2010-12-03 

Das Polizeiliche Gegenüber

G8-Gipfel 2007/ Gegen Polizeigewalt und Unterbindungsgewahrsam

Während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendam sind zwei Personen von der Polizei brutal festgenommen und wegen drei Transparenten im Kofferraum ihres Autos zu 6 Tagen Unterbindungsgewahrsam verurteilt worden.

Was ist passiert?

Am Abend des 03.06.2007 brachten zwei junge Studenten eine Gruppe von ca. 7 Menschen aus Weißrussland mit ihrem Auto vor die JVA Waldeck ( ca. 35 km von Rostock entfernt). Dort wollten sie für einen Freund, der in Gewahrsam saß, eine Solidaritätskundgebung abhalten und ihm nach einem alten russischem Brauch einen Gedichtband und Butterbrote übergeben. Dazu kam es aber nicht.
Kurz nachdem sie mit ihrem PKW auf dem Parkplatz der JVA Waldeck ankamen, fuhren hinter ihnen mehrere Polizeiwagen auf, aus denen 4-6 Polizisten in voller Rüstung herausmarschierten. Sie bauten sich vor den der Gruppe auf und forderten sie zur Ausweiskontrolle auf. Als einer der Demonstranten nach dem Grund dieser Maßnahme fragte, bekam er zwar keine Antwort, dafür aber das Visier eines Polizeihelms ins Gesicht.

Pic: dropping knowledge

Ohne Vorwarnung griffen die Polizisten daraufhin die völlig verdutzten und wehrlosen jungen Männer an, brachten sie zu Boden und legten ihnen Kabelbinder an. Ein Beamter der Berliner Polizei tat sich dabei besonders hervor.
Er schlug seinem Gegenüber mehrmals mit geballter Faust direkt ins Gesicht, sodass diesem sofort das Blut aus der Nase lief. Weil der wehrlos auf dem Boden liegende Student aufgrund der Faustschläge ins Gesicht seinen Körper verkrampfte und seine Hände schützend um den Kopf hielt, leistete er angeblich Widerstand gegen sein Festnahme. Der Polizeibeamte schlug ihm daraufhin mehrfach brutal gegen den Kopf, sodass sein Gegenüber wiederholt kurzzeitig das Bewusstsein verlor.
Dass ein Arzt noch Stunden später heftige Hämatome und Schürfwunden – auf dem ganzen Kopf verteilt – feststellte, lässt die Verhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung des prügelnden Polizeibeamten erahnen.

Als die Polizei das Fahrzeug der beiden Studenten durchsuchten, fand sie darin unter anderem Transparente mit der Aufschriften „Freedom for prisoners“ und „Freiheit für politische Gefangene“. Diese Stoffe genügten später den Gerichten als Beweis für die Gefährlichkeit der beiden. Es handelt sich dabei angeblich um einen Aufruf zur Gefangenenbefreiung, sprich: einen Aufruf zur Straftat. Es müsse angenommen werden, dass von den 9 Insassen des PKWs ein Terroranschlag auf die JVA geplant gewesen sei. Deshalb wurden die beiden Studenten vom Amtsgericht Rostock zu sechs Tagen Unterbindungsgewahrsam verurteilt – einen Tag davon saßen sie sogar in Einzelhaft.
Dass man mit neun Leuten keine JVA überfallen kann, hat schließlich auch das Oberlandesgericht erkannt. Stattdessen meinte dieses Gericht aber, dass die Studenten mit den Transparenten wieder ins 35 km entfernte Rostock hätten fahren, dort die aufgebrachte Menge einpacken und gemeinsam einen erneuten Versuch hätte wagen können.
Klagen durch alle Instanzen blieben wirkungslos: die beiden Studenten wurden in Handschellen in die JVA Bützow transportiert und saßen dort 6 Tage in Unterbindungsgewahrsam. Diese Maßnahme wurde von den Gerichten damit begründet, dass die beiden eine ernstzunehmende Bedrohung für die öffentliche Sicherheit in diesem Land darstellen würden.

Nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren lange Zeit verschleppt hatte, kam es im September 2010 vor dem Amtsgericht Rostock zu einem Prozess gegen den prügelnden Polizisten. Die Richterin sprach den Beamten frei, weil Faustschläge gegen den Kopf eines wehrlos auf dem Boden liegenden Menschen das mildeste Mittel seien, um dessen „Widerstand“ gegen die Festnahme zu brechen.
Außerdem liegt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor, weil die Geschädigten ihre sechstägige Freiheitsentziehung als einen Verstoß gegen die Grundrechte bewerten.