2007-02-22 

Hauptsache dagegen?

Warum Nazis gegen den G8-Gipfel sind und Globalisierungskritik nicht immer fortschrittlich ist
(Von der No-G8-Gruppe Kiel)

Der G8-Gipfel in Heiligendamm ist das Protestevent des Jahres für verschiedenste Protestspektren und gesellschaftlichen Gruppierungen. Seit über einem Jahr wird geplant, recherchiert und diskutiert. Das Kempinski-Hotel in Heiligendamm als Austragungsort und die umliegenden Orte werden mit einer Vielzahl von Potestaktionen und einer hohen Anzahl GipfelgegnerInnen konfrontiert sein. Und auch die Nazis aus NPD und Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern wollen irgendwie präsent sein Zwar wird sie die massenhafte Anwesenheit antifaschistischer Kräfte wahrscheinlich nicht erfreuen, doch sie werden auch versuchen ihren eigenen Nutzen aus der linken Mobilisierung gegen den G8-Gipfel zu ziehen. Um diesen Bestrebungen nicht nur auf der Straße sondern auch nachhaltig klare Grenzen zu setzen muss die theoretische Grundlage der Nazis verstanden und widerlegt werden, radikale Trennungslinien gezogen und manchmal auch die eigene Theorie kritisch beäugt werden. Einen kurzen Anriss zu diesem Thema möchten wir hier leisten.

HH

Der Gipfel und die Nazis

Die verschiedenen Anti-G8-Bündnisse haben meistens zumindest eines gemeinsam, die Ablehnung gegenüber rechter und rechtsradikaler Beteiligung an den Protesten gegen den Gipfel. Die NPD mobilisiert für den Tag der internationalen Großdemonstration in Rostock, am Samstag den 2. Juni, zu einer eigenen „Großdemonstration“ unter dem Motto „Nein zum G8-Gipfel - für eine Welt freier Völker“ in die Landeshauptstadt Schwerin, nur ca. 80 km von Rostock entfernt. Dort werden bis zu 1500 KameradInnen erwartet, die inhaltliche Ausrichtung ist gegen den G8 und Kapitalismus. Nach Angaben der NPD soll es noch einige „gezielte Aktionen“ in anderen Städten geben, doch das Hauptaugenmerk der Nazis liegt auf dieser Demonstration. Sie demonstrieren bewusst am selben Tag wie die Organisationen und Gruppen aus der globalisierungskritischen Bewegung, zum einen weil sie natürlich auf wenig(er) antifaschistische Gegenwehr hoffen. Zum anderen, um bei eventuellen Konfrontationen der GipfpelgegnerInnen mit der Polizei sich selber und ihre Ideologie als die bessere Alternative zur Globalisierung und zum herrschenden System darzustellen. Die inhaltliche Argumentation der Nazis zum Thema ist dabei zum großen Teil ein Cocktail aus rassistischer & nationalistischer Hetze, populistischer Phrasen und völkischer Parolen. Dass diese einfachen aber gefährlichen „Lösungen“ für globale Probleme gerade in vielen Teilen Ostdeutschland gut ankommen wissen wir nicht erst seit der letzten Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, bei der die NPD 7,3 % der Stimmen bekam und nun im Schweriner Landtag sitzt.

Rechtsradikale Globalisierungskritik

Es soll aber nicht darüber hinweggeschaut werden, dass die Nazis beim Thema Kapitalismus bzw. Globalisierung auch konkrete Theorieansätze haben. Dabei folgen sie einem Argumentationsmuster, welches zum Teil schon im 19. Jahrhundert verwendet und mit neuen Komponenten angereichert bis heute übernommen wird. Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus sind die wesentlichen Bestandteile rechtsradikaler Ideologie. Die Menschen der Welt werden in „Völker“ eingeteilt, die biologisch verschieden seien und deren natürlicher Lebensraum der gewachsene Nationalstaat sei. Das Demonstrationsmotto der Nazis „… für eine Welt freier Völker“ ist ein typisches Beispiel rechtsradikaler Denkmuster, in denen angenommen wird, dass für die Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme Volk und Staat „verschmelzen“ müssen. Die homogene „Volksgemeinschaft“ sowie die Einparteien-Diktatur soll die heutige Gesellschaftsordnung ersetzen. In dieser Volksgemeinschaft sollen die historischen Klassengegensätze aufgehoben und die Wirtschaft verstaatlicht werden; ein extrem autoritärer Staat schützt das „Volk“ angeblich vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung. Die Volksgemeinschaft wird als positiver Gegenpol zum globalisierten Kapitalismus dargestellt, so wie sie von den historischen Nazis als die einzige Alternative zu der instabilen Demokratie in der Weimarer Republik für eine bessere (deutsche) Gesellschaft dargestellt wurde. Die Globalisierung zerstöre die alten, natürlich gewachsenen und als schützenswert empfundenen Nationalstaaten und den „reinen Volkskörper“. Dies ist ein Trugschluss den nicht nur Neonazis ziehen. Es ist aber historischer Fakt, dass die heutigen Nationalstaaten mit ihren politischen Institutionen, ihren Grenzen, Wirtschaftsgesetzen und Zöllen die Bedingungen und Säulen für den globalen Kapitalismus darstellen. Somit ist, vereinfacht gesagt, der Nationalstaat Vorraussetzung und nicht Feind der Globalisierung, er erhält die Grundlagen kapitalistischer Ausbeutung. Bei den Nazis wird in alter antisemitischer Manier zwischen dem guten, nationalen, „schaffenden“ Kapital, welches dem Volk dient und es versorgt, sowie dem bösen, internationalen, „raffenden“ Kapital, dessen „Drahtzieher“ in „Kreisen der internationalen Hochfinanz“ vor allem an der US-amerikanischen Ostküste zu suchen seien, unterschieden. Die USA werden als Hauptverantwortliche der Globalisierung gesehen, vor allem Deutschland sowie andere Staaten und deren „Völker“ als Opfer dargestellt. Der Antikapitalismus der radikalen Rechten und damit die Motivation gegen den G8-Gipfel zu protestieren geht also von einer (jüdischen) Weltverschwörung aus, deren Ziel es sei die nationalen Volkswirtschaften zu zerstören und sich so zu bereichern.

