2009-12-25
Die dänische Polizei steht wegen abgehörter Telefongespräche zwischen Aktivisten und Journalisten in der Kritik. Das dürfte ein politisches wie rechtliches Nachspiel geben. VON REINHARD WOLFF
STOCKHOLM taz | Nach der vorangegangenen Entlassung anderer im Umfeld des Kopenhagener Klimagipfels festgenommener AktivistInnen setzte die dänische Justiz am Dienstagnachmittag auch zwei in U-Haft genommene Sprecherinnen der ”Climate Justice Action” (CJA) wieder auf freien Fuß. Tannie Nybroe und Stine Gry Jonassen waren am 16. Dezember während der ”Reclaim Power”-Aktion, die das Ziel verfolgte ins Bella-Zentrum einzudringen, verhaftet worden. ”Unsere Festnahme war ein Versuch, die CJA und andere kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen”, erklärte Jonassen.
Der Hintergrund der Festnahme der beiden CJA-Sprecherinnen hat mittlerweile heftige Kritik ausgelöst und dürfte ein politisches wie gerichtliches Nachspiel haben.
Die Polizei legte zur Begründung der Anordnung einer Untersuchungshaft als Beweis nämlich abgehörte Telefonate vor, die beide Frauen mit Journalisten der Tageszeitungen PolitikenMetroXpress geführt hatten. Bei solchen Abhöraktionen zufällig mitgeschnittene Telefonate mit Journalisten waren in der Vergangenheit ähnlich wie Gespräche mit Rechtsanwälten oder Geistlichen von der Staatsanwaltschaft nicht als Beweismittel in gerichtliche Verfahren eingebracht worden. ”Mir ist kein einziger solcher Fall von früher bekannt”, betont Oluf Jørgensen, Medienjurist an der dänischen ”Medie- og Journalisthøjskole” (Medien- und Journalistenhochschule): ”Das ist ein sehr ernster Angriff auf die Pressefreiheit und den Schutz von Informationsquellen.” Der gesetzlich verankerte Quellenschutz werde mit einer solchen Praxis umgangen.
Diese Kritik teilt der dänische Journalistenverband und die Chefredaktion von Politiken. ”Wir können die Polizei nicht daran hindern, Verdächtige abzuhören”, sagt Anders Krab-Johansen, Nachrichtenchef bei Politiken: ”Aber Journalisten muss ihr Recht auf vertrauliche Gespräche garantiert bleiben.” Werde das jetzige Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft zulässige Praxis, könne kein Journalist mehr mit einem Informanten telefonisch oder per Email kommunizieren. ”Es soll ja sicher sein, Journalisten zu informieren”, kritisiert auch Mogens Blicher Bjerregård, Vorsitzender des Journalistenverbands, und warnt: ”Wir befinden uns da auf einer abschüssigen Bahn.”
Doch es gibt auch grundsätzliche Zweifel, ob die fraglichen Abhöraktionen überhaupt zulässig waren. ”Die Polizei hat hier mit falschen Karten gespielt”, sagt Rechtsanwalt Jakob Arrevad, der einen ”Greenpeace”-Aktivisten vertritt: Nach dem Strafprozessrecht hätte eine solche Abhöraktion nur bei Verdacht einer mit mehr als sechs Jahren Haft strafbedrohten Tat zur Anwendung kommen dürfen. Hier sei aber allenfalls von 30 Tagen Haft nach dem ”Lümmelgesetz” auszugehen gewesen. Und selbst wenn man theoretisch andere Strafvorwürfe konstruiere, erreiche man niemals den erforderlichen Strafrahmen.
Das Big-Brother Schreckensszenario in George Orwells ”1984” sei nun nicht nur Wirklichkeit geworden, sondern was in Dänemark geschehe, übersteige sogar Orwells Phantasie, kritisiert selbst “Konservativ Ungdom” (KU), der Jugendverband der regierenden konservativen Partei in einer Erklärung. KU-Vorsitzender Rune Christensen: ”Diese Abhöraktion ging viel zu weit”, schließlich habe man es nur mit zwei Sprecherinnen einer Klima-Gruppe und ”nicht mit gefährlichen Al-Qaida-Terroristen” zu tun gehabt.
Nicht nur die Abhöraktion dürfte ein gerichtliches Nachspiel haben. Mehrere Rechtshilfegruppen haben mittlerweile Strafanzeigen wegen der verschiedenen Massenfestnahmen in Verbindung mit Demonstrationen oder Happenings im Umfeld des Klimagipfels gestellt oder bereiten solche vor. ”Wir werden bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gehen”, erklärte ein Anwalt der Rechtshilfeorganisation ”Krim” gegenüber der Zeitung Arbejderen.