2006-03-22
Große Sicherheitsvorkehrungen bei einem Besuchsprogramm der G8-Innenminister in Wismar, bevor sie sich am 23. März 2006 in Heiligendamm treffen.
Wetterleuchten aus Heiligendamm
L. Tannhäuser 29.03.2006 19:09 Themen: G8 G8 Heiligendamm Repression
Übertriebene Sicherheitsvorkehrungen bei einem mehr oder weniger touristischem Besuchsprogramm der G8-Innenminister in Wismar, mit dem die halbe Stadt einen Tag lang lahmgelegt wurde, bevor sie sich am 23.03.2006 in Heiligendamm getroffen haben.
Einen Vorgeschmack dessen, was die Bewohner Mecklenburg-Vorpommerns im Jahre 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm zu vergegenwärtigen haben, konnten die Wismarer Einwohner kürzlich beim Besuch einiger Innenminister von G8-Ländern in unserer Stadt erleben: ganztägige Verkehrseinschränkungen, Parkverbote, Personenkontrollen, heulende Polizeisirenen – und das alles, um die hohen Gäste bei ihrer Stadtbesichtigung und beim Eintrag ins goldene Ehrenbuch vor den gefürchteten Wismarer Selbstmordattentätern zu schützen? Selbst die Mitglieder des Blänkechors mussten, wie man hört, ihre Personalien hinterlegen, bevor sie die erlauchten Ohren erfreuen durften. Die Innenstadt war war praktisch von 07.00 bis 18.00 Uhr für den Verkehr lahmgelegt; die Geschäfte fast kundenleer. An die tausend Landespolizisten waren neben Personenschützern, BKA-Beamten u.a. m. aufgeboten worden, um die folgende Zusammenkunft der Minister in Heiligendamm von der Bevölkerung abzuschirmen. Dieser überdimensionierte Kräfteeinsatz deutet darauf hin, dass man in Hinsicht auf den G8-Gipfel im nächsten Jahr schon einmal die Instrumente zeigen und erproben wollte, mit denen man dieses Treffen der Regierungschefs der führenden Industrienationen vor unliebsamen Protesten abzuschotten gedenkt.
Auch wenn einige Landes- und Bundespolitiker Ängste in der Bevölkerung zu schüren versuchen und Stimmung gegen die angeblich zu erwartenden steinewerfenden Chaoten und Randalierer machen, um vorsorglich offenbar beabsichtigte Repressionen zu rechtfertigen – verhindern werden sie Proteste damit nicht. Der Umgang mit solchen in einer Demokratie selbstverständlichen und legitimen Protestaktionen wird letzten Endes darüber entscheiden, ob unser Land wirklich den von der Politik erhofften Imagegewinn durch den G8-Gipfel erzielt. Staatliche Gewaltorgien gegen Demonstranten mit Todesopfern wie beim Genua-Gipfel sind jedenfalls als unauslöschlicher Makel nicht an der Protestbewegung, sondern an der Berlusconi-Regierung hängen geblieben. Mein Eindruck von der Vorbereitungskonferenz der Gipfelkritiker in Rostock war, dass die Organisatoren alles tun werden, um einen friedlichen, gewaltfreien Verlauf der Proteste zu gewährleisten; zu hoffen ist, dass auch die Polizei ihre Aufgaben unter dem Aspekt der Deeskalation und der Achtung der Bürgerrechte erfüllen wird.
Ob man Ansehen und Glanz als Gastgeber von Regierungschefs gewinnen kann, die sich als selbstmandatierte Herren der Welt gerieren und die eine Politik des Sozial- und Demokratieabbaus, der Verschuldung, Privatisierung und der Umweltzerstörung zu verantworten haben, muss jeder selbst entscheiden. Ich meine aber, dass vor allem diejenigen Anspruch auf unsere Gastfreundschaft und Sympathie haben, die sich gegen eine Politik wenden, deren Ergebnisse man z. Zt. in Tschetschenien, auf dem Balkan, im Irak und in der 3. Welt besichtigen kann.
L. Tannhäuser, Wismar