2007-08-31
Vor ca. einer Woche wurde Andrej H. aus der Haft entlassen. Dagegen hatte die BAW Beschwerde eingereicht. Gestern wurde bekannt, daß der BGH-Senat, der für die Entscheidung darüber zuständig ist, sich bis Anfang Oktober Zeit läßt. (1) Was bedeutet dies? Und was folgt daraus?
These 1.: Die BGH-Entscheidung ist erfreulich, aber keine Überraschung.
Wenn der Senat – in Übereinstimmung mit dem Ermittlungsrichter, der bis zu Andrejs Freilassung jeden Ermittlungsschritt der BAW abgesegnet hatte – zu der Einschätzung neigt, daß die Fluchtgefahr durch die Kaution hinreichend minimiert ist, so schadet es dem Staatsinteresse nicht, sondern nutzt gerade dem Staat, wenn sich der Senat mit seiner Entscheidung über die BAW-Beschwerde Zeit läßt. Wenn der Senat am Ende – ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Ermittlungsrichter – am § 129a festhält, wird es in der breiten Öffentlichkeit die Zustimmung zu der Entscheidung erhöhen, wenn der Senat zumindest lange darüber nachgedacht hat und die Entscheidung ausführlich begründet („am § 129a festhalten“ bedeutet dabei: der Haftbefehl bleibt zwar vielleicht weiterhin außer Vollzug, aber er bleibt ebenso weiterhin bestehen 2; es wird weiterhin nach § 129a gegen Andrej ermittelt).
Hinzukommt: Der Senat kann hoffen, daß das öffentliche Interesse an dem Fall bis dahin erlahmt. Es wird an uns liegen, dafür zu sorgen, daß es nicht so kommt!
These 2.: Der BGH wird in den nächsten Wochen zwei Fragen prüfen:
1. die Frage, was Voraussetzung der Annahme eines dringenden Tatverdachts im Sinne des § 129a StGB ist
2. die Frage, was Voraussetzung der Eingruppierung einer Vereinigung als terroristische Vereinigung im Sinn des § 129 a StGB ist. (3)
Daß der BGH diese Fragen prüfen wird, heißt nicht, dass er sie zu Gunsten von Andrej (und den anderen Beschuldigten) beantworten wird.
These 3.: Der BGH wird dann (noch) nicht über den Verdacht entscheiden, dass Oliver, Florian und Axel mg-Mitglieder sind.
These 4.: Beide Fragen haben hochgradig politische Implikationen. An ihnen wird sich entscheiden, ob am Ende der Sieg an die linksliberalen und linksradikalen Kräfte oder an die staatlich-staatstragende Repression geht.
Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Fragen, die sich der BGH selbst stellt, beantwortet werden, sondern darauf, ganz andere Fragen zu stellen. Denn schon die Fragen des BGH sind die falschen.
These 5.: Es kommt politisch und juristisch nicht darauf an, ob der § 129a auf den vorliegenden Fall angewendet werden kann. Denn Anwendung und Nicht-Anwendung, sind gleichermaßen antiliberal.
1. Daß sich der Begriff des „dringenden Tatverdachts“ im Falle von Andrej in vage Spekulationen auflöst, ist kein Exzeß, der noch über den § 129a hinausgeht. Vielmehr ist die Konturenlosigkeit des Begriffs des „dringenden Tatverdachts“ Folge der Vorverlagerung der Strafbarkeit, die die Einführung von Organisationsdelikten bedeutet. Der Konturenlosigkeit des Begriffs des „dringenden Tatverdachts“ kann nur durch eine Rückkehr zum Tatstrafrecht begegnet werden.
Werden die Voraussetzungen des „dringenden Tatverdachts“ im Einzelfall strenger oder weniger streng gefaßt, so mag dies zwar „verhältnismäßig“, den deutschen Verhältnissen (5) gemäß sein, aber liberal ist das nicht. (6) Die Abwehr eines vagen Gesinnungs-Verdachts-Strafrechts ist keine Wohltat, die sich WissenschaflerInnen qua besonderer Leistung verdient haben, sondern ein verfassungsmäßiges Recht, daß allen BürgerInnen zusteht. (7) Nicht Verhältnismäßigkeit, sondern die Verteidigung der Gleichheit vor dem Gesetz ist liberal!
2. Bei dem zweiten Problem, geht es darum, daß nach § 129a Absatz 2 StGB eine Gruppierung auch dann als terroristisch gilt, wenn sie nur Brandanschläge und ähnliche Taten begeht. Voraussetzung ist in diesen Fällen aber ausdrücklich (anders als bei Mord etc., wo dies anscheinend stillschweigend als ohnehin gegeben vorausgesetzt wird), dass diese Taten
+ dazu bestimmt sind, etwa „die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern“ oder „die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates […] zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen“
und
+ die Taten den Staat „durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen“ auch tatsächlich „erheblich schädigen k[ö]nn[en]“ (4).
Damit macht die Neufassung des § 129a Absatz 2 die politische Bestimmung der Tat in aller Offenheit zum Strafbarkeitsgrund. Daraus resultiert die Frage, die – im Gegensatz zu den Fragen des BGH – gestellt werden muß:
Ist der § 129a in einer Gesellschaft, die beansprucht liberal-demokratisch verfaßt zu sein, (verfassungsrechtlich und politisch) überhaupt akzeptabel ist?
Auf die Verneinung dieser Frage muß sich in den nächsten Wochen alle unsere Energie richten.
Paragraphenamazone
PS:
Weitere Analysen, Argumente und Vorschläge werden im Lauf des Tages folgen.