2011-07-15
10 Jahre nach Genua – Bewegung ist ein kollektives Gedächtnis.
Berlin: Openair-Video-Kino und Erlebnisberichte am 29. Juli
Eine neue Bewegung entsteht…
Vom 19. bis 21. Juni 2001 kamen in Genua rund 200.000 Menschen zusammen, um gegen die Politik der G8-Staaten zu protestieren – ein Protest, der mehr als symbolisch werden sollte. Bereits im September des Vorjahres war es gelungen, durch einen breiten Widerstand in den Straßen von Prag das 55. Jahrestreffes von IWF und Weltbank abzubrechen. Aufgrund der massiven Proteste mussten die Delegierten mit der U-Bahn evakuiert werden. Euphorisiert von diesem und anderen Erfolgen der noch jungen, globalisierungskritischen Bewegung zog es Mitte Juni 2001 ebenfalls Tausende ins schwedische Göteborg, um gegen das rassistische EU-Grenzregime auf die Straße zu gehen. Wie schon in Prag entlud sich die Wut auf Krieg, Unterdrückung und ungleiche Verteilung des Reichtums an den materiellen Gütern und Prestigeobjekten der Leistungs- und Warengesellschaft. Diese von Tausenden geübten Akte der Unversöhnlichkeit in den Straßen der kapitalistischen Metropolen schuf eine Art Selbstbewusstsein in weiten Teilen der globalen linken Bewegungen, ein Selbstbewusstsein, das sich über die Regeln staatlicher Ordnung bewusst hinwegsetzte. Weit über 30.000 Menschen aus den verschiedenen Ländern waren dazu entschlossen die “Rote Zone”, der Bannmeile um die Tagungsstätte der G8, zu überqueren und zu zeigen, dass die Bevölkerung bereit ist politische Entscheidungen selbst zu treffen und dass sie dafür keine Vertreter_innen benötigt.
Der Staat drückt den Abzug
Doch bereits während des EU-Gipfels in Göteborg zeigte sich, nachdem drei
Demonstrant_innen angeschossen wurden, dass der Staat derlei Bestrebungen zu unterbinden wusste und nicht davor zurückschreckte den Abzug zu bedienen. In Genua geschah letzten Endes das tragische Ereignis, das in den Köpfen vieler Linker bis heute untrennbar mit Genua verbunden bleibt: Der Tod Carlo Giulianis. Der Carabiniere Mario Placanica erschoss den damals 23-jährigen Studenten und linken Aktivisten mit einem Schuss in den Kopf. Damit war das Tabu gebrochen, dass die Polizei in Europa nicht so offensichtlich Demonstrant_innen tötet wie auf anderen Kontinenten. Carlos Ermordung, wie auch die Gewalterfahrungen und Erniedrigungen durch die italienische Polizei in der Diaz-Schule, auf den Polizeiwachen und in der Bolzaneto-Kaserne stellten tiefgreifende und schmerzliche Erfahrungen für viele dar,die in diesen Tagen in Genua waren. Vieles sollte danach nicht mehr so sein wie vorher.
Bewegung als kollektives Gedächtnis
Auch wenn der “Summer of Resistance” untrennbar mit den tödlichen Schüssen auf dem Piazza Gaetano Alimonda verbunden bleibt, so war er auch eine Zeit des Aufbruchs, euphorisiert vom Zusammenkommen der verschiedenen Aktivist_innen und ihrer Kämpfe und inspiriert durch die zapatistische Bewegung, die 1994 „eine andere Welt ist möglich“ ausrief.
Pink and Silver, Rhythms of Resistance, die Sozialforen, das Indymedia-Netzwerk, Medienaktivismus und eine stärker gewordene Kritik am Kapitalismus innerhalb der Gesellschaft haben ihren Ursprung in diesen Jahren. Vieles von dem, was wir derzeit als Selbstverständlichkeit oder „gewohntes Hintergrundrauschen” linker Bewegung wahrnehmen, hätte es ohne Prag, Seattle, Genua oder Porto Alegre in dieser Form vielleicht gar nicht gegeben.
Bewegung bedeutet auch immer die Entstehung und Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses. Erfahrungen werden geteilt, die gemeinsam gemacht wurden – und auch wenn nicht jede_r einzelne Teil hatte, so bilden sie trotzdem kollektive Erinnerung,aus denen sich die Ideen und Strategien in unseren täglichen Kämpfen speisen. Wir finden es darum wichtig, uns über diese Erfahrungen auszutauschen.
Am 29. Juli werden Menschen, die 2001 an den Anti-G8-Protesten teilnahmen, über die Geschehnisse in Genua wie auch über die Bewegung an sich berichten. Zu Wort kommen Medienaktivist_innen und Menschen, die in Genua direkt mit Repression konfrontiert
waren.
Im Anschluss zeigen wir den Film „OP-Genua 2001“, der anhand akribischer Recherchen die gezielten und gewalttätigen Provokationen der Polizeikräfte belegt. Außerdem werden Aktivist_innen vom Besuch des 10 Jahre Genua-Treffens in Italien berichten.
Openair-Video-Kino und Erlebnisberichte
Freitag, 29. Juli 2011, 19.00 Uhr, Bunte Kuh
Bernkasteler Straße 78, Berlin-Weißensee
(Bei schlechten Wetter findet die Veranstaltung drinnen statt)
Anfahrt: Tram: 12, 27: Berliner Allee / Rennbahnstraße | M4: Buschallee | Bus: 156, 255, N50: Berliner Allee / Rennbahnstraße | 155, X54, 259: Rathaus Weißensee
Präsentiert von: Gipfelsoli, North East Antifascists (NEA), AK Kraak, Rebel Disorder – Store, Antifa Initiative Nordost (AINO), Berlin against G8
Filmbeschreibung: „OP Genua 2001 – öffentliche Sicherheit und Ordnung“
Der G8-Gipfel in Genua im Jahre 2001 machte durch Ausschreitungen und massive Polizeigewalt von sich reden. Der Gipfel selbst geriet schnell in Vergessenheit, die juristische Aufarbeitung der Ereignisse dauert dagegen bis heute an. Im Rahmen der Verteidigung von 25 Aktivist_innen wurden die Ereignisse des 20. Juli 2001 akribisch rekonstruiert. Anwält_innen und Mitarbeiter_innen des Rechtshilfebüros in Genua (Segreteria Legale) haben in mühsamer Recherche u.a. Videoaufnahmen sowie Mitschnitte des Polizeifunks ausgewertet. Der Film stellt die Dokumentation dieser Aufbereitung dar und zeigt die Angriffe der Polizeieinheiten auf die Großdemo in Genua am 20. Juli 2001, in deren Folge Carlo Giuliani erschossen wurde. Der Film verdeutlicht das Ziel der Anwält_innen, nämlich zu beweisen, dass die Demonstrant_innen von ihrem legitimen Recht auf Notwehr Gebrauch machten.