27.06.2007 Antifaschistische Linke Berlin
Die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm liegen hinter uns. Für die außerparlamentarische Bewegung in der BRD waren sie ein Schritt nach vorn: Denn sie waren mehr als eine Woche Protestspektakel an der Ostsee. Wir haben mobilisiert und organisiert, haben Bündnisse geschlossen und mit unserer Praxis interveniert. Jetzt gilt es zurück zu blicken, zu analysieren, Resümees zu ziehen. Den nächsten Schritt auszuloten erfordert eine Debatte, die noch nicht abgeschlossen ist. Die Antifaschistische Linke Berlin gibt hier ihren ersten Diskussionsstand wieder.
5 Finger sind eine Faust! Die Aktionen gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm
Seit „the Battle of Seattle“, wo 1999 eine WTO-Ministerkonferenz vor leerem Saal eröffnet werden musste, während in den Straßen der Stadt Barrikaden brannten, sind viele hunderttausende Globalisierungskritiker/-innen auf die Straße gegangen: als Militante, als Blockierer/innen und als Teilnehmer/innen von Großveranstaltungen wie den Sozialforen.
Sie sind Teil der weltweiten Bewegung, die sich Ende der 90er Jahre formierte und deren Aktivist/-innen für soziale Emanzipation und gegen den globalisierten Neoliberalismus kämpfen. Linksradikale Anti-Gipfel-Aktivitäten haben zum Ziel, die symbolische Repräsentanz von globaler Herrschaft zu stören. Im Zusammenhang mit Aktionstagen und Bündnisdemonstrationen sorgten Bilder von Riots in den Innenstädten von Göteborg, Genf, oder Genua für eine unmissverständliche Botschaft: Wir führen keinen Dialog mit den Herrschenden eines menschenfeindlichen Systems.
Auch die Proteste gegen den G8-Gipfel 2007 haben Widerstandsgeschichte geschrieben. In Heiligendamm ist es gelungen, die Inszenierung eines G8-Treffens tatsächlich zu stören. Mehr als 10.000 Menschen verzögerten am Mittwoch, dem 6. Juni 2007 die Anreise der Delegationen zum Gipfel. Alle Zufahrtsstraßen waren versperrt, Gipfelgegner/innen drangen in die zum Sperrgebiet erklärte Sicherheitszone rund um den Tagungsort ein. Dolmetscher/innen und Mitarbeiter/innen konnten stundenlang nicht bis Heiligendamm vordringen – einzig Luft- und Seeweg zum Badeort waren noch offen, bis auch dort Schlauchboote in die Sichtweite des Tagungsortes vordringen konnten.
Der Erfolg der Blockaden ist ein Erfolg der Basis der Bewegung, die mit Entschlossenheit und Zuversicht ihr Ziel verfolgte. Das Konzept lebte von den vielen Aktivisten/innen, die die Blockaden monatelang vorbereitet haben. Diese Erfahrung dokumentiert eine Weiterentwicklung der bisherigen Gipfelproteste und stärkt die Linke international. Sie zeigt, dass weiterhin mit uns zu rechnen ist.
Wir haben uns im Rahmen des bundesweiten Netzwerks Interventionistische Linke an der Vorbereitung und Durchführung der Proteste beteiligt. Unsere Aktionsschwerpunkte waren die Großdemonstration am 2. Juni 2007 und die Kampagne Block G8. Aus diesem Grund werden wir im Folgenden nur auf diese Aktionen eingehen und nicht auf die gesamte Fülle der Anti-G8-Aktivitäten, wie die Aktionstage globale Landwirtschaft, Flucht und Migration, gegen Militarismus, Krieg und Folter, die Blockade am Flughafen Laage, den Gegengipfel und Move against G8. Unser Ziel war es, große Bündnisse von Gipfelgegnern/innen mit aufzubauen und antikapitalistische Positionen innerhalb dieser Bündnisse stark zu machen.
