2005-10-11
Begleitende Worte zum Anschlag auf das Gästehaus des Auswärtigen Amtes in Berlin-Tegel autonome gruppen/militant people (mp)
Wir haben in der Nacht vom 6. auf den 7. 10. das Gästehaus des Auswärtigen Amtes am Schwarzen Weg in Berlin-Tegel in Brand gesetzt. Es befand sich noch in Bau, Menschen wurden durch die Aktion nicht gefährdet. Wir wollen mit der Aktion die neue deutsche Außenpolitik, sprich Großmachtpolitik im ökonomischen und militärischen Sinne, offensiv angreifen.
Eine der nächsten Stationen deutscher Außenpolitik wird die Inszenierung und Ausrichtung des G8-Gipfels in Heiligendamm bei Rostock sein. Dieser soll im Sommer 2007 stattfinden. Diese Treffen, die G8-Gipfel der „führenden“ Industrienationen, ziehen Protest und Widerstand auf sich. Die internationalen Gruppen und Initiativen, die die Politik der G8 kritisieren oder ablehnen, sind z.B. NGO‘s, Bürgerrechtsgruppen, Umweltinitiativen, Anarchistinnen. Wir sind auch dabei, wir sind ein Teil dieser sozialen Bewegung. Wir ordnen unsere Aktion kritisch-solidarisch in den Rahmen der bunten Proteste gegen kapitalistische Globalisierung.
Im Juli trafen sich in einem schottischen Luxushotel in der Nähe von Glasgow die Staatschefs der acht reichsten und mächtigsten Länder der Welt zu einem informellen Meinungsaustausch. Was wurde im schottischen Gleneagles beschlossen?
Wir beschränken uns auf das, was von den G8, aber auch in den meisten Medien als „Armutsbekämpfung“ bezeichnet und angepriesen wurde. Wer Hunger und Armut bekämpfen will, der kann so böse nicht sein. Oder doch? Wir halten die Debatte um den Schuldenerlass als Armutsbekämpfung, welche von den G8, aber auch von der „live8“-lnitiative befördert wurde, für zynische Augenwischerei. Mit Augenwischerei ist gemeint, dass es nie um einen Schuldenerlass ging, sondern maximal um eine geringe Absenkung der Schulden beim Internationalen Währungsfond (IWF) und bei der Weltbank. „Private Schulden“ der Länder bei anderen Banken sind hier nicht berücksichtigt. Durch die G8-Beschlüsse müssen einige Länder jetzt ca. 1 Mrd. Dollar Zinsen pro Jahr weniger zahlen. Alle Länder des Trikonts zusammengenommen zahlen jährlich 300 Mrd. Dollar Zinsen und Tilgung. Letztendlich ist es langfristig auch profitabler, Staatshaushalte nicht vollkommen gegen die Wand zu fahren, um die Länder weiterhin ausbeuten zu können.
Zynisch ist das ganze deshalb, weil der in gönnerhafter Pose verkündete Erlass an Bedingungen geknüpft ist, die die Armut in den betroffenen Ländern langfristig eher vergrößern wird. Das „Gefesselt-Sein“ an den kapitalistischen Weltmarkt wird verschärft. Schuldenerlass wird von den G8-Staaten gegenüber den Ländern des Trikonts als gesellschaftspolitisches (De) Regulierungsinstrument eingesetzt. Für uns hat Schuldenerlass sehr viel mehr mit Gewalt zu tun als mit dem Wunsch, weltweite ökonomische Ungleichheit wirkungsvoll zu bekämpfen. Hinter der großzügigen Pose steht ein machtpolitisches Konzept zur neoliberalen Umgestaltung der Welt. Ähnlich wie bei der Kreditvergabe durch den IWF wird der Schuldenerlass an die Bedingung geknüpft, so genannte Strukturanpassungsmaßnahmen oder -programme zu durchlaufen. Die Länder des Trikonts sollen staatliche Regulierungen abbauen, beispielsweise Subventionen für Grundnahrungsmittel. Sie sollen ihre Wirtschaft stärker für Investoren öffnen, die Ausgabe für das Sozialsystem kürzen. D.H., sie sollen die Märkte für die multinationalen Konzerne öffnen und so einer effektiveren Ausbeutung den Weg ebnen.
