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2007-06-11

Fortsetzung der juristischen Auseinandersetzung

Rechtsanwälte Schultz & Förster
Bremen u. Berlin, den 11.06.2007

P R E S S E M I T T E I L U N G

Fortsetzung der juristischen Auseinandersetzung mit rechtswidrigen polizeilichen Maßnahmen und verfassungswidrigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen

Europaabgeordneter wurde an der Überprüfung der „Käfighaltung“ von Festgenommenen in der Gefangenensammelstelle gehindert

1. Wie berichtet konnte die Protestkundgebung in Weitendorf gegen Militarisierung und Krieg nach den Vorgaben des Oberverwaltungsgerichts mehrere hundert Meter vom Flughafen-Zaun entfernt mit über 1.000 Teilnehmer/innen stattfinden. Die gesamte Umgebung des Flughafens erweckte mit massivem Polizeiaufgebot (zum Teil mit Maschinenpistolen, Absperrungen, Fahrzeugen von Bundespolizei und GSG bis hin zu Schützenpanzerwagen) den Eindruck eines Belagerungszustandes. Die Kundgebung selbst wurde nach Feststellungen von RA Schultz als Vertreter der Versammlungsleitung vor Ort erheblich behindert (vgl. unsere Pressemiteilung vom 06.06.07), insbesondere:

  • Trotz der ausdrücklichen Festlegung im Protokoll des OVG, wonach die »Sichtbarkeit der Veranstaltung nicht durch Polizeifahrzeuge oder andere polizeilichen Maßnahmen behindert wird", waren zwei riesige Polizei-LKW auf der Parkstraße Richtung Flughafen so aufgestellt, dass die Sicht vom und zum Flughafen versperrt wurde. Auf die Intervention von RA Schultz bei der Einsatzleitung vor Ort und mehrfacher Anmahnung verblieb diese rechtswidrige Behinderung bis lange nach der Ankunft und Abtransport von Präsident Bush mit dem Hubschrauber bestehen. Es war nicht möglich, den verantwortlichen Einsatzleiter der Kavala zu sprechen, obwohl dieser noch am Samstag, den 02.06. in der achtstündigen Verhandlung die protokollierte Festlegung verantwortet hatte.
  • Auch bei der Fortsetzung der Kundgebung am Mittwoch, dem 06.06.07, wurde die Sichtbarkeit mit den gleichen Maßnahmen verhindert.
  • Nach Versammlungsende am 05.06.07 wurde bekannt, dass ein vollbesetzter Bus auf der Anfahrt von Rostock zum Kundgebungsort auf einen Autobahn-Parkplatz geleitet und dort mehrere Stunden festgehalten worden war: Nachdem die polizeiliche Durchsuchung lediglich eine Gasmaske und zwei Funkgeräte erbracht hatte, wurden sämtlichen Insassen die Ausweise abgenommen, sie wurden einzeln fotografiert und ihnen wurde erklärt, die Fotos würden erst gelöscht, wenn sie keine »Post von der Staatsanwaltschaft« erhalten. Eine Klärung vor Ort war nicht möglich.

2. Nachdem das Bundesverfassungsgerichts sich außerstande sah, den Eilanträgen zur Durchführung von Kundgebungen innerhalb der “Verbotszone” direkt vor dem Flughafen stattzugeben (vgl. unsere früheren Pressemitteilungen) ist beabsichtigt, die Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Grundgesetz durch die Allgemeinverfügung der Kavala sowie die Entscheidungen von VG und OVG im Hauptsacheverfahren feststellen zu lassen. Hierzu haben wir das Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers, Prof. Dr. Martin Kutscha, eingeholt, das auf Anforderung gerne übersandt werden kann.