An der Großdemonstration in Rostock nahmen etwa 80.000 Menschen teil. Für uns ist dieses Mobilisierungsergebnis ein großer Erfolg. Denn es ist ohne größere Beteiligung der Gewerkschaftsapparate und linken Parteien erreicht worden – anders als es bei bisherigen Mobilisierungen der Antiglobalisierungsbewegung bislang der Fall war. Die Demonstration, wie auch alle anderen Aktionen und die für den Protest notwendige Struktur wurden vorwiegend von unten, das heißt aus der außerparlamentarischen, nicht institutionellen, internationalen Bewegung organisiert.
Rostock war am 2. Juni eine Polizeistaatsfestung. Hubschrauber kreisten über der Stadt, die Bevölkerung traute sich nicht auf die Straße – monatelange Polizei- und Medienhetze gegen „gewaltbereite Gipfelgegner“ hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Die meisten Lokale und Läden blieben auf Anraten der Polizei an diesem Tag geschlossen. Gepanzerte Polizeieinheiten, vernagelte Fensterscheiben und schweres Gerät, vom Räumpanzer bis zu Wasserwerfern jeglicher Bauart prägten das Bild. Schon bevor der erste Stein geworfen war, hatte sich die Prophezeiung der Gewalt selbst erfüllt.
"make capitalism history" Der "make capitalism history" Block der Interventionistischen Linken stellte mit etwa 8000 Teilnehmer/-innen den größten Block auf der Demonstration. Die militante Auseinadersetzung mit der Polizei am Ende der Demonstration war ein Moment, der für eine Botschaft des Dialogs nicht zu vereinnahmen war. Sie sorgte für eine unmissverständliche Absage an die Vorstellung von einer an die G8 appellierenden Bewegung. Das war nicht zu übersehen und deshalb war es auch im nachfolgenden Gewaltdiskurs für Medien und politische Gegner um so notwendiger, den Block auf die Metaphern „schwarz“ und „gewalttätig“ zu reduzieren. In Anbetracht des ordnungsstaatlichen Gesamtszenarios und des Angriffs der Polizeihundertschaften auf unseren Block war es richtig und eine wichtige Erfahrung, sich gemeinsam zur Wehr zu setzen und diesen Angriff zumindest zeitweise zurückzuschlagen.
Jedoch lieferten die produzierten Bilder, wonach die enormen und monatelangen sicherheitsstaatlichen Maßnahmen verlangten. Der reale Sachschaden und die Zahl der verletzten Polizisten entsprach zwar nicht im Geringsten dem, was die Massenmedien über die "Schlacht von Rostock" glauben machen wollten. Aber die wurde Gewaltdebatte enorm forciert. Die Medien kolportierten jede Propagandalüge, das letzte Wort in jeder Nachrichtensendung hatte der Pressesprecher der Polizei. Das Bündnis und die Staatsmacht vor Augen gelang es einigen Veranstalter/innen der Proteste nicht, einen klaren Kurs zu behalten. Es häuften sich Kommentare zu den Auseinandersetzungen am Rande der Demonstration, die als generelle Distanzierungen von Militanz und militanten Aktivisten/innen verstanden werden konnten, oder auch so gemeint waren. Bei Sprechern von Organisationen wie ATTAC mag dies nicht verwundern - entspricht diese Haltung doch der politischen Linie ihrer Funktionärsriege.
Doch selbst vom IL-Pressesprecher aus unserer Gruppe hat es bedauerlicherweise distanzierende Worte in mehreren Interviews gegeben. Wir sind in diesen Tagen von der Wirkungsmacht des Gewaltdiskurses überrollt worden, waren vom Ansturm der Medien und der Wucht der Hetze überfordert und sind mit einigen Äußerungen in den Jargon von Medien und Polizei verfallen. Dies entsprach weder der wirklichen Position unserer Gruppe noch ihrer Sprecher/-innen und wir werden zukünftig dafür eintreten, dass weder Gruppen, noch Organisationen dauerhaft von Einzelnen in der Öffentlichkeit vertreten werden, ohne eine ständige Rückkopplung mit dem Kollektiv zu haben.
