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2008-11-28

Frankreich/ Tarnac 5: Offener Brief der Eltern von Bertrand, Mathieu, Elsa, Aria und Yldune

Wenn alle Medien zusammen in gemeinsamer Kakophonie eine handvoll junger Menschen, die gerade im Gefängnis schmachten, zum Objekt ihrer Lügen werden lassen, ist es sehr schwer den richtigen Ton zu treffen um den Rabatz zu beenden und ein wenig Wahrheit einklingen zu lassen.

Viele Journalisten haben sich geradezu verbogen, um die Stellungnahmen von der Innenminsterin zu bestätigen, sogar bereits zu dem Zeitpunkt, wo die Razzien noch stattgefunden haben. Die Verhafteten wurden deshalb von Beginn an schuldig erklärt.

Bild: Tarnac

Niemand konnte sich der effekthascherischen Reality-Polizeishow der letzten zwei Wochen entziehen, wobei die Kinder in die Hauptrollen gezwungen wurden. Der seelische Schmerz, die Angst und Tränen haben uns heruntergerissen, dieser Zustand hält immer noch an. Aber das, was uns am meisten verletzt hat, uns am meisten zerstörte, ist die ausgebrochene Flut der Lügen.

Heute waren es unsere Kinder, morgen könnten es eure sein. Wir sind immer noch fassungslos, aber wir sind nicht länger gelähmt. Die folgenden Fakten sind ein Versuch zurück zur Wahrheit zu finden und die öffentliche Vorverurteilung verstummen zu lassen.

Unsere Kinder kamen offensichtlich in den Genuss einer Sonderbehandlung, 108 Stunden in Dunkelheit eingesperrt, einige ohne jegliche Anklage. Um das zu rechtfertigen wurde uns erzählt, dass es sich um um ganz seltsame, sonderbare Menschen handelt, die man nicht an jeder Straßenecke findet. Gleichzeitig wurden uns deutlich, dass sie doch ganz normale Menschen sind, mit Meinungen und Positionen, die du überall finden kannst.

Die Polizei warf unseren Kindern vor sich zu organisieren. Sie sollen sich gemeinsam lokal für ihre grundlegenden Bedürfnisse eingesetzt haben, ein dörfliches Lebensmittelgeschäft, das geschlossen wurde wieder eröffnet und aufgegebenes Land kultiviert und die Essensverteilung an alte Leute organisiert haben. Ist es schlecht sich für Grundbedürfnisse zu organisieren? Hier, in Zeiten der Krise? Unsere Kinder wurden als Radikale eingeordnet. Im Wörterbuch steht Radikal für: ein Problem bei den Wurzeln anpacken.. In Tarnak bauten unsere Kinder Möhren an- ohne Chefs oder Führungskräfte. Weil sie bblauäugig der Überzeugung sind, dass Leben, Intelligenz und Entscheidungen freudvoller sind, wenn sie gemeinschaftlich getroffen werden.

Das Innenministerin ließ uns wissen, dass ein einfaches Lesen des Buches „ „L´insurrection qui vient, (der kommende Aufstand) verfasst von dem „comite invisible“ (das unsichtbare Komitee) einem schon zum Terroristen macht. Dadurch, dass sie das Buch öffentlich in den Medien bespricht, riskiert sie bald 25000 mehr von ihnen auf ihrem Hoheitsgebiet. Für all die Menschen, die sich die Zeit nehmen, dass Werk zu lesen ist das Buch kein „Terroristischer Katechismus“, sondern ein politisches Essay mit dem Versuch neue Perspektiven zu entwickeln und gemäß Nouvel Observateur und Libération eines der bestverkauftesten sozialswissenschaftlichen Bücher des Jahres.

Unsere Kinder werden beschudligt an einer Demonstration am 3. November in Vichy teilgenommen zu haben. Einige unter uns sind die Kinder, die Enkel von denen, die durch das Vichy Regime deportiert wurden. Dass unsere Kinder sich entschieden haben auf diese Demonstration zu gehen und sich körperlich dem Immigrationsgipfel entgegengestellt haben in einer Stadt voll solcher Symbolik, füllt uns mit Stolz, aber auch Hoffnung und Mut.