Der Logik des globalen, neoliberalen Projekts folgend werden alle gesellschaftlichen Verhältnisse ökonomisiert. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt wird verstärkt, für die Länder des Nordens verbessert sich die Verfügbarkeit von Naturressourcen und Arbeitskraft aus dem Süden. Die Nahrungsproduktion wurde dort zugunsten von Exportgütern wie Kaffee, Kakao oder Baumwolle massiv gesenkt. Die Entscheidung darüber, was wie produziert wird, muss aber in den Händen derer liegen, die diese Reichtümer schaffen, Die momentan allgemein gültige Logik des Raubes durch die Staaten des Nordens muss durchbrochen werden.
Auf der Südhalbkugel wurden „Hilfsprogramme“ wie die der G8-Staaten mit Hunger und Krieg übersetzt, seit europäische Eroberer auf ihren Raubzügen von Ziviliation redeten, wenn sie Sklaverei und Massenmord meinten. Ein alter Hut. Und doch macht es für Lebensbedingungen und damit auch für den Widerstand einen Unterschied, wie offen gewaltförmig das Kapital und seine staatlichen Organe diese Logik umsetzten können, ob Ruhe an der Heimatfront weitgehend hergestellt ist. Unverblümt reden die Eliten über Kosten und Nutzen der Zerstörung von Sicherheiten (gesellschaftlichen Errungenschaften) im Leben anderer Leute.
Dabei ist in der BRD 60 Jahre nach der Kapitulation Nazideutschlands auch wieder Krieg als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen akzeptiert. Die Kriegsgeneration stirbt langsam weg. Die europäische Traditionslinke (Parteien etc.) lässt sich die Akzeptanzbeschaffung des Militärs gefallen und will in der vorübergehenden Arbeitsteilung der imperialistischen Armeen die moralische Überlegen- heft des europäischen Militarismus erkennen. Selbst Teile der radikalen Linken vergessen, dass Kriege immer von den Herrschenden der Welt zu ihrem exklusiven Nutzen angezettelt wurden. Sie beißen sich an der historisch einmaligen Front-Stellung gegen den NS fest, als könne mit der Wahl der „richtigen“ Armee die Gefahr eines neuen Holocaust für immer gebannt werden. Während diese Opposition so gewissermaßen die Legitimation der BRD für den Angriffskrieg auf Jugoslawien nacharbeitet, geht die Salamitaktik der Herrschenden längst in die nächste Runde. Heute braucht es keinen „neuen Hitler“ mehr, um so genannte deutsche Interessen militärisch durchzusetzen. Die zahlreichen Warlords und Gewaltunternehmer, die im Zuge vergangener heißer, kalter oder Stellvertreterkriege auf mächtige Posten gespült wurden, reichen bereits, um den grenzenlos gesetzten Krieg gegen den Terror zu begründen.
Doch die kriegerischen Interventionen gegen die "gescheiterten Staaten“ bringen ein Legitimitätsproblem für die sich demokratisch nennenden Staaten mit sich. Welche Form von Protektorat und Marionettenregime die G8 auch immer in diesen Weltregionen installieren werden: Die Besatzung kann nicht abgewählt werden. Die Umwidmung dieses Problems in eine Weltinnenpolitik (Zitat Joseph Fischer) sagt viel über die Dreistigkeit dieser neuen Landnahme aus Sie verallgemeinert den Kriegszustand als ein polizeiliches Problem Die Militarisierung wird auch in den reichen Ländern des Nordens zunehmend alltäglich In der neuen europäischen Verfassung wird Aufrüstung zur nationalen Verpflichtung erklärt Koordiniert wird das von der Europäischen Verteidigungsagentur“ (EDA), deren Aufgabe u. a. die Stärkung und Konzentration der europäisches Rüstungsindustrie ist. Für die Außen- und Verteidigungspolitik der EU sind keine Entscheidungs- oder Kontrollbefugnisse des EU vorgesehen. Der wiedererstarkende militärisch-industrielle Komplex baut seine Eigenständigkeit aus.
