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2007-06-10

junge Welt: Auf Seiten der Mächtigen

Nichtergebnisse gewürdigt und Kritiker diffamiert: Wie die großen Fernsehsender über den G-8-Gipfel und seine Gegner berichteten

Von Gitta Düperthal

Der Publizist Kurt Tucholsky schrieb 1932 in der Weltbühne: »Das, was die meisten Redakteure zu sein vorgeben, sind sie gar nicht: unabhängige Inhaber von Machtpositionen. Das können Sie nur einem unkundigen Außenseiter erzählen. Sie sind bis ins letzte Komma abhängig wie die Landarbeiter, und die Stellung, die sie haben, nutzen sie niemals aus, weil sie das nicht dürfen.« Es war einmal…? Von wegen. Beispiele aus der Fernsehberichterstattung zum Gipfel G 8 beweisen das Gegenteil: Bundeskanzlerin Angela Merkel berichtet ausgesprochen defensiv erste Resultate zum Klimaschutz der Regierenden der sogenannten acht mächtigsten Wirtschaftsländer in Heiligendamm: »Bindende Ziele gibt es nicht. Es gibt nur Verabredungen, zu bindenden Zielen Vereinbarungen zu treffen.« Daraufhin antichambriert der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Peter Frey: »Wie ist es Ihnen gelungen, die Kuh vom Eis zu bringen?«

Staatstragend

Ein weiteres Beispiel dokumentiert, wie Medienvertreter etwa damit kokettieren, sich staatstragend in die Rechtssprechung einzumischen. ZDF-Moderator Claus Kleber hebt mit sichtlicher Genugtuung den Einfluß des Fernsehens auf die Entscheidung der Justiz hervor, die den Sternmarsch verbot: »Die Verfassungsrichter haben wohl die Demonstration in Rostock im Fernsehen gesehen.« Das wollen wir doch nicht hoffen, daß die von Redakteuren getroffene Auswahl der Fernsehbilder verfassungsrechtliche Entscheidungen maßgeblich beeinflußt.

Kurz, Fernsehjournalisten demonstrieren bei der Gipfel-Berichterstattung häufig: Man sieht sich gern auf Seiten der Mächtigen. Auch für die Ordnungsmacht nehmen sie gern Partei. Als das Schlauchboot mit Greenpeace-Aktivisten beim Polizeieinsatz brutal überfahren wird, kommentieren Fernsehjournalisten diese Bilder auf N24, dem RTL zugehörigen Sender n-tv, Phoenix und anderen Sendern zunächst: Polizisten hätten die Boote »abgedrängt«. Später wird dezent nachgefragt, ob »die Verhältnismäßigkeit der Mittel« gewahrt worden sei. Ines Arland (Phoenix) spricht dann endlich aus, was der Zuschauer längst gesehen hat. Martialische Bilder sind es. Die Polizei habe Gewalt angewendet. Das letzte Wort hat jedoch Polizeisprecher Axel Falkenberg, wie auf fast allen Sendern.

Was sich hinter solch obrigkeitshörigem Journalismus verbirgt, mutmaßte Tucholsky: Journalisten werden ausgetauscht, wenn sie nicht gefällig sind. (siehe Randspalte). Ob deshalb RTL-Reporter Thomas Präkelt den Protest am Zaun von Heiligendamm als von der Polizei »betreuten Abenteuer-spielplatz« diskreditiert?

Mitunter sind die Fernsehbilder schlicht diskriminierend. Beispielsweise vergangenen Freitag, beim Empfang der Regierungschefs von Südafrika, Nigeria, Ägypten, Algerien, Senegal und Ghana. Kein Medienspektakel zur Ankunft der Gäste wie bei den acht Mächtigen, keine Szenen auf rotem Teppich mit Ehrengarde, kein Fabulieren darüber, ob sie Spargel und Waldmeistereis serviert bekommen, keine Bilder vom Partner- und Gattinnen-Sonderprogramm, kein lockeres entspanntes Sitzen auf der Terrasse mit der Kanzlerin und kein »German Bier«. Deutlicher kann man es nicht zeigen: Sie sind Gäste zweiter Klasse. Nicht einmal namentlich wurden sie oft benannt. Bei N24 heißt es, die Kanzlerin habe »in bunter Folge« Regierungschefs der afrikanischen Länder empfangen. Zuschauer algerischer Herkunft sitzen verblüfft vorm Fernseher – hatten sie doch seit Beginn der Gipfel-Berichterstattung gespannt erwartet, wann der Staatschef ihres Herkunftslandes Abdelaziz Bouteflika im Dialog das Wort ergreift. Die Überraschung ist perfekt: Gar nicht.

Es gibt auch positive Beispiele eigenwilliger und unangepaßter Berichterstattung: In Anne Wills Tagesthemen (ARD) darf die Kenianerin Agnes Aboum kritisieren: »Die Afrikaner müssen immer mit der Bettelschüssel kommen.« Im Ersten heißt es auch: Der erfolgreichste Blockierer habe mitten in der Runde gesessen – und nicht vor dem Zaun: George Bush.

Handverlesen

Beim G-8-Gipfel haben Tausende in- und ausländische Journalisten gemerkt, welche Wichtigkeit ihnen beigemessen wird. Es gibt hervorragendes Essen, einen wunderbaren Ausblick des Pressezentrums Kühlungsborn aufs blaue Meer. Doch sie sind – und insofern haben sie Gemeinsamkeiten mit den protestierenden Globalisierungsgegnern – sieben Kilometer entfernt vom Geschehen in Heiligendamm. Vordringen hinter den Zaun dürfen nur ausgesuchte Journalisten, so wie auch handverlesene artige Jugendliche beim Kindergipfel ihr Anliegen vortragen dürfen. Fazit: Wo die Demonstrationsfreiheit, also die kollektive Meinungsfreiheit der Bürger, eingeschränkt wird, ist die Bedrohung der Pressefreiheit nicht weit.