2007-03-04 

„Es gibt Plätze auf dieser Welt, die sind nicht von dieser Welt“

Demonstrationsbeobachtung beim G8-Gipfel in Heiligendamm

Die großen und mächtigen Staats- bzw. Regierungschefs dieser Welt werden sich vom 5. - 7. Juni 2007 in Heiligendamm treffen.
Konnte ein solches G-8-Treffen 1999 noch mitten in Köln stattfinden, so suchen die Mächtigen dieser Welt seit den Ereignissen in Seattle und Genua abgelegene Orte auf, die sich fast militärisch abschirmen lassen. Um Heiligendamm und das dortige Nobelhotel Kempinski wird ein 12 km langer und 2,50 m hoher Zaun gebaut. Gesichert bis tief in den Boden, oben mit Nato-Stacheldraht bewehrt und rundum videoüberwacht, entsteht sozusagen ein umgekehrter, von der Außenwelt abgeschirmter Hochsicherheitstrakt. Das, was die Bürger und Bürgerinnen denken und wollen, soll die Politiker und Politikerinnen nicht erreichen und interessieren. Der Slogan des Hotels »Es gibt Plätze auf dieser Welt, die sind nicht von dieser Welt«, mit dem es um zahlungskräftige Gäste wirbt, erhält so eine neue Bedeutung.
Schon seit vielen Monaten diskutieren viele Gruppen, bundesweit und zugleich international vernetzt, über Protestformen und die inhaltliche Begleitung des Treffens. Es geht um die Kritik am Neoliberalismus, an Kriegspolitik und Militarismus, am (nicht nur) europäischen Grenzregime und der Ausgrenzung von Flüchtenden, an Hartz IV und der sozialen Verelendung mitten in den reichen Staaten. Unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ ruft ein breites Bündnis für Samstag, den 2. Juni 2007, zu einer internationalen Demonstration auf. In den folgenden Tagen werden die verschiedenen Themen aufgegriffen und in Protestaktionen umgesetzt. Ein Gegenkongress wird die Themen diskutieren.

G8 2006

Staatlicher Verruf des Protestes Die Polizei Mecklenburg-Vorpommern schreibt in ihrem Grußwort zum G8-Gipfel auf ihrer Internetseite: „Seit einigen Jahren werden diese Treffen leider auch von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet. Darauf werden wir uns einstellen müssen.“ Dies entspricht dem Tenor, der zur Zeit vorrangig von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz angeschlagen wird. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor Anschlägen auf den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Erst schwadroniert der Behördenpräsident Heinz Fromm von potentiellen Personenschäden, behauptet, in der „militanten Szene sei auch über gezielte Attentate auf Personen intensiv diskutiert worden“. Um dann zu berichten, solche „Angriffe seien aber abgelehnt worden, da eine Eskalation für politisch nicht opportun eingestuft werde“. (FAZ, 29.1.07) Bereits im November 2006 äußerte BKA-Präsident Ziercke bei einer Sicherheitskonferenz in Rostock „große Besorgnis“. Bereits jetzt werde eine „Zunahme von Straftaten wie Sachbeschädigungen, Brand- und Farbanschlägen registriert ... Selbst mit Terroranschläge müsse gerechnet werden.“(FAZ, 23.11.2006)
Gleichzeitig wird schon jetzt versucht, in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung eine Spaltung des Protests zu erreichen. BKAPräsident Ziercke betont, dass „nur wenige Demonstranten gewaltbereit seien. Friedliche Protestierer würden von den Sicherheitsmaßnahmen nicht berührt.“ Wer also von den „über 1000 Beamten“ des Bundeskriminalamts und den „insgesamt weit über 10.000 Beamten“ der Polizeien (FR, 28.12.2006) ins Visier genommen wird, so ist zu schließen, kann nicht friedlich sein. Wie allerdings die „friedlichen Protestierer“ nicht von Überwachung, Abschrekkung, Kontrollen und Absperrungen berührt sein könnten, bleibt das Rätsel, das der Quadratur des Kreises entspricht.