Das deutsche KSK tötet seit Jahren in Afghanistan wen sie wollen und schweigt dazu. Vorbei am Friedensgefasel der Bundesregierung baut der Daimler- Rüstungskonzern EADS seit Jahren seinen Laden aus und bewirbt sich u. a. für die Produktion von Hubschraubern und Tankflugzeugen für die US-Armee.
Keine politische Partei stellt den Kapitalismus, das Gesetz des Marktes, für das auch der Tod nur eine Ware ist, heute noch in Frage. Die Funktion des Staates verengen sich auf Kontrolle und Repression der Bevölkerung. Die Kriegslogik hält Einzug ins Soziale. Migrantlnnen müssen in der BRD mit Sondergesetzen und Einschränkung ihrer Bürgerlnnenrechte leben. In der EU werden Zonen der extremen Armut und Rechtlosigkeit für die Unerwünschten geschaffen. Schon werden Stimmen laut, mit anderen „Unproduktiven“, also zum Beispiel ALG 2 EmpfängerInnen, ähnlich zu verfahren. Die Phase der nationalen Beschwichtigung ist vorbei, ohne dass die alten Herrschaftsinstrumente aufgegeben werden. Die Aufsplitterung in Have- und Have-Nots ist alles andere als farbenblind und geschlechtsneutral, die neuerliche Verdrängung und Abwertung der Arbeit von Frauen privatisiert deren Armut, macht sie unsichtbar. Andere soziale Konflikte werden ethnisiert, nichtdeutsche Männer zum Sicherheitsproblem umdefiniert. Plötzlich fehlen nicht mehr Perspektiven und Jobs, sondern Überwachungskameras und Knäste.
Eine wichtige Aufgabe der Proteste gegen den Abbau sozialer Rechte liegt darin, die Empörung derjenigen, die sich bislang gegenüber diesen Mechanismen der Deklassierung auf der sicheren Seite wähnten- weil Mann oder weiß oder Facharbeiter- aufzugreifen. Um den chauvinistischen Fluchtweg abzuschneiden, soll-ten diese Proteste mit den Kämpfen von Migrantlnnen konfrontiert werden. Die Hauptlast an Gewalt und Verelendung haben immer noch diejenigen zu tragen, die außerhalb der schwer bewachten Festung Europa leben. In den Weltmarktfabriken, in krisennahen Flüchtlingslagern oder Touristenbordellen.
Erstaunlicherweise haben Jahrzehnte der ökonomischen Kriegsführung samt "low intensity-wars" bis hin zum aktuellen Krieg gegen den Terror es nicht geschafft, den Widerstand auf ein gut-böse Schema zu beschränken und festzulegen, immer wieder formulieren Basisgruppen, Frauen- und Umweltinitiativen etc. Alternativen zum Krieg „Alle gegen Alle“ der kapitalistischen Globalisierung.
Von den Zapatistlnnen in Mexiko ging vor zehn Jahren der Aufruf zu einer intergalaktischen Vernetzung der sozialen Kämpfe aus. Der G8-Gipfel in der BRD 2007 bietet uns als Symbol selbsternannter Weltherrschaft die Chance, unseren Beitrag zu einem weltweiten, in aller Vielfalt egalitären Kampf um Freiheit und Würde neu zu entwickeln. Nach Jahren der berechtigten Kritik am Paternalismus bzw. an der Über-Identifikation mit nationalen Befreiungsbewegungen im Trikont wollen wir wieder eine internationalistische Perspektive entwickeln, die den Imperialismus auf der Höhe der Zeit begegnen kann. Wie groß der Nachholbedarf an dieser Stelle ist, lässt sich an der Sprachlosigkeit ermessen, mit der wir in diesem Jahr auf die G8-Entschuldungspropaganda reagierten.
