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2007-10-24

Wie weiter mit radikaler Klimaaktion?

Dieses Dokument wird versuchen, eine radikale Beurteilung unserer Situation in den Wochen nach dem 2007 Camp für Klimaaktion anzubieten.[1] Es fragt auch, was wir tun müssen, um eventuell einen 2 C-Anstieg in der Welttemperatur verhindern zu können. Wir sehen keinen Grund, mit Fingern zu zeigen, oder langatmig die Tatsache zu beklagen, dass sich bis jetzt noch nicht viel getan hat. Die Liste ist nicht vollständig. Wir haben sie auf Dinge reduziert, die gebraucht werden (aber allein noch nicht genug sind), um eine erfolgreiche Bewegung zum Aufhalten der globalen Klimakatastrophe aufzubauen. Das heißt, wenn nicht alles getan wird, sind wir am Arsch. Traurig zu sagen, selbst wenn wir alles tun, wird uns dies nicht automatisch retten – diese Dinge sind notwendig, aber nicht hinreichend. Die ehrliche Beurteilung ist: Das Klimacamp war ein großer Erfolg. Das Klimacamp war ein Desaster. Beide Feststellungen sind richtig.

Bild: Plakat

Wenn man es nach seinen eigenen Maßstäben beurteilt, ist es schwer zu sehen, warum das Klimacamp etwas anderes als ein phänomenaler Erfolg gewesen sein sollte:
Es hat stattgefunden, trotz beträchtlichem Widerstandes von BAA und Met, die es lieber nicht gesehen hätten;
Viele Leute sind gekommen, darunter viele, die noch nie zu einer unserer Veranstaltungen gekommen waren,
Es gab erfrischend viel direkte Aktion mit sehr vielen Zielrichtungen,
Die Unterstützung aus der Bevölkerung war sehr groß,
Es war ein weltweiter Medienknüller und hat mehr (und mehr positive) Berichterstattung in den bürgerlichen Medien bekommen, als wir je angenommen hätten.

Warum also die Zweifel? Erstens müssen wir fragen, wie großartig die eben aufgezählten Erfolge eigentlich wirklich waren. Wir denken, dass viele – vielleicht alle – der positiven Ergebnisse zu erwarten gewesen waren.[2] Zweitens – obwohl niemand von uns auf dem Camp war – ließen die Medien es uns wie eine Riesenlobbyanstrengung erleben, eine Art „Friends of the Earth mit Pauken und Trompeten“. Natürlich werden die Medien keine autonome Veranstaltung loben, die der Ideologie der Bosse zuwiderläuft und wenn sie ihnen Pralinen böte. Aber wir haben auch von Menschen gehört, die im Camp waren, dass es dort bemerkenswert wenig politische Diskussionen im weitesten Sinne des Wortes gab; dass viele Menschen mit der Überzeugung kamen, dass die Antwort in neuen Technologien und Regierungspolitik liegt, und auch wieder abreisten, ohne dass diese Überzeugung in Frage gestellt wurde. Wenn das stimmt, dann kommt eine der grundsätzlichen Nachrichten des Camps, dass Lösungen von Menschen und Gemeinschaften kommen sollen, nicht von Regierungen und Firmen, nicht so gut durch, wie wir dachten. Wir können es uns nicht erlauben, diese Gelegenheit zu verpassen, nicht nur unserer Argument für die Dringlichkeit radikaler sozialer Veränderung zu machen, sondern auch, es näher an die Wirklichkeit zu bringen.

