2009-12-04
Der Klimagipfel in Kopenhagen, der nächste Woche stattfindet, rückt zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sowohl der Gipfel als auch das geplante rigorose Vorgehen gegen Demonstranten gelten als umstritten. Hendrik Sander von attac stand uns dazu Rede und Antwort.
Einerseits zeichnen sich kontroverse inhaltliche Diskussionen über Ursache und Ausmaß klimatischer Veränderungen ab, die durch den kürzlichen Leak der E-Mails zahlreicher Klimaforscher (gulli:News berichtete) noch angeheizt werden dürften. Die Politiker müssen sich von vielen Seiten Kritik gefallen lassen, dass sie falsch oder zu zögerlich auf Umweltbedrohungen und die Notwendigkeit zum Klimaschutz reagieren. Andererseits rückte auch eine andere Diskussion zunehmend ins Blickfeld kritischer Beobachter: das Vorgehen der dänischen Behörden gegen Demonstranten. Das sogenannte "Lümmelpaket" soll präventiven Gewahrsam ermöglichen, kleinere Vergehen rund um die Demos unter strenge Strafen stellen und auch passiven Widerstand mit hohen Sanktionen belegen. Aktivisten befürchten eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit und eine Abschreckung gerade junger und unerfahrener Klimaschützer. Über diese Problematik, die Ziele der Gipfel-Demonstranten und mögliche schädliche Auswirkungen des Lümmelpakets sprach gulli:News mit Hendrik Sander vom Anti-Globalisierungs-Netzwerk attac.
gulli: Was hat attac für den Klimagipfel in Kopenhagen geplant, wofür setzt ihr euch ein?
Hendrik Sander: attac ruft zu Protesten anlässlich des Klimagipfels in Kopenhagen auf, insbesondere die bundesweite Arbeitsgruppe "Energie, Klima, Umwelt", die die Proteste im Wesentlichen vorbereitet. Wir wollen dort grundsätzliche Dinge hinterfragen und auch Forderungen stellen. Wir fordern eine globale Klimagerechtigkeit. Das bedeutet zum Beispiel eine milliardenschwere Umverteilung in den globalen Süden und auch eine radikale Umgestaltung der Politik. So wollen wir, dass zum Beispiel neue Kohlekraftwerke schlichtweg verboten werden. Wir gehören nicht zu denen, die die Veranstaltung rundherum ablehnen, sondern wir sagen, wir möchten mit den Menschen dort auf die Straße gehen, um Druck zu machen, dass sich ein Wandel in der Politik aber auch in den jeweiligen Gesellschaften vollzieht.
Es geht nicht nur um ein bisschen mehr oder ein bisschen besser, sondern um etwas ganz anderes.
gulli: Wie bewertet ihr denn die vorangegangenen Klimagipfel?
Hendrik Sander: Wenn man sich den bisherigen Prozess anschaut, so muss man feststellen, dass diese unter'm Strich wenig gebracht haben. Obwohl nur geringe Vereinbarungen zur Reduktion der Emission getroffen wurden, so sind auf globaler Ebene die Emissionswerte dennoch enorm gestiegen. Gleichzeitig werden fragwürdige Marktmechanismen als zentrales Mittel eingesetzt, so zum Beispiel der Clean Development Mechanism wo sich die Industriestaaten von ihren Verpflichtungen freikaufen können oder über den Emissionshandel versuchen können die Verpflichtungen hin- und herzuschieben, ohne das es zu substantiellen Veränderungen kommt.
Es ist kein Zufall, dass keine konkreten Verhandlungen auf der Tagesordnung stehen. Es geht vielmehr darum, die Reduktion zwar möglichst kostengünstig zu gestalten. Aber es redet niemand darüber, welche grundlegenden gesellschaftlichen Schritte notwendig wären. Und dazu kommt, dass der sogenannte Klimavorreiter Deutschland mit der Klimaqueen Merkel an der Spitze aktuell darüber diskutiert, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen bzw. neue Kohlekraftwerke zu bauen. Das hat unserer Ansicht nach herzlich wenig mit echtem Klimaschutz zu tun.
gulli: Mithilfe des Lümmelpakets soll in Kopenhagen das Demonstrationsrecht stark eingeschränkt und auch kleinere Vergehen sehr stark sanktioniert werden. Wird euch das bei eurer aktivistischen Tätigkeit behindern? Inwieweit könnt ihr das in Bezug auf die Planung berücksichtigen?