Den Neonazis die Grundlage entziehen

Mit diesem Verständnis von Politik hatten im Sommer 2004 die Neonazis vor allem in Ostdeutschland wenige Probleme sich an die neue Montagsdemobewegung gegen Sozialabbau & Hartz IV anzukoppeln. Bei diesen Sozialprotesten gab es zwar teilweise linke Beteiligung, doch linke bzw. linksradikale Argumentationen spielten in der Bewegung fast keine Rolle. Die Neonazis konnten teils ungestört, teils unter Polizeischutz und in einigen Orten von VeranstalterInnen geduldet mitdemonstrieren. Mit scheinbar einfachen Lösungen für soziale Probleme konnten sich viele Menschen abfinden, durch die offenen Grenzen und den Zuzug von MigrantInnen würden Deutschen die Arbeitsplätze gestohlen, die Kriminalität steige und die Sozialsysteme seien überlastet. Die Globalisierung zerstöre das alte „Ordnungs- und Fürsorgeprinzip“. Wenn Neonazis als Teil einer sozialen Bewegung in Deutschland auftreten und ihnen dabei großteils nicht widersprochen wird, sollte sich auch die globalisierungskritische Linke mit ihren eigenen Positionen neu auseinandersetzen. Ähnlich wie bei den Neonazis wird auch hier die Globalisierung als unsozial und zerstörerisch kritisiert, die G8-Staaten seien die Hauptverantwortlichen für die sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme der Welt. Wer jedoch das Treffen der G8 für illegitim erklärt und kritisiert muss auch die Staaten an sich für illegitim erklären und somit die globale Herrschaftsfrage stellen. Denn gegen ein informelles Treffen verbündeter Staaten zu sein und auf der anderen Seite deren „offizielle“ Treffen im Rahmen der EU, UN oder Welthandelsorganisation nicht zu kritisieren halten wir für fragwürdig. Auch muss hinterfragt werden, ob die in Teilen der Linken auftretende Unterstützung bestimmter nationaler Befreiungsbewegungen heute noch vereinbar mit aktuellen politischen Diskussionen ist, denn Kritik an bestehenden Verhältnissen muss nicht immer fortschrittlich sein, sie kann auch reaktionär und rückwärts gewand sein. Neonazis zum Beispiel haben ganz und gar nichts Neues im Sinn, sie wünschen sich politische und wirtschaftliche Strukturen wie es sie in Deutschland von 1933 bis 1945 schon einmal gab. Kritik weist also nicht zwangsweise über die bestehenden Verhältnisse hinaus, der Wunsch nach alten Machtstrukturen und die Angst vor Veränderungen können auch ausschlaggebend sein. Eine globalisierungskritische Bewegung die den Anspruch hat wirklich etwas zu verändern, muss neben den alltäglichen Kämpfen innerhalb des kapitalistischen Wahns auch und vor allem eine auf die Auflösung von Herrschaftsstrukturen an sich gezielte Politik betreiben. Damit wird der Widerspruch gegen den geplanten Aufmarsch von NPD und anderen Nazis gegen den G8-Gipfel nicht nur notwendig, sondern er kann bei einer breit geführten Debatte um grundsätzliche Positionen für die globalisierungskritische Bewegung auch zum Scheidepunkt zwischen emanzipatorischer und reaktionärer Globalisierungskritik werden.

[norden-gegen-g8.info]

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