Offene Türen einrennen

Ein Grund, dass die Leute im Allgemeinen „auf unserer Seite“ waren und dass der größte Teil der Presseberichterstattung freundlich war, ist, dass vieles von dem, was wir gesagt haben, unkontrovers ist. Kaum ein bourgeoiser Politiker oder Journalist würde mit uns übereinstimmen, dass die G8 eine total illegitime Körperschaft sind. Aber die Ansicht, dass CO2-Emissionen global radikal reduziert werden müssen, wird allmählich zu einer Mainstreamposition. Wie eines der besonders tollen Transpis beim Aktionstag es ausdrückte: „Wir sind bewaffnet… mit den Rezensionen der Kollegen.“ Selbst der Wissenschaftskorrespondent der Daily Mail gab zu, sei es auch mit zusammengebissenen Zähnen, dass wir recht hätten. Heutzutage fechten nur verrückte LeugnerInnen und QuerulantInnen die Argumente der UmweltschützerInnen an: „Wir sind jetzt alle Grüne.“ Diese Lage stellt natürlich eine immense Chance für uns dar. Alles was wir jetzt noch brauchen ist eine gerechte Verringerung globaler CO2-Emissionen um mindestens 60% weltweit (d.h. um ein Vielfaches mehr im Westen), und dann wird endlich Raum für die verschiedenen zusätzlichen organisatorischen Vorschläge sein, die aus unserer Bewegung zu hören sind. Aber das ist nur eine Chance – wir müssen sehr besorgt sein. „Unsere“ Ideen werden populär, weil die Lage ernst ist. Wenn wir die Sache jetzt nicht schnell genug anpacken, sind wir verratzt. Daher war eine unserer vielen großartigen Aktionen die „Besuche“ bei Kohlendioxidsündern. Die Ultradefensivität z.B. des Guardians beim Bericht über diese Aktion sagt alles. Viele Firmen, die von ihrem Image bei den Kunden abhängen, sprayen sich verzweifelt grün. Niemand würde gerne ein Umweltsünder geschimpft werden. „Das war toll!“ Etwas Postcampeuphorie kann notwendig sein – aber kann gefährlich sein, wenn sie uns blendet. Feiern wir unsere Erfolge, aber bewerten wir sie strategisch. Wo müssen wir jetzt hin und wie schnell? Wenn wir zu langsam gehen – oder in die falsche Richtung – wird unsere Aufgabe sogar noch schwieriger. Als Resultat dieses Camps sind wir stärker als zuvor. Aber wo wollen wir hin und wie schnell? Brauchen wir eventuell ein Fahrrad, um den Zug noch zu erreichen? Von Anfang an sollte das Klimacamp 2006 nur der Anfang sein. Es sollte der Anstoß zu einem viel umfassenderen Vorgehen gegen Klimawandel, Kapital und Staat sein. Nach dem Oktober 2006 Nachbereitungstreffen für das Klimacamp in Manchester waren viele von uns enttäuscht. Es schien, dass die einzige wichtige Entscheidung war, dass 2007 ein weiteres Camp organisiert werden sollte. Einige Leute haben sich aus anderen Anlässen getroffen und haben so etwas wie einen Werkzeugkasten gegen den Klimawandel zusammengestellt, und das ist prima.[3] Aber dennoch ist das Klimacamp noch nicht Teil einer größeren Bewegung, wie es das sein sollte. Im Augenblick scheint es ein Selbstzweck zu sein, die einzige sichtbare Präsenz einer radikaleren Stimme innerhalb der umfassenderen ‚grünen Bewegung’. Es sollte noch viel mehr geschehen. Was ist also unsere große Idee? Das können wir noch nicht wissen, solange wir nicht wissen, was sonst noch vor sich geht. Wir kennen die Höhe der Emissionsreduzierungen, die wir brauchen. Es gehen auch einige gute Ideen um, wie sie verteilt werden sollten. Wir wissen auch, dass wenn wir – als ein Paar oder als Bewegung – alleine handeln, ohne uns nach potentiellen Verbündeten umzusehen (sowohl strategisch als auch taktisch), aus uns und dem Planeten Brauntoast wird. Aber es gibt noch viel mehr Dinge, die wir herausfinden müssen und/oder in unseren Bewegungen verbreiten:

1. Was braut sich zusammen? Was tun lokale Obrigkeiten und regionale Entwicklungsagenturen? Was tun die anderen Staaten? Welche Kürzungen von CO2-Emissionen haben sie im Sinn und wie wollen sie sie umsetzen? Wie wollen sie mit den wahrscheinlichen Konsequenzen ihrer Aktionen umgehen – seien es die kurzfristigen sozialen und wirtschaftlichen Effekte der Emissionsreduzierungen oder die langfristige Notwendigkeit, mit den Konsequenzen des Klimawandels umzugehen – oder eine Kombination aus beidem? Wie verhalten sich die Interessen verschiedener Streitkräfte zu denen ihrer Regierungen?

2. Frage der Todesstrafe vs. Schuldenerlass. Einige Firmen wollen, aus einer Vielzahl von Gründen, eher mehr Regulierung als die so genannte Linksregierung sie gestatten will. Der BDI ist nicht das einzige Sprachrohr des internationalen Kapitalismus… Für eine Menge seiner Profite braucht das Kapital staatliche Regulierungen. Viele Versicherungs- und Investitionsfonds bewegen sich sehr schnell. Business as usual ist nicht im mittel- oder langfristigen Interesse der Aktienbesitzer. Einige Firmen (BP z.B.) haben Strategien für die nächsten 50 Jahre. Demnach, womit ist das Kapital einverstanden? Wo beginnt es zu jaulen? Was fürchtet es am Meisten? Wo plant es Dinge? Was plant es? Wie verlaufen die Gräben zwischen Kapitalisten, und wie können wir diese nutzen?