Kehren wir zu zurück zu den Verdächtigungen gegen unsere Kinder. Entgegen dem, was behauptet wurde terrorisiert die Sabotage von Schienen nicht die Bevölkerung oder bringt Menschen in Gefahr. Sie führt nur dazu, dass die Bevölkerung Zeit verliert oder totschlägt. Was die Regierung terrorisierte war nicht, dass sie an die tausend Zugtickets erstatten musste, sondern das eine politische Idee, die auch eine Aktionsidee war, sich ständig weiterverbreitet. Sabotage war niemals Mittel des Terrors, stand aber immer für sozialen Wandel. Es gab eine Zeit als die CGT (Französische größte Gewerkschaft) hierzu aufgerufen hat.

Bankiers sind für die größte ökonomische Kriese der letzten 80 Jahre verantwortlich. Diese wird sicherlich zu Millionen Hungernden führen. Und wir grüßen weiter herzlich unsere Banker auf der Straße. Unsere Kinder werden nur verdächtig für die Verspätung von ein paar Züge verantwortlich zu sein und sie müssen deshalb mit 20 Jahre Gefängnis rechnen.

Die eindrucksvollste Polizeioperation der letzten Woche war nicht offene Türen in direkter Nähe zu einem schlafenden neuen Monate alten Kind zu sprengen, sondern vielmehr die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass der Wunsch nach Veränderung einer so perfekten Welt nur aus den Köpfen von degenerierten, gefährlichen Mördern entstammen kann.

Wenn Türen zuschlagen fühlen wir, als ob die Maskierten zurückkehren.
Wenn sie öffnen, träumen wir, dass unsere Kinder zurückkehren.

Die Eltern von Bertrand, Mathieu, Elsa, Aria und Yldune

PS: Wir grüßen und richten unseren Dank an die Einwohner von Tarnac, die es vorziehen, dass zu glauben, was sie erleben, statt dem, was sie im Fernsehen sehen.

Lasst den Vorwurf der "kriminellen Vereinigung im Sinne terroristischer Aktivitäten" fallen und lasst die Angeklagten unverzüglich frei.

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Hintergrund zu den Razzien:

Früh morgens, am 11. November führte die französische Polizei eine der größten Razzien der letzten Zeit in Frankreich durch. Die Polizei durchsuchte verschiedene Gebäude und Wohnungen in Paris, Rouen, Limoges, der La Meuse Region und in dem in der Mitte Frankreichs gelegenen Dorf Tarnac durch. Zehn Personen wurden in Gewahrsam genommen , neun wurden inzwischen beschuldigt Anhänger einer terroristischen Vereinigung und für mutwillige Sachbeschädigungen verantwortlich zu sein. Offiziell angegebener Hintergrund der Razzien waren Sabotageaktionen durch Hakenkrallen gegen Bahnstrecken des Hochgeschwindigkeitszuges TGV an vier Stellen.

Die Razzia in Tarnac, ein Dorf mit 350 EinwohnerInnen und vermutete Basis der sogenannten TerroristInnen, wurde durch 150 Angehörige von National Polizei, Antiterroreinheiten, Sprengstoffspürhunden und mit Hilfe von kriminaltechnischem Gerät usw. durchgeführt und dauerte den ganzen 11. November über. Das Dorf war dabei für mindestens einen halben Tag komplett von der Außenwelt abgeschnitten, das öffentliche Leben war lahmgelegt.

Insgesamt wurden in Tarnac sechs Menschen , zwei in Rouen, eine Person in Paris und eine in der Region La Meuse in Gewahrsam genommen. Das neue französiche Polizeigesetz bietet die Möglichkeit Verdächtige im Bedarfsfall für für 96 Stunden ohne Recht auf eine anwältliche Unterstützung einzusperren Eine Person, die Mutter eines Beschuldigten, wurde ohne Anzeige nach drei Tagen entlassen. Die anderen neun Betroffenen sind angeklagt Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. Vier von ihnen wurden wurden nach 96 Stunden entlassen,. Gegen fünf Personen wurde ein Haftbefehl ausgesprochen. Sie werden zusätzlich beschuldigt „gemeinsame Sachbeschädigung mit terroristischem Ziel“ durchgeführt zu haben. Die ErmittlerInnen beziehen sich hier auf die Sabotage der SNCV Gleise. Eine der Angeklagten wurde sogar als „Anführer einer terroristischen Zelle“ bezeichnet