Hendrik Sander: Da wird offensichtlich versucht von der dänischen Regierung, legitimen Protest massiv einzuschränken, Leute einzuschüchtern und eine Stimmung der Konfrontation zu erzeugen. Vor allen Dingen muss man auch daran denken, dass sehr wahrscheinlich die gesetzlichen Maßnahmen auch weiterhin gelten werden, was die Aktivistinnen und Aktivisten auf längere Zeit in Dänemark stark in ihrer Tätigkeit einschränken wird.
Konkret hat das für unsere Mobilisierung erst mal keine direkten Konsequenzen. Da würde ich eher sagen: jetzt erst recht! Das Spektrum welches wir mit attac ansprechen ist nicht das, was militant auftritt. Gleichzeitig muss man schon sagen, dass friedliche Aktionen des zivilen Ungehorsams gefährlicher geworden sind.
gulli: Selbst wenn es nur darum geht, dass ihr einen Platzverweis ignoriert, so könnte man euch inhaftieren. Wie empfindet ihr das?
Hendrik Sander: Meiner persönlichen Meinung nach werden einige Exempel durchexerziert werden, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass die tausende gewaltlose Demonstranten tatsächlich wegen zivilen Ungehorsams 40 Tage einsperren werden. Das können die sich schon wegen dem Bild in der Öffentlichkeit nicht leisten, weil es im Interesse des Gastgebers ist, das medial als Erfolg darzustellen. Und es ist auch fraglich, ob die die Gefängniskapazitäten haben, um die Gefangenen so lange festzuhalten.
Aber man muss sich da schon auf einen schärferen Wind gefasst machen.
gulli: Wie konnte es denn überhaupt so weit kommen?
Hendrik Sander: Es dient einerseits der Abschreckung. Und es soll ein Klima erzeugen, das durch Zuspitzung und Verunsicherung geprägt ist. Man kann auch in anderen Ländern sehen, dass die Repressionsschraube gegen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten angezogen wird. Gerade die Polizei in Großbritannien kommt mit sehr konfrontativen Aktionen. Das muss man sehr genau beobachten. Da werden die Aktivisten auch mit Terrorismusbekämpfungsgesetzen angegangen. Einem britischen Aktivisten wurde die Ausreise zu einem internationalen Planungstreff verweigert. In dem Kontext muss man auch sehen, dass den politischen Eliten klar ist, dass wir da mit einem berechtigten Anliegen auftreten. Und sie wollen vermeiden, dass nicht die scharfen Kritikpunkte das Bild beherrschen werden. Und so versuchen sie auf dieser Ebene Leute vom Protestieren abzuhalten.
gulli: Werden die weniger mutigen Gelegenheitsdemonstranten folglich zu Hause bleiben?
Hendrik Sander: Ich will es nicht hoffen aber ich will es auch nicht ausschließen. Ich würde gleichzeitig dazu aufrufen sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern dort deswegen hinzufahren, weil wir ein Recht auf politische Versammlung und politische Demonstration haben.
gulli: Kann Ottonormalbürger denn überhaupt etwas gegen dieses Lümmelpaket tun?
Hendrik Sander: Es haben verschiedenste Organisationen und NGOs dagegen protestiert. Es gab in Dänemark auch eine Online-Petition, die auf viel Zuspruch gestoßen ist. Scheinbar war man dagegen resistent, weswegen das Gesetzespaket erst mal in Kraft getreten ist. Man muss schauen, wie man damit jetzt politisch umgehen kann.
gulli: Gegen ePetitionen immun zu sein können unsere deutschen Politiker ja auch sehr gut ... Glaubst du, das Lümmelpaket bleibt eine einmalige Angelegenheit?
Hendrik Sander: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer einzuschätzen. Es ist einerseits ein krasses Beispiel, welches in der Form nicht so viele Vergleiche kennt. Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre, so ist es in vielen europäischen Staaten so, dass die politischen Möglichkeiten immer mehr eingeschränkt werden. Man muss da sehr wachsam sein und in Zusammenarbeit mit Bürgerrechtsbewegungen eine Gegenöffentlichkeit bilden.
gulli: Was könnte denn am Ende dieser Verschärfung stehen?