3. Wie soll unsere Niedrigenergiegesellschaft letztendlich aussehen? Was können wir tun, angesichts von CO2-Emissionen von 340kg pro Person pro Jahr?[4] Welche Industrien können bleiben, wenn überhaupt welche bleiben dürfen? Welche müssen weg? Wie sind diese organisiert und strukturiert? Welche Lebensstile wollen wir leben, und was müssen wir tun, um uns aufrechtzuerhalten?

4. Zivilgesellschaft/NGO: Was sind die augenblicklichen Anforderungen sowohl der Umwelt- als auch der Entwicklungs-NGOs in Großbritannien, anderen Industriegesellschaften und dem globalen Süden? In welche Richtung gehen sie? Auf wen hören sie? Können gemeinsame Argumente oder Konzentrationen entwickelt werden? Wie können wir mit ihnen zusammenarbeiten, ohne dass unsere Bewegung und unsere Politik kooptiert und/oder verwässert wird?

5. Was sagt die allgemeine Bevölkerung? Über den Klimawandel, über ‚uns’, die direkt Aktionsorientierte Bewegung? Warum werden die Leute nicht aktiv? Was können wir zum Beispiel von den Menschen, die Märsche gegen den Klimawandel in Oxford und in Tewkesbury organisieren, lernen? Was können wir ihnen anbieten?

Wie geht es voran?

Leider fanden dazu beim Klimacamp 2007 sehr wenige Diskussionen statt. Es kann sein, zumindest einer der AutorInnen dieses Papiers ist dieser Meinung, dass das Klimacamp vielleicht gar nicht der richtige Platz gewesen wäre, solche Diskussionen abzuhalten. Aber wie dem auch sei, das Fehlen diesgerichteter Forschungen und solcher Diskussionen ist ein Riesenproblem. Wenn wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir mit zumindest Annäherungsweisen Antworten zu diesen Fragen aufwarten und zwar schnellstens, so dass wir unsere nächsten Schritte planen können. Somit haben wir zwei Vorschläge:

1. Wir müssen uns und andere erziehen. Für jeden der fünf obigen Punkte (und es gibt mehr) müssen Forschungen durchgeführt, müssen Erkenntnisse geteilt werden. Es gibt viele Arten und Weisen, auf die wir das tun können, von Flugblättern und Webseiten bis hin zu Informationstouren und Präsentationen bei Treffen und Zusammenkünften. Zumindest müsste die Info auf die Network for Climate Action-Webseite gepostet werden, aber persönliche Zusammenkünfte wären noch besser.

2. Wir müssen die Information zur Aktion nutzen. Sie nur zu sammeln, ist nicht genug. Wir müssen uns mittel- und langfristige Ziele setzen, die sowohl erreichbar als auch strategisch sind – d.h. um zu entscheiden, welche Aktionen die besten sind, um die Klimakatastrophen zu verhindern – wir müssen die Resultate unserer Untersuchungen beurteilen. Dies bedeutet

- die möglichen Antworten auf unsere Aktionen von Seiten des Staates, der NGOs, der Medien, der Zivilgesellschaft, des Kapitals zu bewerten – dabei immer die Spaltungen und Spannungen innerhalb dieser zu berücksichtigen
- Aktionen auszusuchen, die andere soziale Akteure näher an unsere Politik heranbringen (was beileibe nicht bedeutet, unsere Politik zu verwässern, um sie der anderer näher zu bringen)
- auf Arten und Weisen zu handeln, die uns und unsere Verbündeten stärken und dabei unsere Feinde schwächen
- immer auf Arten und Weisen zu handeln, die unsere Fähigkeiten aufbauen – seien es unsere Zahl unserer Medienprofil, unsere physische und/oder taktische Stärke oder was auch immer. Wir müssen lernen, unsere Fähigkeiten besser miteinander zu teilen
- und was das Wichtigste ist, sicherstellen, dass alle unsere Aktionen uns in Richtung einer gerechten, Niedrigkohlendioxidgesellschaft hin voranbringen.

