzige Zweck
kapitalistischer Produktion: nachhaltig und im Zweifel auch effizient
Mehrwert erzielen. Wer das nicht schafft, geht unter.

Den Kapitalismus also ökologisch zu zähmen, ihn mit seinen ureigensten
Mittel, dem Markt, effizient gestalten, daraus wird wohl nichts, daraus
kann nichts werden. Der Kapitalismus mit seiner Wachstums- und
Verwertungslogik nutzt alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen. Dabei
spielt es keine Rolle, welche Folgen dies für Mensch und Natur hat. Bspw.
wird der Rohstoff Öl benutzt, weil er existiert und verwertbar gemacht
werden kann. Welche Auswirkungen die Nutzbarmachung, also das Verbrennen
von Öl für Mensch und Natur hat, spielt keine Rolle. Das „Klimaproblem“
ist wie andere Umweltprobleme auch, eine (gravierende) Auswirkung dieses
Systems.

Beschränkt sich die Auseinandersetzung also auf eine Effizienzrevolution
oder gar den den „Hauptfeind CO2“, ist nichts gewonnen. Die
Zerstörungsdynamik wäre evtl. ein wenig verlangsamt, aber nicht gestoppt.
Eine Ersatz-Ressource wäre schnell gefunden. Ökologische Politik muss der
Logik der imperialen Lebensweise, muss dem Kapital, muss den
transnationalen Konzernen und dem Staat Grenzen setzen, sonst hat sie
diesen Namen nicht verdient. Moralische Appelle mit Blick auf aussterbende
Eisbären helfen angesichts struktureller Gewalt und Herrschaft nicht
weiter, die Orientierung am wissenschaftlichen Dialog ebenso wenig. Denn,
frei nach dem Genossen Marx: Was könnte also die kapitalistische
Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr so
simple Dinge wie den Schutz der natürlicher Lebensgrundlagen
aufzuherrschen?

Klimawandel und soziale Frage

Die Ursache für Armut, Hunger, soziale Ausgrenzung und Unterdrückung ist
dieselbe wie die für den Klimawandel. Somit ist auch das politisch zu
bekämpfende dasselbe.
Der Kapitalismus mit seiner Wachstums- und Verwertungslogik nutzt alle ihm
zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Verwertungslogik mitsamt der
Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus warf und wirft
die „soziale Frage“ erst auf. Darum kann eine Bewegung, die sich kritisch
mit dem Klimaproblem auseinander setzt, an anderen sozialen Bewegungen
anknüpfen, die sich mit den Auswirkungen des Kapitalismus oder dem
Kapitalismus selbst auseinander setzen. Das Rad muss nicht neu erfunden
werden. Beispiele hierfür sind die Anti-Atombewegung, die
Arbeiter_innenbewegung, die globalisierungskritische Bewegung, die
antifaschistische Bewegung, die anarchistische oder kommunistische
Bewegung. Alle diese Bewegungen setzen sich direkt oder indirekt mit dem
Kapitalismus auseinander. Wie bereits seit mehr als einhundert Jahren
basieren etliche Probleme auf diesem Wirtschaftssystem. Es gehört
abgeschafft.
Dies sollte von linksradikaler Seite gefordert und ggf. wiederholt werden,
wenn es um das Thema Klima geht. Ohne ein anderes Wirtschaftssystem ist
auch dieses „Problem“ nicht lösbar.

Wider die Verzichtsdebatte

In der Klimadebatte wird häufig, auch von linker Seite, über Verzicht
geredet. Es wird suggeriert, dass individueller Konsumverzicht bzw. das
Ändern des Konsumverhaltens zur Lösung des „uns alle“ bedrohenden
Klimaproblems beiträgt. So sind Forderungen nach einem europaweiten
Flugverbot, nach Tempolimits auf Autobahnen oder zum Wechseln des
Stromanbieters zu verstehen. Diese „Verzichtsdebatte“ ist in zweierlei
Hinsicht problematisch. Zum einen geht diese einher mit dem neoliberalen
Diktum der Konsumfreiheit. Wir „dürfen“ wählen, was wir kaufen, nicht aber
was und wie produziert wird. Wir entscheiden uns für ein bestimmtes
Brötchen statt uns die Backstube anzueignen.
Zum anderen ist eine Debatte, die sich um Verzicht dreht, nicht gerade
populär. Es wäre ein einfaches für die Herrschenden dieser Debatte mit
einem verheissungsvollen „weiter so“ zu begegnen und uns als Spaßbremsen
abzutun. Die Wirklichkeit verhält sich indes anders. Wir wollen mehr Spaß,
ein besseres Leben für alle. Das sollten wir auch so formulieren und nicht
autoritären Politikern die Möglichkeit geben, sich als Hüter der Freiheit
zu präsentieren.

