2010-08-04 

Keine Konsequenzen für die Polizei

Rechtsanwältin Ulrike Donat über juristische Erfolge mit beschränkter Wirkung

Zweimal in sieben Tagen haben Gerichte die Rechte von Demonstranten gestärkt. In Berlin wurde das standardmäßige Filmen friedlicher Versammlungen durch die Polizei für rechtswidrig erklärt, da eine Abschreckungswirkung nicht auszuschließen sei. Geklagt hatte unter anderem die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Lüchow-Dannenberg, die wenige Tage später den nächsten juristischen Erfolg verkündete: Das Verwaltungsgericht Schwerin gab einer Klage zweier Vorstandsmitglieder im vollen Umfang recht. Sie waren im Jahr 2007 auf dem Weg zu den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm von der Polizei mit 25 weiteren Gorleben-Gegnern auf der Autobahn gestoppt und festgenommen worden. Ingewahrsamnahme und Behandlung in Gewahrsam seien rechtswidrig gewesen, stellte das Gericht drei Jahre später fest.

Bild: Cop

ND: Nach drei Jahren haben Ihre Mandanten vor Gericht recht bekommen. Was nützen Urteile wie diese im Nachhinein? Die G8-Gegner sind am Demonstrieren gehindert worden, die Polizei hat erreicht, was sie wollte.

Donat: Grundrechte kann man nur schützen, wenn man sich gegen Übergriffe wehrt. Urteile wie diese ziehen Grenzen für polizeiliches Handeln und polizeiliches Begehren. Im nächsten Konflikt können wir damit wedeln nach dem Motto: Da durftet ihr das auch nicht. Wenn man die Grundrechte nicht ab und zu mittels einer Klage wieder in Erinnerung holen würde, wären sie schon viel mehr erodiert.

Stört es die Polizei überhaupt, wenn festgestellt wird, ihr Einsatz war rechtswidrig?

Das schmerzt die Polizei schon. Zum Beispiel hat man in Berlin nach dem Urteil zur Videoüberwachung sofort gesagt, wir müssen das Gesetz ändern, damit wir dürfen, was wir möchten.

Auf das G8-Urteil mussten wir lange warten. Das Verfahren wurde auf die lange Bank geschoben, bis es nun so wirkt, als sei das Ganze Schnee von gestern. Jetzt hätte man entweder eine umfangreiche Beweisaufnahme starten können, und es wäre doch publikumswirksam geworden, was die Polizei alles falsch gemacht und wo sie überall gelogen hat, oder die Polizei konnte die Klage anerkennen. Das hat sie vorgezogen.

Warum hat das Versammlungsrecht der Bürger für Polizisten scheinbar so wenig Wert?

Von der Politik werden die Prioritäten bei Großdemonstrationen anders gesetzt: Das Event muss reibungslos funktionieren, dem wird alles untergeordnet. Meine Mandanten wurden auf der Bundesautobahn nur deshalb festgehalten, weil ihre Autokennzeichen in polizeilichen Dateien geführt wurden. Die Polizei hat sie als besonders gefährlich erachtet, weil sie dachte, »der gemeine Wendländer neigt zum Demonstrieren oder zum Blockieren«. Es reicht eine Zuschreibung statt konkreter Tatsachen – schon kriegt man eine Sonderbehandlung.

Damit die Polizisten die politische Prioritätensetzung mitmachen, werden Feindbilder gestreut, zur Not mit Falschmeldungen. Wir kennen das von den Castor-Transporten und auch beim G8-Gipfel wurden Gewaltexzesse herbeigeredet, die es gar nicht gab. So wurde behauptet, die Demonstranten in den Camps würden Nägel horten, um Äpfel und Kartoffeln als Wurfgeschosse zu spicken.

Ein Polizist muss natürlich glauben, was er über den Polizeifunk bekommt, und dann schließt man sich kooperativ zusammen. Das hat schon immer funktioniert. Will man Polizisten dazu kriegen, etwas Verbotenes zu machen, muss man den Korpsgeist bestärken und sie ein bisschen »außerhalb der Realität« stellen, so dass sie sich von allen Seiten angegriffen fühlen.

Welche Konsequenzen hat das G8-Urteil für die Polizeidirektion Rostock, die anerkannt hat, dass das Einsperren Ihrer Mandanten rechtswidrig war?

Gar keine. Die damals eingesetzte Sondertruppe BAO Kavala ist aufgelöst. Im Prozess wurde die Seite des Beklagten wieder von der normalen Behörde, der Polizeidirektion Rostock, vertreten.

Wir hoffen aber auf die Ausstrahlungswirkung bei anderen Großveranstaltungen.
Die Politik ist verantwortlich für die Polizei. Nach all den Niederlagen vor Gericht müsste sie als Weisungsberechtigte eigentlich ihre Behörden vor Einsätzen nachdrücklich an Recht und Gesetz erinnern.

Der Weisungsberechtigte hat den G8-Einsatz ja inszeniert! Zudem gibt es das Problem, dass die Polizeikonzepte bei europäisierten Großveranstaltungen inzwischen international sind.

Und nun ist niemand mehr verantwortlich für die rechtswidrige Behandlung Ihrer Mandanten?

Man könnte Leute politisch zur Verantwortung ziehen. Den Polizeipräsidenten etwa, der sich für die BAO Kavala eingesetzt hat, und natürlich den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern Caffier. Den müsste man fragen, wie es ihm damit geht, dass seine Polizei massenweise des Rechtsbruchs überführt worden ist. Dramatisch fand ich das Agieren der LINKEN. Lediglich einzelne Abgeordnete haben sich auf die Seite der Demonstranten gestellt. Die maßgeblichen Landespolitiker hielten sich bei der Aufarbeitung hingegen zurück. Sie hatten das Polizeigesetz und die Vorbereitungen für den Gipfel mitzuverantworten und haben wohl deshalb auch still gehalten, als sie in der Opposition waren.

Was könnte man noch tun, damit Demonstranten nicht immer erst im Nachhinein recht bekommen?

Ich wünsche mir einen Bürgerbeauftragten – einen Ombudsmann – auf Bundes- und Landesebene, der mit großen Rechten ausgestattet ist. Er müsste Zugang zur Leitzentrale haben und in der konkreten Einsatzsituation Grenzen setzen dürfen. Für Demonstrationen ist zudem die Kennzeichnungspflicht wichtig, damit jeder Polizist persönlich für sein Handeln geradestehen muss.

Ulrike Donat setzt sich seit vielen Jahren für die Kontrolle staatlicher Macht ein. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm organisierte die Expertin für Polizei- und Versammlungsrecht mit über hundert Anwälten einen Anwaltlichen Notdienst für die Protestbewegung. Ergebnisse dieses Einsatzes sind in dem Buch »Feindbild Demonstrant« dokumentiert. Gerade hat sie mit der BI Lüchow-Dannenberg zwei Verfahren gegen die Polizei gewonnen. Ines Wallrodt sprach mit der Hamburger Rechtsanwältin über die Bedeutung der Urteile für künftige Demonstrationen.