2010-06-27
Trotz eines Großaufgebots der Polizei randalieren Autonome stundenlang in Torontos Innenstadt. Das Anliegen der Demonstration zuvor geht dabei völlig unter. VON MALTE KREUTZFELDT
TORONTO taz | Für die Staatschefs der G8 und der G20 mag das Gipfeltreffen aufgrund von Meinungsverschiedenheiten und voraussichtlich fehlender Ergebnisse ein wenig enttäuschend gewesen sein – für die Polizei in Toronto war es ein völliges Desaster. Es waren surreale Szenen, die sich am Samstagnachmittag (Ortszeit) auf der Haupteinkaufsstraße der kanadischen Stadt abspielten: Mehrere hundert Demonstranten, viele von ihnen ganz oder teilweise vermummt, zogen durch die Stadt und zertrümmerten in aller Ruhe die Scheiben und Leuchtreklamen von Banken und Ketten wie Starbucks und McDonalds – umgeben von fassungslosen Passanten und völlig unbehelligt von der Polizei, die buchstäblich nicht zu sehen war.
Zuvor waren ungefähr 10.000 Menschen - und damit deutlich weniger als bei früheren Gipfeln - bei kräftigem Regen durch Toronto gezogen. Neben größeren Blöcken von Gewerkschaften und Greenpeace waren Gruppen aller Art beteiligt, die von der Bekämpfung der Armut über Freiheit für Tibet, den Kommunismus, die Neu-Untersuchung der Anschläge vom 11. September bis zum Stopp der Ölsand-Förderung in Kanada so ziemlich sämtliche linken Forderungen auf die Straße trugen. War eine gemeinsame, gar auf den Anlass des G20-Treffens bezogene bezogene Forderung schon während der Demonstration nur schwer auszumachen, so geriet das Anliegen der friedlichen Protestierer im Laufe des Tages immer weiter in den Hintergrund.
Denn etwa zur Mitte der Demonstration, als diese dem Sicherheitszaun rund um das G20-Konferenzzentrum am nächsten war, verließ ein Teil der Demonstranten die geplante Route. Ein Versuch, eine massive Polizeikette zu durchbrechen, um sich dem Zaun weiter zu nähern, scheiterte; mehrere Menschen wurde dabei am Kopf verletzt. Kurze Zeit später wurden zwei Polizeiautos demoliert und eins in Brand gesteckt – unter den hilflosen Blicken der überfordert wirkenden Polizei. Auch der Kamerawagen eines örtlichen Fernsehsenders wurde angegriffen. Anschließend zogen die Demonstranten in die Innenstadt, wo zwei weitere Polizeiwagen in Brand gesteckt und zahlreiche Scheiben eingeschmissen wurden.
Der Verlauf der Demonstration dürfte in Kanada eine große Debatte über die Sicherheitsstrategie auslösen. In Toronto waren am Samstag 12.000 Polizisten im Einsatz. Um Festnahmen zu erleichtern, hatte die Stadt Sonderregeln in Kraft gesetzt, die leichtere Festnahmen ermöglichen. Für den Schutz der Gipfeltreffen hatte das Land insgesamt 900 Millionen Euro ausgegeben, und damit weit mehr als jemals zuvor bei einem Gipfel. Viel gebracht, so am Samstag die Stimmung in der Innenstadt von Toroto bei Demonstranten wie Passanten gleichermaßen, hat das offenbar nicht.