Präventives Polizeigesetz
Die Politik hält sich (noch) ein wenig zurück. Die Linkspartei.PDS steht dem Protest zumindest nahe. Aber auch mit der PDS ist im Juni 2006 das Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Mecklenburg- Vorpommern novelliert worden, um präventive Eingriffsbefugnisse für die Polizei auszuweiten. So treibt dieses Polizeigesetz die Vorwärtsverrechtlichung weiter voran.
Dass es zur Abwehr und Einschüchterung von Demonstrierenden eingesetzt werden kann und soll, ist offensichtlich. (Verdeckte) Überwachungen spielen eine zentrale Rolle. V-Personen, also solche, die gegen Bezahlung Informationen aus der „Szene“ weitergeben, dürfen von der Polizei geführt werden. Ebenfalls können verdeckt ermittelnde Polizeibeamte eingesetzt werden. Sowohl eine längere Observation als auch der Einsatz verdeckter Überwachungstechniken sind erlaubt. Ein automatisches Kfz-Kennzeichen- Lesesystem (AKLS) darf eingesetzt werden. Platzverweisungen können für maximal zehn Wochen sogar für ein ganzes Gemeindegebiet ausgesprochen werden. Chemische Kampfstoffe (CN und CS) sowie Pfefferspray sind beim Einsatz gegen Versammlungen erlaubt. Wie schon bei der WM wird die Polizei darum bemüht sein, „verdächtige“ Personen möglichst frühzeitig herauszufiltern und „auszusperren“. Wer, auf welche Weise auch immer, in die Verdachtsdateien geraten ist - eine gerichtliche Verurteilung ist hierfür nicht notwendig - soll mittels Einreiseverboten, Meldeauflagen und Platzverweisen an jeder Beteiligung an den Demonstrationen gehindert werden.

Wieder soll auch die Bundeswehr „im Notfall“ für eine Unterstützung bereit stehen. Da ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren illegal ist, wird mit der Inszenierung von helfender Bundeswehr im Notfall deren weiterer Einsatz im Inneren vorbereitet. Die Bundeswehr stellt Kasernen zur Unterbringung von 6.000 Einsatzkräften sowie ein mobiles Krankenhaus zur Verfügung. „Im Bedarfsfall könnten ABCSchützen, Sanitäter oder Fernmeldeeinheiten Unterstützung leisten“, so der Inspekteur der Streitkräftebasis, Vize-Admiral Wolfram Kühn. (NDR, 16.2.07) Im Frühjahr soll es gar „gemeinsame Notfallübungen der Stäbe geben“. In München und in Erlangen sind im Januar 2007 linke Projekte, Betriebe und Privatwohnungen von der Polizei durchsucht worden. In München wurde vorgeblich nach einem Aufruf gesucht, in dem zur Blockade des Flughafen Rostock- Lage am 5.6.07 aufgerufen wird. Daraus machte der Staatsschutz eine „Stürmung“ des Flughafens und einen „Aufruf zu Straftaten“. Leider werden solche Abstrusitäten manchmal - wie in München - von Ermittlungsrichtern abgesegnet.
Es gibt also Grund genug für uns, die Demonstrationen und das politische und polizeiliche Vorgehen erneut zu beobachten und darüber zu berichten. Vom 2. bis zum 7. Juni (oder länger) werden wir uns mit möglichst vielen BeobachterInnen rund um Heiligendamm und Rostock aufhalten und die Proteste beobachtend begleiten.

• Wer sich an unserer Demonstrationsbeobachtung beteiligen will, ist herzlich willkommen.
Gerne schicke ich Informationen über unser Konzept, unsere Planungen etc.
• Wir sind noch auf der Suche nach Unterkunftsmöglichkeiten rund um Rostock und Heiligendamm - Hinweise oder Einladungen sind ebenfalls herzlich willkommen.

[http://www.grundrechtekomitee.de/files/articles/info2-07.pdf]

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