Block G8 Zum Gipfelstart am Mittwoch setzten wir uns gemeinsam mit zehntausend Menschen über das Demonstrationsverbot rund um die Sperrzone von Heiligendamm hinweg. Kollektiv trotzten wir Wasserwerfereinsätzen und Tränengas, führten die Polizei an der Nase herum und stellten damit ein weiteres Mal das Gewaltmonopol des Staates praktisch in Frage.
Deswegen schätzen wir die Blockaden, deren Rahmen das Bündnis Block G8 organisiert hatte, nicht weniger militant ein, als die Demonstration einige Tage zuvor. Für die Blockaden haben sich zigtausend Leute organisiert, sie waren entschlossen und wussten was sie tun wollten. Ihre Form setzte sich aus verschiedenen Aktionstraditionen zusammen. In der Vorbereitung haben sich in dieser Frage alle Bündnisteilnehmer/innen auf einander zu bewegt. Die Vermittlung dieses offenen Konzeptes, das breite Möglichkeiten zu Beteiligung bot, hat im Vorfeld gut funktioniert und schaffte die Basis für ihr Funktionieren in der Praxis.
Die Spaltung in den „Schwarzen Block“ vom Samstag und die friedlichen Blockierer/innen der nächsten Woche existierte in der Realität nicht, unabhängig von der Farbe ihrer Pullover. Die Blockierer/innen sind aktiv gegen Verbotszonen, Wasserwerfer und Polizeiabsperrungen vorgegangen. Sie entstammten demselben Spektrum, wie die Teilnehmer/innen der großen Bündnisdemonstration. Es handelte sich um dieselben radikalen Gipfelgegner/innen, Antifas, Antirassisten/innen, Friedens- und sonstigen Aktivisten/innen aus allen linken Bewegungen Europas.
Viele Blockierer/innen aus eher moderaten Strukturen setzten sich über Medienhetze, Einschüchterungsversuche und die Beschlüsse und Empfehlungen ihrer unter dem Distanzierungsdruck nach rechts lavierenden Funktionäre hinweg, die ihnen geraten hatten den Blockaden fernzubleiben. Das nennen wir emanzipatorische Politik im besten Sinne. Die Aktivisten/innen hatten erkannt, dass nicht die Militanten, sondern die Medien und die Sprecher einiger Organisationen sie funktionalisieren wollten.
Der Polizei war an diesem Tag nicht an Bildern von brutalen Einsätzen der Beamten gelegen. Das Bild einer scheinbaren Deeskalation darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch an den Blockadetagen zu einer massiven Außerkraftsetzung des Demonstrationsrechtes, etwa durch das Verbot des geplanten Sternmarsches kam. Die Polizei suchte und fand Situationen, in denen ein Eingreifen gerechtfertigt erschien, es kam zu vielfachen brutalen Einsätzen, Festnahmen und etlichen Schwerverletzten. Dass die Blockaden dennoch zu einem so großen Erfolg wurden, ist den zigtausend Teilnehmern/innen zu verdanken, denen es gelang, das monatelang geplante Fünf-Finger-System erfolgreich umzusetzen.
Block on Wir haben in unserer Mobilisierung immer wieder betont, dass der Gipfel die symbolische Inszenierung von Herrschaft sei, mit dem Ziel, die globalen Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren. Erfolg und Misserfolg der Bewegung müssen sich also daran messen lassen, ob es geschafft wurde dem G8 Gipfel diese gesellschaftliche Funktion streitig zu machen. Haben wir es mit unseren Aktionen geschafft diesen Gipfel und damit die, von ihm auf einer symbolischen Ebene repräsentierten, globalen Herrschaftsverhältnisse zu delegitimieren?