Auch die herrschende Wissenschaft erklärt uns ständig…

…eine der größten Gefahren, die uns bevorsteht, ist die Klimaveränderung
. Dafür gäbe es verschiedene wissenschaftliche Anhaltspunkte. Was bedeutet
es denn, dass sich das Klima eigentlich nicht verändern soll? Was für
Standards sollen denn erhalten werden? Und was wird propagiert um dieses
Ziel zu erreichen?
Erhalten werden soll die imperiale Lebensweise und damit verbunden auch
die Macht des Kapitals aus den kapitalistischen Zentren. Wie sieht diese
Lebensweise aus: In sog. „Billiglohnländern“ wird produziert, wobei die
dortigen Arbeiter_innen nicht von ihrem Lohn leben können – in westlichen
Ländern freut mensch sich am Konsum, guckt verträumt auf’s Handydisplay.
Für die Herstellung von Konsumgütern werden immens Ressourcen und Energie
verbraucht. Und diese Ressourcen sollen weiterhin aus Post- bzw.
Neokolonialisierten Ländern kommen. Die Argumentationslinie läuft dabei
folgendermaßen: Die noch nicht so „entwickelten“ Länder würden mit einem
Schlag viel mehr Klimagase produzieren als bisher, wenn sie den gleichen
Weg wie die Industrieländer nehmen würden. Deswegen soll diese imperiale
Lebensweise allein aus ökologischen Gründen bestehen bleiben.
Solange das Kapital profitiert und uns die Beschäftigung mit unserem
Konsum vom selben denken ablenkt/abhält, wird sich das auch nicht ändern.
Gerade ist es ja so, dass wir laut Politik und Kapital das Denken lieber
der bestehenden, herrschenden Wissenschaft überlassen. Diese wird sicher
herausfinden, was das Problem ist und wie es gelöst werden kann. Das
Kapital und die Politik wird dann dementsprechend handeln: „Keine Angst,
es ist für alles gesorgt“ Komisch nur, das „wissenschaftlich“ immer
herausgefunden wird, was der Industrie und dem Kapitalismus, somit den
bestehenden Herrschaftsverhältnisssen von nutzen ist. Die Wissenschaft,
die hier betrieben wird, ist Teil des bestehenden Herrschaftssystems und
will allein um sich selbst zu erhalten die bestehenden Verhältnisse mit
ihren Mitteln erhalten. Und „ihre Mittel“ sind es uns wissenschaftlich
vorzugaukeln, dass sie das Problem schon technisch lösen wird, dass sie
die Mittel kennt bzw. herausfinden wird. Wir sollen hörig sein und artig
und dann wird sich schon alles richten.
Diese Art der Lösung könnte aber, selbst wenn mensch die bestehenden
Strukturen in der herrschenden Wissenschaft gutheißen würde, nicht
funktionieren. Die gegenwärtigen und zukünftigen ökologischen Katastrophen
sind kein technisches Problem, sondern ein soziales: Sie haben ihre
Grundlage in unfreien, ungerechten und irgendwie auch unvernünftigen
gesellschaftlichen Verhältnissen.

