Protest-Organisatoren sind nach Rostocker Krawallen ratlos - Polizei verfolgt strikte Deeskalation
Kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm vom 6. bis zum 8. Juni befindet sich 25 Kilometer nordöstlich die Hansestadt Rostock im Ausnahmezustand. Tausende Vermummte attackieren die Polizei-beamten mit brutaler Gewalt.
Das Transparent ist nur noch mit einiger Mühe zu erkennen. "George go Kyoto", soll wohl darauf zu lesen sein. Doch nun liegt die friedliche Aufforderung an den US-Präsidenten mitten auf dem Rostocker Stadthafengelände im Dreck. Ringsherum Scherben, Steine, zerbrochene Stöcke - alles schmierig aufgeweicht vom Sprühregen. Über dem weitläufigen Platz hängen tiefe Regenwolken, dunkle Rauchschwaden von Tränengas und angebrannten Müllcontainern. In einer riesigen Pfütze spiegeln sich Wasserwerfer der Polizei, die vor der Bühne stehen.
VON PETER GÄRTNER UND AXEL BÜSSEM
Eigentlich sollen hier jetzt junge Leute ausgelassen feiern - gerade erst haben die Bands Juli und Wir sind Helden ihre Sachen gepackt. Doch die Party fällt aus. Ein paar Meter weiter in den Zelten der Veranstalter kämpfen die Organisatoren mit ihren Gefühlen, die zwischen Resignation und Wut schwanken. Ausnahmsweise wird die Schuld nicht bei der Polizei gesucht.
Für die Gewaltausbrüche der Autonomen "gibt es keinerlei Rechtfertigung", meint Werner Rätz von Attac. Die Polizei hätte sich völlig korrekt verhalten. Im Cafézelt fließen stille Tränen - nicht wegen des Tränengases. "Ein Jahr Vorbereitung, ein Jahr Spenden sammeln", stammelt die kurzhaarige Frau von einer Berliner Flüchtlings-AG, "jetzt machen uns ein paar unbelehrbare Krawallmacher alles kaputt."
Dabei hatte die Demo, die den Auftakt der Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm markieren sollte, friedlich begonnen. Zehntausende hatten sich allein hinter dem Hauptbahnhof versammelt - viele fantasievoll kostümiert und geschminkt, mit knallroten Lufballons in der Hand oder umgeschnallten Sambatrommeln. Doch an einem Lkw der Autonomen bahnte sich das Desaster schon an: Dort standen junge, schwarz gekleidete Männer mit Sonnenbrillen. Kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt, kam es zu ersten Rangeleien auf einer nahen Brücke. Dort versuchte eine Polizeieinheit mehrere dutzend Fotografen und Kameraleute an Aufnahmen zu hindern. Erst der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele und ein Anti-Konflikt-Team der Polizei sorgten für Beruhigung. Als wenig später die Autonomen ankamen, waren die Vermittler allerdings machtlos.
Noch flogen erst einige wenige Flaschen und Leuchtraketen in Richtung Journalisten und Polizei. Doch das erste Zeichen war gesetzt. Die Gruppe der Gewaltbereiten hatte sich bereits zu einem wild entschlossenen Kampfverband formiert: komplett vermummt, untergehakt in dichten Reihen und an den Seiten mit Transparenten abgeschirmt. Der für den gesamten Einsatz rings um das G-8-Treffen verantwortliche Polizeiführer Knut Abramowski sprach später von "bisher nicht gekannter Brutalität".
Als sich die Demonstrationszüge dem Stadthafen näherten, wurde der schwarze Block auf 2500 bis 3000 Militante geschätzt. Darauf waren weder Veranstalter noch Beamte vorbereitet. Die Vertreter von Attac, Greenpeace, Verdi und Linkspartei fühlten sich von der radikalen Minderheit getäuscht, deren Vertreter im Vorfeld "glaubhaft" Gewaltlosigkeit zugesichert hatten.
Die Polizei, anfangs nur mit wenigen Einheiten in den Nebenstraßen postiert, wirkte lange Zeit hilflos. So flogen unter den Augen der Ordnungshüter aus dem Autonomen-Block immer wieder Steine gegen Schaufenster von Banken, Hotels und Supermärkten. Später wurden am Rand der Demonstration mit Müllcontainern Barrikaden errichtet und Autos angezündet. Auf dem bereits überfüllten Stadthafengelände nutzten die Vermummten die friedliche Masse der Demonstranten als Deckung.
Erst wurde ein Polizeiauto zerstört, dann wurden Einsatzkräfte eingekesselt und mit Steinen und Stöcken angegriffen. Die Schmerzensschreie schwer verletzter Beamter bekam kaum einer auf dem riesigen Gelände mit. Als dann die Polizei massiv eingriff, Tränengas und Wasserwerfer einsetzte, hatte sich der schwarze Block blitzschnell in Kleingruppen aufgelöst, die weiter randalierten und Polizisten nachstellten.
Unterdessen spiegelte sich auch auf der Bühne die Spaltung der G-8-Kritiker: Während ein Attac-Vertreter aufrief, Ruhe zu bewahren, heizte ein Redner der Autonomen die Stimmung noch an: "Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts." Viele pfiffen und buhten daraufhin.
Am Morgen danach: Den Organisatoren ist anzusehen, dass sie überrascht worden sind vom Ausmaß der Gewalt. Mitveranstalter Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative hatte bei der Abschlusskundgebung am Samstag noch verzweifelt versucht, das Schlimmste zu verhindern. "Lasst die Bullen in Ruhe!", rief er den Randalierern zu. Nun muss er eingestehen, dass es "nicht wirklich gelungen" sei, eine friedliche Demonstration abzuhalten.
Während der Koordinator der Demonstration, Monty Schädel, der Polizei die Schuld gibt, nimmt Stenner die Einsatzkräfte in Schutz: "Die Polizei hat sich an ihren deeskalierenden Kurs gehalten. In der konkreten Situation stand sie im Regen." Dass die Demo außer Kontrolle geriet, daran waren nach Stenners Ansicht vor allem die Organisatoren schuld. "Wir haben es versäumt, bis zum letzten Moment vorsichtig zu sein."
aus den Stuttgarter Nachrichten vom 04.06.2007
[http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/detail.php/1439049]