2011-01-19
Pressemitteilung 19.01.2011
Verfahren zum G8-Gipfel in Heiligendamm
Mehr als dreieinhalb Jahren nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm hat das Verwaltungsgericht Schwerin heute über die damals von der Polizeisondereinheit KAVALA erlassenen Allgemeinverfügung eines Demonstrationsverbotes im Landkreis Bad Doberan verhandelt.
Auch wenn die fünf Richter das Urteil erst für Anfang Februar in Aussicht gestellt haben, machte der Vorsitzende Richter in der Verhandlung bereits Tendenz eines möglichen Urteils deutlich. Danach würde das umfassende Demonstrationsverbot der Polizei für den Raum auch außerhalb des Schutzzaunes um Heiligendamm, dem Bundesverfassungsgericht folgend, für rechtswidrig erklärt werden. Im Weiteren würde der zweite Klagepunkte der Globalisierungsgegner, festzustellen, dass die damaligen Polizeiausführungen zur Lageeinschätzung vor dem Bundesverfassungsgericht auf unwahren und übertriebenen Behauptungen beruhten, sich jedoch erübrigen und keiner Prüfung bedürfen. Eine neue Regelung zur Übernahme der Verfahrenskosten für die Globalisierungsgegner sei ebenfalls nicht nötig.
In einer ersten Stellungnahme schätzte der Politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und damalige Rostocker Koordinator der Gipfelproteste Monty Schädel die Überlegungen des Gerichtes als „abträglich für das Vertrauen in den Rechtsstaat“ ein.
Was in jeder nachmittäglichen Gerichtsshow selbstverständlich ist und für den Rechtsstaat sprechen sollte: „Vor Gericht darf nicht ungestraft gelogen werden“, soll für die Polizei offensichtlich nicht gelten. Monty Schädel: „Die Polizei darf zur Durchsetzung ihrer Interessen vor Gericht die Unwahrheit sagen, und obwohl es nicht nur zugegeben wird und es einen Berg an Belegen dafür gibt, sieht das Gericht keine Veranlassung diesem Sachverhalt auf den Grund zu gehen oder dieses gar zu rügen. Das ist völlig unverständlich und stellt nach der Glaubwürdigkeit der Polizei jetzt auch die Unabhängigkeit von Gerichten und damit zunehmend den Rechtsstaat in Frage!“ Der damalige Koordinator betonte: „Es ist nicht ausreichend, dreieinhalb Jahre später Recht zu bekommen. Noch dazu, wenn man es nicht wahrnehmen konnte. Gerade die Rüge der Verweigerung von Rechten durch öffentliche Instanzen wie der Polizei, machen die Stärke des Rechtsstaates aus. - Bleibt sie aus, ist der Rechtsstaat in Frage gestellt. Es bleibt der Eindruck: Die Polizei darf als einzige ungestraft vor Gericht lügen!“
Der DFG-VK-Geschäftsführer hofft jetzt darauf, dass das Gericht durch die im Verfahren dargelegten Begründungen der Globalisierungskritiker seine Überlegungen überdenkt. „Es geht auch dreieinhalb Jahre nach den Ereignissen nicht darum, dass ein salomonisches Urteil sondern Recht gesprochen wird.“
Weitere Informationen zum Hintergrund:
Der G8-Gipfel fand 2007 auf Einladung der Bundesregierung im historischen Zentrum des Ostseebades Heiligendamm in der Nähe von Rostock statt. Zehntausende Menschen hatten sich daraufhin zu Protesten gegen das Treffen der Reichen Industriestaaten nach Mecklenburg-Vorpommern aufgemacht. Die Polizei setzte dem den größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik entgegen. Ebenso kamen Bundeswehrsoldaten und Kampfflugzeuge der Luftwaffe zur Unterstützung der Polizei zum Einsatz. Die für die Polizeikoordination gegründete Sondereinheit KAVALA verbot 'zum Schutz der Regierungschefs' das Äußern von anderen als der Regierungsmeinung in Heiligendamm und sicherte den Ort mit einem zweieinhalb Meter hohen und 13 Kilometer langen Zaun ab. Darüber hinaus wurde der demonstrationsfreie Raum in einem Kreis von 5 Kilometern um den Zaun herum noch erweitert. Tausende Globalisierungsgegner hatten sich trotz dieser Verbote von Rostock und anderen Orten rund um den G8-Tagungsort auf den Weg gemacht, und die Zufahrten zum Gipfelgelände blockiert. Die Polizei verschanzte sich zunächst hinter dem Zaun, ehe sie die am Boden sitzenden Blockierer mit Wasserwerfern räumte. Sowohl der Polizeieinsatz, das gesamte Sicherheits- und Öffentlichkeitskonzept, die Verschließung von Festgenommenen in Gitterkäfigen wie auch der Einsatz der Bundeswehr zur Überwachung von Demonstranten waren anschließend Gegenstand breiter gesellschaftlicher und parlamentarischer Diskussionen.