Unsere Antwort lautet ja. Sowohl die Großdemonstration, als auch die Massenblockaden haben Bilder erzeugt, deren Unversöhnlichkeit und nicht-appellativer Charakter gegenüber den G8 zur Delegitimierung des Gipfels geführt haben. Gemeinsam haben wir es geschafft den Widerstand gegen eine Weltordnung sichtbar zu machen, die sich die Sicherung der Funktionstüchtigkeit des kapitalistischen Weltmarkts auf die Fahnen geschrieben hat.
Der Charakter der globalisierungskritischen Bewegung 2007 in Deutschland hat sich durch das Nicht-Interesse von Gewerkschaftsapparaten und linken Parteien spürbar verändert. Einerseits wurden im Vergleich zu anderen großen Gipfelmobilisierungen deutlich weniger Menschen erreicht. Andererseits waren aber diejenigen, die durch die außerparlamentarischen Bewegungen erreicht wurden deutlich aktivistischer und vom politischen Ausdruck auch radikaler als bei vergleichbaren Protesten. Diese Erfahrung wird in zukünftige Formen von Organisierung einfließen. Sehr viele junge Menschen haben an den Aktivitäten teilgenommen, ihre dort gewonnenen kollektiven Erfahrungen des Widerstands politisieren und radikalisieren eine neue Generation des Protestes.
Zur Bewertung gehören auch die staatlichen und polizeilichen Maßnahmen, die bereits mit der Änderung des Polizeigesetzes von Mecklenburg Vorpommern begannen. Über 17.000 Beamte waren im Einsatz. Unter dem Arbeitstitel „technische Amtshilfe“ wurde die Bundeswehr im Inneren eingesetzt. Die Tornados zur Aufklärung des Luftraumes wurden zwar im nachhinein von Teilen der Öffentlichkeit bemängelt, generell stößt aber der Einsatz der Armee auf bemerkenswert wenig Kritik. Während der Protesttage kam es zu über 1000 willkürlichen Festnahmen. Das Demonstrationsrecht wurde durch Verbote von zig Versammlungen und Demonstrationen massiv eingeschränkt. Der Paragraph 129a erfährt zur Zeit eine Renaissance. Wochen vor dem Gipfel diente der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung als Anlass für eine bundesweite Durchsuchungswelle, inzwischen finden im Abstand von wenigen Tagen Hausdurchsuchungen bei angeblich militanten Gipfelgegnern/innen statt. Die spektrenübergreifende Solidarität der Proteste von Heiligendamm wird in den nächsten Monaten die Gelegenheit haben, sich in der Praxis der Antirepressionsarbeit zu bewähren.
Endlich scheint es weit über die explizit linksradikalen Zusammenhänge hinaus so etwas wie einen antikapitalistischen Grundkonsens innerhalb der Bewegung zu geben. Zudem kann vom Großteil der aktivistischen Basis getrost behauptet werden, dass er sich trotz medialer Hetze und staatlichem Repressionsdruck, trotz der Schwierigkeiten durch die Unterschiedlichkeit der Politikansätze nicht hat spalten lassen. Diese spektrenübergreifende Erfahrung war die Grundlage unseres gemeinsamen Erfolges bei den Protesten gegen den G8. Dies war auch ein wichtiges Moment für viele der internationalen Teilnehmer, von denen wir wissen, dass sie die Übertragbarkeit dieser Anregung für ihre Bedingungen diskutieren werden. Und auch für uns ist dieses Papier erst der Beginn einer Auswertung der gemeinsamen Arbeit. Wir werden die Köpfe zusammenstecken und über weitere Aktions- und Organisierungsformen nachdenken. Die von Vielen bereits tot-gesagte, globalisierungskritische Bewegung ist zurück und manifestiert ihren Widerstand radikaler als zuvor.
Wir sind gekommen um zu bleiben! Antifaschistische Linke Berlin Juni 2007