Der Klimawandel als Ursache für Migration
Die Regierungen der großen Industrieländer, wie z.B. USA, Kanada,
Deutschland, Frankreich und Spanien sehen mittlerweile die durch den
Klimawandel zunehmende Migration als massives Problem für ihre Interessen.
In zahlreichen Studien wird sie gar als Problem für die „nationale
Sicherheit“ bezeichnet.
Konsequenz davon wird die noch stärkere Abschottung der Industrieländer in
Form von militärisch gesicherten Grenzen und großen Flüchtlingscamps sein
(wie bspw. die EU Grenze mit Marokko). Heute schon sind sich die
EU-Staaten darüber einig.
Wie mensch sich aus der Verantwortung stiehlt, zeigt sich am Beispiel der
Pazifik-Insel Tuvalu. Vertreter der 11.000 Bewohner_innen erkundigten sich
2001 bei den Staatschefs von Australien und Neuseeland, ob sie denn
aufgenommen würden, wenn ihre Insel wie prognostiziert im steigenden Meer
versinken würde. Dem Entsetzen über diese Anfrage folgte das großzügige
Angebot Neuseelands, jährlich 75 (!) Bewohner_innen des kleinen
pazifischen Inselstaates aufzunehmen.
Bei den aktuellen Klimawandel-Debatten und großen Bemühungen geht es den
Industrieländern keineswegs darum, etwas für die Umwelt oder gegen den
Klimawandel zu tun. Es geht auch nicht, aus purer Nächstenliebe etwas
Gutes zu tun. Auch hier zeigt sich wieder mal, dass es in der Hauptsache
darum geht, den eigenen Lebensstandard, einen ungebremsten Produktions-
und Profitkreislauf und den eigenen Konsum zu sichern.
Die Lebensweise in den Industrieländern war und ist nur auf Kosten anderer
möglich. Die kolonialen Verhältnisse werden durch den Klimawandel
reproduziert und verfestigt. Soziale Probleme werden strukturell
verschärft und verursachen somit einen enormen Anstieg der Anzahl von
Klimaflüchtlingen. Die UN geht von einem Anstieg von 25 (1995) auf 200 Mio
pro Jahr bis Mitte des Jahrhunderts aus. Für uns als Linksradikale folgt
daraus einmal mehr: Alle Grenzen müssen abgeschafft werden!

Die Rolle der NGOs in der Klimadebatte

Wie in allen populären Politikfeldern michen auch in der Klimadebatte NGO
mit. Sie treten bspw. in Form der sog. Klima-Allianz auf, einem
Zusammenschluss von 80 NGO aus verschiedensten politischen und sozialen
Spektren. Sie beraten nicht selten die Herrschenden, wie bei den
Weltklimakonferenzen, und zähmen die sozialen Bewegungen.

Was sind NGOs?
Es gibt keine eindeutige Definition. Allerdings sind sie in der Regel
nicht basisdemokratisch, nicht antikapitalistisch, stellen nicht die
bestehenden Herrschaftsstrukturen in Frage, sondern möchten in bestimmten
Punkten mitsprechen und das bestehende System korrigieren. Ein wichtiges
Kriterium ist die meist professionelle Organisation, die vermeintlich
realistische Ziele verfolgt und eng mit der Politik zusammenarbeitet. NGOs
verstehen sich häufig als Stellvertreter_innen der sog. Zivilgesellschaft
und werden als solche auch von den Politiker_innen wahrgenommen. Es folgt
z.B. auch die Akkreditierung von bestimmten NGOs bei der UNO, die dann
dort mit Konsultativenstatus eingebunden sind. Politikberatung ist ein
neues Schlagwort mit dem sich viele NGOs angesprochen fühlen. Am
wohlregulierten Katzentisch sitzen NGOs und sehen nicht wie begrenzt ihre
Beteiligungsmöglichkeiten sind.

NGOs können häufig nicht unabhängig agieren, da sie auf finanzielle
Unterstützungen angewiesen sind, seien dies staatliche Finanzierungen,
Stiftungen, Spenden oder sogar Mittel von Konzernen. Sie sind am Medien-
und Spendenmarkt orientiert. Das heißt nicht, dass wir nicht auch Gelder
von bestimmten Stiftungen nehmen und Spenden benötigen. Aber wir richten
unsere Politik nicht nach unseren Geldgeber_innen aus.