Wir begrüßen hier den Vorschlag der autonomen Gruppe a.u.g.u.s.t. 2005 für eine breite, auch militante Kampagne gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm bei Rostock (siehe interim 622 vom 15.9.2005). Die Gruppe a.u.g.u.s.t. 2005 hatte im August, im Anschluss an den G8- Gipfel in Schottland das Auto des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette, vor seiner Villa in Hollenstedt bei Hamburg in Brand gesetzt. Sie haben vorgeschlagen, in den nächsten zwei Jahren an konkreten praktischen Interventionen zu diskutieren, wie wir „Strukturen kapitalistischer Ausbeutung und imperialistischer Unterdrückung angreifen können“. Ihrem „Hoffentlich auf bald!“ können wir uns anschließen.
Gegen den G8-Gipfel in der BRD formiert sich schon jetzt vielfältiger Widerstand, den wir, im Unterschied zur militanten gruppe (mg), nicht als eine von uns getrennte Organisierungsebene sehen. Die verschiedenen Gruppen und Netzwerke werden in der Mobilisierung gegen den Gipfel gemeinsame Erfahrungen machen und somit verschiedene Diskussionen forcieren und auslösen, d.h. sich gegenseitig beeinflussen. Unsere Aktion verstehen wir in diesem Sinne als einen Debattenbeitrag für eine „offene militante Plattform“. Vielleicht wäre der Begriff „offene militante Backform“ treffender, da er sehr viel mehr auf den Prozess der Veränderung verweist: „Militante Backform - da geht noch was!“
Plattform klingt in gewisser Weise überhöht und statisch und eher nach Beton als nach Kuchen. Aber wir beharren nicht auf dem Begriff Backform.
Wichtig ist uns dagegen, dass anerkannt wird, dass noch weit mehr Gruppen als den wenigen klandestin und militant agierenden daran gelegen ist, eine Situation herzustellen, in der eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse machbar wird. An dieser Stelle scheint uns die mg mehr mit ihrer eigenen Strategie im Widerspruch als mit uns. An Autonomen kritisieren sie die nicht vorhandene Kontinuität, wenn aktuelle Themen aufgegriffen werden, zu denen dann militant agiert wird. Diese Kritik finden wir berechtigt. Aber die mg macht‘s nicht anders. Weniger als an dem stufenweisen Aufbauprozess, den sie aus ihrer strikten Trennung der Ebenen (Basisgruppen, militante Gruppen, bewaffnete Gruppen, Partei) ableitet, orientiert sie sich an den verschiedenen Themen, die aus sozialen Bewegungen kommen. Die mg agiert darin so sprunghaft wie wir. Aus der Vielfalt ihrer Angriffsziele können wir keine „originäre Linie“ erblicken. Das kennen wir von uns auch, sehen es jedoch nicht als Defizit. Denn für uns kann die Auseinandersetzung mit Ideen, die aus anders agierenden Teilen der Bewegung kommen, durchaus frucht- bar sein.
Es ist mal wieder an der Zeit, die Reichtümer der Welt zurückzufordern und das Gesetz des Raubes außer Kraft zu setzen. Die GB sind durch Kolonialismus und Versklavung des Südens entstanden, ohne Ausbeutung und Unterdrückung wären sie heute nichts. Wir sehen keinen Grund, den G3-Staaten ihre Schulden beim Rest der Welt zu erlassen. An den Vorschlägen für die notwendigen Strukturanpassungsmaßnahmen in Form von Räten und Deligiertlnnen-Modellen arbeiten wir. Für‘s erste möchten wir uns mit einigen materiellen Korrekturen begnügen:
Reperationszahlungen an die Nachkommen der von kolonialen Kriegen zerrütteten Communities!
Sofortige Erfüllung diesbezüglicher Forderungen der Herero und Nama im heutigen Namibia anlässlich des 100 Jahre zurückliegenden Aufstands gegen „Deutsch-Südwest-Afrika“!
Begrüßungsgeld für alle, die ihren Lebensmittelpunkt in die ehemaligen Koloniestaaten verlegen wollen!
Entschädigung der Opfer des deutschen Faschismus und Militarismus!
Weg mit Bundeswehr und Nato!
autonome gruppen / militant people (mp), Oktober 2005