3. Am 08.06.2007 mittags hat ein Teil der von den Blockaden um Heiligendamm zurückgekehrten DemonstrationsteilnehmerInnen vom Hauptbahnhof Rostock aus einem Demonstrationszug zur Abschlußkundgebung durchgeführt, die von der Bundestagsabgeordneten Nele Hirsch als verantwortliche Leiterein angemeldet wurde. Die Kavala hat jedoch die Demonstration nicht vom Bahnhofsvorplatz durch die Innenstadt zugelassen, sondern nur vom Hinterausgang über einen größeren Umweg auf Nebenstraßen; außerdem wurde als Auflage u.a. verfügt: “Vermummungsutensilien untersagt”. Nachdem die Polizei in den Vortagen zahlreiche DemonstantInnen, die Mütze, Schal und dunkle Sonnenbrillen bei sich führten, als “potentielle Gewalttäter” festgenommen hatte, bestand die Gefahr, daß ein Verstoß gegen diese Auflage erneut zu willkürlichen Festnahmen führen könnte. Der von Transparenten, Plakaten und zahlreichen Sprechchören gegen den G8-Gipfel bestimmte Demonstrationszug wurde von einem massiven Polizeiaufgebot, zum Teil in Kampfanzügen und bewaffnet, begleitet. Nach zweimaligem Wechsel des verantwortlichen Einsatzleiters vor Ort teilte dieser der Versammlungsleiterin dann mit, es befänden sich “Vermummte” unter den DemonstrantInnen. Als die Versammlungsleiterin darauf bestand, hierzu konkrete Angaben zu erhalten, herrschte Funkstille. Der Demonstrationszug konnte ohne sonstige Zwischenfälle den Ort der Abschlußkundgebung am Hafen erreichen, wo er von den bereits Anwesenden begeistert begrüßt wurde.

Auch hier gilt also die Feststellung unserer Pressemitteilung vom 06.06.2007:

Wenn es trotz dieser massiven Behinderungen zu keinen gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, zeigt dies wie besonnen die Teilnehmer/innen agierten und dass sie sich durch das Verhalten der Polizei nicht provozieren ließen. Diese unvollständigen Beispiele verdeutlichen, wie die Polizeimaßnahmen den gesetzlichen Aufgaben und rechtlichen Verpflichtungen zuwiderlaufen und die Realisierung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gefährden.

4. Die “Käfighaltung” ist in mehreren Pressemitteilungen des RAV/Anwaltsnotdienstes berichtet worden. Hierzu ein weiteres bezeichnendes Detail:

Nach dem Bekanntwerden der menschenrechtswidrigen “Käfighaltung” aufgrund von Schilderungen der Mandanten haben mehrere Anwälte versucht, diese Zustände von Abgeordneten überprüfen zu lassen. Am Donnerstag, den 07.06.07 nachmittags, bat der Abgeordnete des Europaparlaments, Tobias Pflüger, der in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern problemlos in seiner Eigenschaft als Abgeordneter Gefängnisse besichtigt hatte, den in der Gefangenensammelstelle (GeSa) Industriestraße verantwortlichen Vertreter der Kavala, einen solchen “Käfig” mit einem Rechtsanwalt zusammen ansehen zu dürfen, nachdem der verantwortliche Richter des Amtsgerichts Rostock der für die Freiheitsentziehung zuständig war, sich hierzu außerstande sah. Nach einer Wartezeit vor dem Eingang der GeSa ließ der Vertreter der Kavala mitteilen, der Abgeordnete solle sich an eine andere Stelle wenden. Unter der angegebenen Telefonnummer meldete sich die Pressestelle der Kavala, die sich natürlich für unzuständig erklärte. Nach weiteren Interventionen meldete sich schließlich gegen 17.30 Uhr der Leiter des Führungsstabes der Kavala, Herr Laum, und lehnte eine Besichtigung der “Käfige” durch Herrn Pflüger ab, da er keine Rechtsgrundlage und kein berechtigtes Interesse erkennen könne. Im Gespräch mit RA Schultz erklärte er sich zwar bereit, daß der Abgeordnete zusammen mit einem RA einen dort einsitzenden Mandanten besuchen könne, mußte aber auf Nachfrage einräumen, daß dieser Besuch nicht im “Käfig” sondern im Besprechungsraum stattfinden werde. Als RA Schultz ihm weiter vorhielt, die Verweigerung des Besuchs durch Europaabgeordnete werde in der Öffentlichkeit nur den Schluß zulassen, daß man “etwas zu verbergen” habe, bestritt Herr Laum dies und meinte, sonst müßte er ja auch NPD-Abgeordneten den Zutritt erlauben, was er ebenso ablehne (!?).

Auch dieser Vorgang wird ein parlamentarisches Nachspiel haben, falls erforderlich soll das Antifolter-Komitee beim Europarat (CPT) eingeschaltet werden.

H.-Eberhard Schultz, Bremen Claus Förster, Berlin

Rechtsanwalte Schultz & Förster
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