Bisher hatten weder Rechtsanwälte noch die Öffentlichkeit stichfeste Beweise für die Rechtmäßigkeit der Anklage geliefert bekommen. Die Polizei präsentierte als Beleg terroristischer Aktivitäten bisher nur eisernes Stangenmaterial, Schweißgeräte, Kletterausrüstung und sogenannte „anarchistische Literatur“.

Ausdrücklich erwähnt wurde in diesem Zusammenhang das Buch „L´insurrection qui vient, (der kommende Aufstand), das von einem Autorenkollektiv verfasst wurde, das sich den Namen „comite invisible“ (das unsichtbare Komitee) gegeben hat.

Dennoch wurden die Razzien von der Presse breit aufgenommen. Bereits um 8:30 Uhr am Tag der Razzia wurde in den Medien von den Ereignissen berichtet. Die JournalistInnen waren offensichtlich bereits im Vorfeld von der Polizei gut informiert worden. Deshalb war für Medien zu Beginn klar, dass es sich bei den Betroffenen um gesuchte TerroristInnen handeln muss. Inzwischen erklären ihre Anwälte, dass hier ein eindeutiger Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vorliegt und das durch diese Vorverurteilung die Wahrscheinlichkeit einer Befangenheit des Gerichts besteht.

Zwei Tage nach den Razzien fand eine öffentliche Versammlung zum Thema in Tarnac statt. Mehr als hundert Menschen zeigten ihre Solidarität. Hier wurde beschlossen, eine lokale Unterstützungsgruppe für die Betroffenen zu gründen. Bereits am nächsten Tag folgte eine Pressekonferenz, auf der die UnterstützerInnen die sofortige Freilassung der Gefangenen sowie die Rücknahme der Terrorismusbeschuldigung verlangten.

Die Soligruppe benötigt dringend Unterstützung. Auf www.soutien11novembre.org wurde eine Homepage eingerichtet.

Es folgt die Übersetzung eines kurzen Textes von dieser Webseite, der sich der Frage widmet wie eine sinnvolle Unterstützung möglich ist. :

„Wie kann Unterstützung aussehen?“

Nach der ersten Schockwelle in den Medien ist es wichtig, einen öffentlichen Druck aufzubauen, damit die Sache nicht in Vergessenheit gerät. Wir müssen den Druck während dem ganzen Verfahren aufrechterhalten. Um das zu erreichen könnt ihr überall Unterstüzungskomitees gründen: organisiert Veranstaltungen, nutzt alle Möglichkeiten um über das Verfahren und dessen Umstände zu informieren, sammelt Geld…
Eine internationale Solidaritätsbewegung ist notwendig um die Inhaftierten so schnell wie möglich raus zu bekommen.
Gleichzeitig ist es wichtig, ein Minimum an grundsätzlichen Bedürfnissen für die Gefangenen zu garantieren: Kleider, Zigaretten, Hygieneprodukte… Außerdem brauchen wir Geld um die AnwältInnen und damit Nahestehende die Leute im Knast besuchen können, die bis auf weiteres in der Region Paris eingesperrt sind.
Die finanziellen Bedürfnisse sind real und dringend.
Die Spenden werden auch zur Finanzierung von zukünftigen Aktivitäten der Unterstützungskomitees verwendet werden.
Ein Konto wird im Moment eröffnet und wird bald auf dieser Seite veröffentlicht werden.

Ihr könnt auch Briefe an die Inhaftierten schreiben. Schickt diese an das Unterstützungskomitee in Tarnac, wir werden sie umgehend weiterleiten. Die Adresse ist:

Gabrielle, Manon, Yldune, Binjamin, Julien
Comite de soutien aux inculpes du 11 novembre
19170 Le Bourg
Tarnac
France

Vielen Dank für Eure Unterstützung
http://www.soutien11novembre.org

Source: http://de.indymedia.org/2008/11/234127.shtml