Gegen dieses Demonstrationsverbot hatten Globalisierungsgegner im Eilverfahren durch die Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht geklagt. Mit einem auf breites Unverständnis gestoßenen Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht damals das Verbot von Demonstrationen außerhalb des Zaunes für rechtswidrig erklärt. Durch dramatisierende und erdachte Berichte der Polizei im Verfassungsgerichtsverfahren zur Lageeinschätzung beeinflusst, ergänzte das Bundesverfassungsgericht damals sein Urteil weiter dadurch, dass die Demonstrationen trotz der Rechtswidrigkeit der Verfügung der Polizei nicht stattfinden dürften.
Bei dem heute vor dem Schweriner Verwaltungsgericht durchgeführten Verhandlung im Hauptsacheverfahren, sollte nach Ansicht der klagenden Globalisierungsgegner festgestellt werden, dass die Verfügung der KAVALA vor dreieinhalb Jahren rechtswidrig war, die Polizei lediglich durch Lügen das Demonstrationsverbot aufrecht erhalten konnte und die Verfahrenskosten durch das Land Mecklenburg-Vorpommern als Verantwortlichen der Polizeisondereinheit KAVALA getragen werden muss.
Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die Polizei damals mit Argumenten eine Gefahrensituation beschrieben, die zwar das umfassende Demonstrationsverbot untermauern, sich später jedoch als erdacht und aufgebauscht erweisen sollten. Bezeichnend dafür u.a. auch heute noch, dass in den Unterlagen der Polizei für dieses Verfahren weder Belege der damaligen Aussagen zu finden sind wie auch ggf. erhellenden Verwaltungsvorgänge zum damaligen Sicherheitskonzept vollständig fehlen. Als durch die Polizei erlogen und erdacht haben sich bereits während der Proteste, aber erst recht bei den umfangreichen Auswertungen von Rechtsanwälten, Bundestagsabgeordneten und der globalisierungskritischen Bewegung, z. B. Aussagen zu der Anzahl „schwerverletzter“ Polizisten nach der Auftaktdemonstration am 02. Juni 2007 im Stadthafen Rostock oder zu sogenannten „Säureangriffen“ auf Polizisten der 'Clowns-Armee. Nicht zuletzt die Infiltrierung des Protestes durch verdeckte Ermittler, an den Blockaden um den Zaun konnten z.B. zwei schwarz gekleidete Personen, die die auf der Straße Sitzenden zum Steine sammeln und werfen aufforderten, als Zivilpolizisten enttarnt und den uniformierten Kollegen übergeben werden. International macht der britische Polizeispitzel Mark Kennedy in den letzten Tagen unter anderem dadurch von sich reden, dass er 2007 als Demonstrant verkleidet der KAVALA Berichte aus dem schwarzen Block geliefert hat. Durch die unreflektierte Übernahme von Pressemitteilungen der Polizei durch verschiedene Medien, war die Arbeit der Polizei erheblich erleichtert worden. Ihren Beitrag dazu lieferte u.a. auch ein dpa-Meldung, in der ein Redner der Kundgebung im Rostocker Stadthafen falsch übersetzt und zitiert wurde. E die Meldung nach vier Tagen als Falschmeldung zurückgenommen worden war und die dpa sich bei den Veranstaltern der Gipfelproteste entschuldigt hatte, war die Meldung bereits millionfach im Internet geklickt und in Zeitungen gedruckt worden.