2011-05-23
Von Ansgar Haase
Die mächtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt, mehr als 12 000 Sicherheitskräfte und 3500 Journalisten: Das französische Seebad Deauville erwartet in dieser Woche die wahrscheinlich außergewöhnlichsten Tage seiner Geschichte. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat sich das frühere Bauerndorf am Ärmelkanal als Tagungsort für das diesjährige Treffen der führenden Industrienationen und Russlands (G8) ausgesucht. Er will Deauville in die Geschichte eingehen lassen. Dort sollen Entscheidungen getroffen werden, die die Welt bewegen.
Von den prominenten Gästen werden die rund 4000 Ortsbewohner allerdings kaum etwas zu sehen bekommen. Weil US-Spezialkräfte vor wenigen Wochen Al-Kaida-Chef Osama bin Laden töteten und Racheakte befürchtet werden, gilt bei dem Treffen am Donnerstag und Freitag höchste Alarmbereitschaft. 5728 Polizisten, 4539 Gendarmen und 1685 Soldaten werden im Einsatz sein, um US-Präsident Barack Obama und die anderen Staats- und Regierungschefs zu schützen. Hinzu kommen nach Angaben des Innenministeriums Hunderte Zivilschutzkräfte.
Für manch einen Einwohner ist das ein Alptraum. Im Ortskern dürfen sich von Mittwoch an nur noch Inhaber eines Spezialausweises und akkreditierte Gäste aufhalten. Die Luftraum wird mit Hilfe von 30 Hubschraubern, einer Drohne und Luftabwehrraketen abgesichert. Mit Ausnahme von in großer Höhe fliegenden Langstreckenmaschinen müssen Piloten eine Flugverbotszone beachten. Vor der Küste ist jeglicher Schiffsverkehr untersagt. Die Häfen von Deauville und Trouville müssen schließen – ebenso der Flughafen.
Auf diese Weise bleiben auch unliebsame Demonstranten außen vor. Unvergessen sind bei allen Gipfel-Planern die Ausschreitungen bei früheren G8-Treffen wie im deutschen Heiligendamm 2007 und im schottischen Gleneagles 2005. Im italienischen Genua gab es 2001 neben hunderten Verletzten sogar einen Toten.
Von den ursprünglichen Themen des G8-Gipfels ist nach den jüngsten Ereignissen in der arabischen Welt und in Japan nicht mehr viel übrig. Nachdem Frankreich sich vorwerfen lassen musste, die Freiheitsbewegungen in Tunesien und Ägypten viel zu spät unterstützt zu haben, will Präsident Nicolas Sarkozy nun wieder eine Führungsrolle einnehmen. Beim Gipfel sollen die Weichen für langfristige «Partnerschaften für Demokratie» gestellt werden. Und auch das weitere Vorgehen gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi und Syriens Präsident Baschar al-Assad wird diskutiert.
Die Reaktorkatastrophe in Japan hat schließlich das Thema «Zukunft der Atomenergie» auf die Tagesordnung gebracht. Auch dabei nimmt Frankreich eine Sonderrolle ein. Kein anderes Land in Europa hat sich so sehr der Kernkraft verschrieben. Nicht auf der offiziellen Tagesordnung, aber in aller Munde wird der Name Dominique Strauss-Kahn sein. Für den wegen versuchter Vergewaltigung angeklagten Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) gilt es in den nächsten Wochen einen Nachfolger zu finden.
Für die deutsche Bundeskanzlerin wird die Reise nach Deauville im Gegensatz zu den meisten anderen Gäste keine Premiere sein. Angela Merkel spazierte bereits im vergangenen Oktober mit Sarkozy am Strand entlang. Quasi als Generalprobe für das G8-Treffen hatte Sarkozy zu einem Dreiergipfel mit Russlands Präsident Dmitri Medwedew geladen.
Die Bewohner von Deauville schimpften schon damals über das «übertriebene Polizeiaufgebot» und gesperrte Straßen. Prominenz und Trubel sind sie eigentlich gewohnt. Im Sommer bevölkern Tausende Touristen den feinen Sandstrand und den schmucken Ortskern mit seinen typisch normannischen Fachwerkhäusern. Seit Jahrzehnten zieht das französische Seebad mit seinem legendären Kasino auch die Reichen und Schönen an. Von Prinz Ali Khan und Rita Hayworth über Michael Douglas bis hin zu Brad Pitt reicht die Liste derer, die schon da waren. Nun kommen noch ein paar Mächtige hinzu.