Hendrik Sander: Das ist ein Stück weit Spekulation. In der Abwehrpolitik gegen die Flüchtlinge in den EU-Außennetzen kann man durchaus sehen, zu welchen paramilitärischen Mitteln die EU-Staaten bereit sind, wenn es darum geht, den Wohlstand der führenden Schichten der Länder zu verteidigen. Ich kann schwer ausmachen, welche Entwicklung das nehmen wird. Es wird davon abhängen, wie sich die politischen Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren entwickeln und auch, wie sich die öffentliche Meinung entwickelt. Davon hängt ab, ob sich die Regierungen das überhaupt leisten, können an dieser Repressionsschraube weiter zu drehen.
gulli: Wie sind denn deine ganz persönlichen Erfahrungen bei Demonstrationen?
Hendrik Sander: Das ist ganz unterschiedlich. Im Gegensatz zu dem Bild, was von den Medien widergegeben wird, geht durchaus auch Gewalt von der Polizei aus. So lässt sich die Polizei durch relativ harmlose Aktionen in einem Maße provozieren, sodass sie dann teilweise gewalttätig dagegen vorgeht. Beim Klima und Antirassismus Camp letztes Jahr in Hamburg haben wir versucht mit vielen anderen zusammen mit friedlichen Mitteln die geplante Baustelle für das Kohlekraftwerk in Moorburg zu besetzen. Unter der Führung des schwarz-grünen Senats wurden wir mit sehr rabiaten Mitteln von diesem Platz ferngehalten.
gulli: Hast du eine Idee, wie man die politikverdrossenen Bürger reaktivieren könnte?
Hendrik Sander: Man muss bei der ganz konkreten Betroffenheit der Menschen anknüpfen, ihm die Probleme in einem globalen Kontext darstellen und ihm auch Alternativen aufzeigen. Womit wir uns von attac schon häufiger beschäftigt haben, ist die Stromversorgung in Deutschland. Wir haben hier vier große Stromkonzerne, die den Markt weitgehend dominieren. Es gibt durchaus auch in vielen Gemeinden Initiativen, die sich gegen neue Kohlenkraftwerke einsetzen und die versuchen eine Privatisierung zu verhindern. Manche Gemeinden machen sich sogar für einen Rückkauf kommunaler Netze stark.
Das ist ein Beispiel, um zu zeigen, dass man die Menschen durchaus mit Erfolg ansprechen kann. Die steigenden Strom- und Gaspreise wären da auch zu nennen, wo es eine stärkere Betroffenheit gerade ärmerer Menschen gibt. Hier kann man durch Boykottversuche oder auf juristischem Weg vorgehen. Es ist auf lokaler Ebene wichtig solche Dinge in einen globalen Kontext zu stellen. Man muss konkrete Alternativen wie eine demokratische Kontrolle kommunaler Stadtwerke benennen.
Nur gegen etwas zu sein reicht nicht aus. Man muss der Frustration entgegenwirken, die uns von den Neoliberalen mit Erfolg eingetrichtert wurde. Frei nach dem Motto: "There's no alternative." Und genau diese Behauptung gilt es zu widerlegen.
gulli: Mit dem Geldbeutel kann man wahrscheinlich am besten argumentieren. Der Mann auf der Straße hört aber schon seit 10 Jahren, dass der Wald stirbt. Werden wir uns erst betroffen fühlen, wenn es schon längst zu spät ist?
Hendrik Sander: Das ist ein grundsätzliches Dilemma der Klimafrage. Ich glaube aber schon, dass es in der Bevölkerung ein wachsendes Bewusstsein dafür gibt, dass sich das Klima verändert. Ich möchte euch deswegen aufrufen, mit uns nach Kopenhagen zu fahren und mit uns zusammen zu protestieren. Wer sich attac nahestehend fühlt: Wir organisieren am 12. Dezember einen attac-Block, wo Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern vertreten sein werden. Unter dem Motto "Our Climate is not for sale" wollen wir dort für ein ganz anderes Klimaabkommen einstehen.
Weitere Infos gibt es hier.
Das Gespräch führten Annika Kremer und Lars Sobiraj.