„… NGOs werden ….als Bestandteil eines politischen Herrschafts- und
Regulationskomplexes aufgefasst, der nach Gramsci als ‘erweiterter Staat’
bezeichnet wird. NGOs sind demnach an ‘der Transformation des Staates’
beteiligt. Weil sich der Staat internationalisiert, ist er auf
größtmöglichen Konsens innerhalb der Zivilgesellschaft angewiesen, die
ihrerseits als Antwort auf die Globalisierung transnationaler Strukturen
sprich Netzwerke bildet. NGOs fungieren als gesellschaftliche
Regulationsinstanz, die dem hegemonialen Projekt der neoliberalen
Globalisierung Legitimität verschafft – und so ambivalenter Weise zur
Akzeptanz der Globalisierung beitragen.“1

NGOs verlieren meist den Blick für das Ganze, die strukturellen
Zusammenhänge. Sie beziehen sich nur auf ihre Einzelforderungen und
stellen realistische systemkorrigierende Forderungen auf. Basisbewegungen
hingegen kämpfen für eine andere Welt und begnügen sich nicht mit kleinen
machbaren, von den Herrschenden akzeptiert Zugeständnissen. NGOs als
Vertreter_innen der sog. Zivilgesellschaft können als „TÜV für gute
Regierungspolitik“ gelten. Staatskritik, antikapitalistische Haltung passt
grundsätzlich nicht zu NGOs, da sie mit staatlichen Stellen
zusammenarbeiten wollen und nur kleine Dinge verändert wollen und nicht
das System an sich in Frage stellen. Die Deutungshoheit der Regierungen
wird von NGOs beibehalten, die Regierungen nehmen berechtigte Kritik auf
und verstehen sie in Bahnen zu lenken, so dass sie das System nicht ins
Wanken bringen können, sondern eine der Weg für eine breite Akzeptanz in
der Bevölkerung geebnet wird.
Viele NGOs leisten Zuarbeit und sehen nicht, dass sie in ihrer Beteiligung
die Arbeit der Regierungen oder Konzerne erledigen und damit
weitreichender Kritik den Wind aus den Segeln nehmen
Die Machtkonzentration und die zugrunde Herrschaftsverhältnisse müssen
aber in Frage gestellt werden, um weltweite Veränderungen herbeizuführen.
Die neoliberale Globalisierung muss als ganzes in Frage gestellt werden,
um eine solidarische, demokratische und emanzipatorische Gesellschaft zu
schaffen.

Wie eingangs geschrieben, es gibt keine eindeutige Definition von NGOs,
aber wir werden spätestens dann hellhörig, wenn sich eine Organisation als
NGO bezeichnet oder bezeichnet wird. Wir möchten uns kritisch mit NGOs
auseinander setzen und eine Debatte anstoßen und stehen dabei den
Menschen, die sich NGOs zugehörig fühlen mit kritischer Solidarität
gegenüber. Uns ist es wichtig möglichst viele Menschen auch in die
Diskussion, Vorbereitung und Durchführung des KlimaAktionCamps
miteinzubeziehen, d.h. für uns dass das linksradikale Spektrum hier seinen
Platz haben soll, sich beteiligt und seine Positionen klar zum Ausdruck
bringt.

Was wir wollen?

Wir wollen die Zerschlagung von Kapital, Patriarchat, Staat,… , die
Abschaffung weiterer Herrschaftsmechanismen wie Rassismus, religiösen
Fanatismus, … Dies werden wir nicht durch Appelle oder den Glauben an
die besseren Argumente erreichen. Notwendig sind direkte Interventionen.
Uns ist bewusst, dass wir bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen „nur“ an
einzelnen Punkten stellvertretend für das Ganze angreifen können. Dabei
lassen wir uns in der Wahl der Mittel nicht beschränken.
Doch nun zu unserer Utopie: Wir wollen einen gleichberechtigten Umgang
miteinander. Und eine Wirtschaft, die sich nicht an Profitinteressen
ausrichtet, sondern an den konkreten Bedürfnissen von Menschen. Wie mit
unseren Problemen umgegangen werden soll, kann nicht auf ein Parlament
abgeschoben oder in den Chefetagen der Wirtschaft entschieden werden. In
unseren politischen Strukturen, Wohngemeinschaften, Bezugsgruppen,
Kommunen, Kollektiven, ….. versuchen wir anders miteinander umzugehen.
Dabei scheitern wir auch immer wieder an den auch von uns verinnerlichten
herrschenden Verhältnissen. Diese wollen wir somit nicht nur politisch
angreifen, sondern auch in uns selbst in Frage stellen. Das Klimacamp soll
für uns daher auch ein sozialer Ort sein, an dem ein Umgang miteinander
jenseits von Chef_in und Staat erfahrbar werden kann.

Zusammen mehr erreichen!
Für freie und selbstbestimmte Gesellschaft

anti-atom-plenum berlin, januar 2008

Source: email