Dazu brauchen wir gemeinsames Nachdenken und Diskussion. Wir haben uns häufig vor dieser Art Diskussion zugunsten praktischer Organisation gedrückt: die praktischen Schwierigkeiten waren oft sehr viel direkter und dringender, und mehr theoretische Diskussion ist schwierig und potentiell spaltend. Sie wird oft als ein Zeitverlust empfunden, die mit etwas Nützlicherem hätte verbracht werden können. Manchmal wird es auch so sein. Aber schließlich können wir die Klimakatastrophen nicht damit verhindern, dass wir AktivistInnen uns mit dem besten Sex, Drogen und Musik umgeben. Oder? Diskussionen von Strategie und Taktik unterstreichen unsere Unterschiede mehr als unsere Gemeinsamkeiten. Aber das kann ein Vorteil sein: diese Art Diskussionen helfen denen, die scheinbar unmoderne oder Minderheitsmeinungen haben, einander kennen zu lernen und sich näher zu kommen. In kleineren Affinitätsgruppen können wir unsere eigenen Prioritäten auf der Grundlage geteilter Ansichten setzen und dann für größere Projekte zusammenkommen. Wir sind eher in der Lage, enger zusammenzuarbeiten und mit mehr Vertrauen, nachdem wir die Fragen, über die wir verschiedener Meinung sind, identifiziert und darüber gesprochen haben. Die meisten haben schon das Vergnügen ewig dauernder ideologischer Diskussionen gehabt, die so lange zu dauern scheinen, bis alles drei Mal gesagt worden ist, und zwar von allen. Wir denken, dass das zum Teil auf einer Unklarheit dahingehend beruht, warum wir die Diskussionen führen. Zu debattieren, um uns ideologisch rein zu erklären, die HäretikerInnen zu verbannen und uns dann selbst zu beweihräuchern, während der Planet brennt, ist sicherlich nicht der konstruktivste Weg nach vorn. Aber eine Diskussion über konkrete praktische Aktionen wird uns weiterhelfen. Wir können dann entscheiden, mit anderen zusammenzuarbeiten, die unsere Prioritäten teilen, selbst wenn sie dies nicht bis zum letzten Anstrich unserer Analyse tun. Was können wir tun? Wir müssen sicher gehen, dass wenn immer wir Treffen zur Vorbereitung künftiger Projekte planen – und es ist absolut notwendig, dass wir solche Projekte haben - wir genug Zeit für Diskussion lassen. Wenn dies bedeutet, dass wir mit diesen Projekten etwas langsamer vorankommen, dann bitte sehr: mittel- bis langfristig wird uns das Kraft geben. Die Projekte sollten keinen Rücksitz einnehmen – weit gefehlt, angesichts der Dringlichkeit, mit der wir unsere Aktionen eskalieren müssen – aber der Ernst der Lage sollte uns nicht daran hindern, gemeinsam nachzudenken.

Drei bescheidene Vorschläge:
- Wir treffen uns weiter als eine Art (wie auch immer definiertes) Netzwerk;
- Unsere Treffen betonen die Notwendigkeit, Information zu teilen und kollektiv zu diskutieren.
- Welche praktischen Projekte auch immer wir organisieren, sollten diese immer mit unserem Ziel, uns zu bilden, verbunden sein.

Antworten/Kommentare/Einwände/Kritiken/Korrekturen/Argumente/Diskussionen sind alle willkommen. Bitte sendet sie an: wherenext@aktivix.org.

Anti-copyright: druckt’s, kopiert’s, verändert’s und verteilt’s wie Ihr wollt. Für leichteren Druck ist es auf der Webseite auch als pdf (A5 und A4 erhältlich).

[1] Als wir uns zuerst zusammengesetzt haben, um diesen Essay zu schreiben, waren wir uns nicht sicher, ob es eine Kritik der Richtungen sein sollte, die das Klimacamp eingeschlagen hatte, oder ein Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion darüber, was unsere Prioritäten sein sollten. Während eine Variation zum Thema „Gegen die Institutionalisierung (der Idee) des Klimacamps“ lustiger zu schreiben sein dürfte und eventuell auch mehr Ärger stiften dürfte, nehmen wir an, dass sie letztendlich weniger hilfreich sein dürfte. Aus verschiedenen Gründen war niemand von uns beim Camp 2007: daher ist unsere Antwort darauf größtenteils ein Resultat von Beobachtungen von außen. Aber wir hoffen, dass diese Distanz es uns erlaubt, von draußen Dinge zu sehen, die von nah dran verpasst werden könnten.
[2] Das bedeutet nicht, dass die Organisatoren nicht eine Riesenarbeit geleistet hätten; natürlich haben sie das. Es sollte auch nicht bestritten werden, dass alles viel, viel schlechter hätte laufen können.
[3] Vgl. Network for Climate Action- Webseite.
[4] Diese Zahl, von http://www.carbonequity.info/docs/election07.html basiert auf einer angenommenen Weltbevölkerung von 8,9 Milliarden in 2050 und wird als die höchste Zahl angenommen, die wir bei einem Temperaturanstieg von „nur“ 2o Grad Celsius halten können.

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