2010-01-08 

"Nicht einmal der Schein eines Beweises"

Dänemark lässt jene Greenpeace-AktivistInnen frei, die sich als “Staatsgäste” ins königliche Schloss eingeschmuggelt hatten. Noch immer aber sind Klimaprotestler in Untersuchungshaft. Der Vorwurf von Juristen: Polizei reagiert auf Happening wie auf einen Terrorangriff

Aus Stockholm REINHARD WOLLF

Nach 20 Tagen Untersuchungshaft hat die dänische Polizei am späten Mittwochabend vier Greenpeace-AktivistInnen auf freien Fuss gesetzt. Sie waren nach der Entfaltung eines Transparents bei dem Dinner, das die dänische Königin am vorletzten Tag des Klimagipfels für ausländische Staatsgäste gegeben hatte, festgenommen worden – und seither inhaftiert gewesen. Eine Reaktion der Justiz, die nun sieben dänische Rechtsexperten, darunter ein Ex-Justizminister als “völlig unverhältnismässig” kritisieren: Man habe “mit Kanonen auf Spatzen geschossen”.

Pic: Copenhagen

Die Polizei hatte die Untersuchungshaft mit der Gefahr begründet, die Verhafteten könnten sich der Strafe entziehen, die Ermittlungen erschweren oder neue Straftaten begehen. Alles aus der Luft gegriffen, meinen die Rechtsexperten. Die plötzliche Freilassung der Greenpeace-Leute begründete die Polizei damit, nun seien auch die Namen ihrer Mithelfer bekannt. Auch dies offenbar ein vorgeschobenes Argument, da Greenpeace hieraus nie ein Geheimnis gemacht und von Anfang an jegliche Mithilfe bei den Ermittlungen angeboten hatte.

Untersuchungshaft als “Strafe ohne Urteil”?

“Die Polizei hatte für ihre Untersuchungshaft nicht einmal den Schein eines Beweises”, meint Jura-Professor Ole Krarup: “Das sieht schlicht und ergreifend nach einer Racheaktion gegen das interessante Happening einiger engagierter Leute aus, welche ihre Kritik auf den Punkt brachten.” Die Haft sei wohl als “Strafe ohne Urteil” gedacht gewesen, kritisiert auch Mads Christensen von Greenpeace-Skandinavien. Was ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sei.

Bereits kurz vor Weihnachten hatten die Behörden Tadzio Müller freigelassen, einen der Sprecher des Protestnetzwerkes “Climate Justice Action”. Am 4. Januar kamen dann auch die Australierin Natasha Verco und der US-Amerikaner Noah Daniel Weiss freige, die seit der “Reclaim-the-Power”-Aktion am Bella-Zentrum am 16. Dezember inhaftiert waren. Sie sind nun wegen Störung der öffentlichen Ordnung, Sachbeschädigung und Gewalt gegen Vollzugsbeamte angeklagt. Ihr Gerichtsverfahren soll am 18. und 19. März stattfinden. Die Festnahme von Verco, die für “Friends of the Earth” aktiv ist, hatte Proteste vor dem dänischen Konsulat in Sydney ausgelöst.

Mehrere Protestaktionen und Aufrufe zu seiner Freilassung gab es zwischenzeitlich auch für einen der laut Rechtshilfegruppe “RUSK” nun noch insgesamt vier “Klimagefangenen”: Luca Tornatore, Astrophysiker an der italienischen Universität Trieste. Er war Sprecher des Netzwerks “See You in Copenhagen” und Redner bei der großen Klimademonstration am 12. Dezember gewesen. Verhaftet wurde er anlässlich einer Polizeirazzia im Freistaat Christiania. Netzwerkmitglieder bezeichneten seine Festnahme von Anfang an als willkürlich und grundlos. Konkrete Vorwürfe gegen ihn sind bislang nicht bekannt, seine Untersuchungshaft ist bis 12. Januar terminiert.

Dänischer Rundfunk: Gerichte verurteilen Telefonüberwachung

Für Freitag hat “RUSK” die Einreichung von über 200 Klagen gegen das Vorgehen der Polizei auf dem Klimagipfel angekündigt. Es geht vorwiegend um als illegal angesehene Festnahmen im Rahmen von Massenverhaftungen. Und auch der Lauschangriff auf die Handies vieler KlimaaktivistInnen dürfte ein rechtliches Nachspiel haben: Nach Informationen des dänischen Rundfunks – die entsprechenden Verfahren sind nichtöffentlich – sind mehrere dieser Abhöraktionen zwischenzeitlich von Gerichten für ungesetzlich erklärt worden. Die Voraussetzung für das Abhören von Telefonen (Verdacht auf mit mindestens fünf Jahren Haft bedrohte Straftaten) hätten nämlich offenbar durchweg nicht vorgelegen. Trotzdem seien die Lauschangriffe erfolgt – obwohl die Unverhältnismäßigkeit offensichtlich war und wohl auch gegen das ausdrückliche Votum der eigenen Polizeijuristen.