2009-07-07
von Ben Trott
Nächste Woche wird der Blick eines großen Teils der Medien aus aller Welt auf L´Aquila in den Abruzzen gerichtet sein anlässlich des 35. Gipfels der G8. Antworten auf die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise werden weit oben auf der Agenda stehen. Wie immer werden Proteste erwartet – wenn auch unwahrscheinlich von einer solchen internationalen Größenordnung, die oft innerhalb der letzten zehn Jahre zu beobachten war.
Vor acht Jahren erwarb die Breite, das Ausmaß und Militanz der Proteste gegen den G8 in Genua sowie die brutale Reaktion der Polizei darauf globale Berichterstattung. Das Ereignis bildete einen Teil des globalen Zyklus von Kämpfen, welcher sowohl Proteste gegen andere Gipfel an anderen Orten der Welt einschloss als auch simultan stattfindende Demonstrationen während des Gipfels in Genua selbst.
Seit Anfang des Jahrhunderts gingen Millionen gegen die Doktrin des Neoliberalismus auf die Straße – ein Programm der Privatisierung, Deregulierung und Finanzialisierung – mit der Forderung, dass ´eine andere Welt möglich ist´.
Mit der gegenwärtigen Krise des Neoliberalismus jedoch schien die Bewegung der alternativen Globalisierung in eine Sackgasse geraten zu sein. Während zwar erwiesenermaßen eine große Zahl von Menschen nächste Woche auf die Straßen ganz Italiens gehen wird, wird der globale Charakter der Proteste, welcher vorher ähnliche Ereignisse ausmachte, weitgehend abwesend sein. Dies ist der Fall sowohl, was diejenigen betrifft, von denen erwartet wird, dass sie sich nach Italien aufmachen werden, als auch organisierte Demonstrationen, die mit anderen Protesten anderswo auf der Welt zusammenfallen.
In Deutschland sind zwei Demonstrationen geplant. Eine wird in Berlin stattfinden am Samstag, den 4. Juli vor dem G8-Gipfel. Eine Reihe linksradikaler Gruppen ruft dazu auf und sie wird wahrscheinlich relativ klein sein. Die andere ist eine antikapitalistische Demonstration, geplant in der süddeutschen Universitätsstadt Freiburg für den 11. Juli, den Tag nach dem Gipfel. Keine der größeren Netzwerke der Linken und Linksradikalen haben viel Interesse an einer Mobilisierung in irgendeiner Weise gezeigt. Attac Deutschland, das eine große Rolle in der Mobilisierung nach Genua und zu den G8-Protesten 2007 in Heiligendamm spielte, erwähnen noch nicht mal den Gipfel in L´Aquila in ihrem letzten E-Newsletter (obwohl sie interessanterweise zum G20 nach London im April mobilisierten). Noch findet sich irgendeine Information darüber auf ihrer Website. Die Interventionistische Linke, ein linksradikales Netzwerk das sich maßgeblich beteiligte an der Organisation der Heiligendamm Proteste, koordinieren dieses Mal auch keine Mobilisierung. Das deutsche Indymedia Webportal enthält nur spärliche Hinweise auf die geplanten Proteste – und keinem der wenigen Artikel, die es gibt, wurde von Seiten der ModeratorInnen viel Bedeutung zugemessen.
Theoretisch scheint es ein geeigneter Moment zu sein für eine breite Mobilisierung der europäischen Linken gegen den Gipfel. Die Daseinsberechtigung des G8 ist es immer gewesen, Antworten auf die Krisen, die die den globalen Kapitalismus konfrontieren, zu erleichtern. Sie wurden 1975 als G6 gegründet (damals noch ohne Kanada und Russland) als Folge von zwei großen Ereignissen, welche die globale wirtschaftliche Stabilität bedrohten. Das erste war 1971 der Zusammenbruch des Bretton Woods Systems durch die Deregulierung der Währungsmärkte und die Freigabe des Dollars von der Golddeckung. Das zweite war der Ölpreisschock von 1973. Das Ziel der Gründungsversammlung und der Versammlungen, die jährlich auf diese folgten, war die informelle Schaffung von Konsens zwischen den Mitgliedsstaaten, in erster Linie bezogen auf internationale ökonomische Restrukturierung. (Andere Themen gewannen seitdem ebenfalls Bedeutung.) Die Tatsache, dass die G8-Staaten 48% der Stimmen des Internationalen Währungsfonds IWF halten, 46% in der Weltbank und vier von fünf Vetorechten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben, gibt den Vereinbarungen, die sie treffen, beträchtliches Gewicht.
Vielleicht ist ein Teil der Gründe für die fehlende internationale Mobilisierung um den diesjährigen Gipfel den Schwierigkeiten geschuldet, die die europäische Linke einschließlich der Linken in Deutschland gegenwärtig hat, was die Entwicklung einer adäquaten Antwort auf die Krise angeht. Demonstrationen in der letzten Zeit unter dem Motto: „Wir zahlen nicht für eure Krise“ waren unfähig, über den Kreis ihrer Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren, ungeachtet der beträchtlichen Breite der organisierenden Koalitionen. Das Attac-Netzwerk gewann kaum soziale Relevanz trotz (oder vielleicht sogar wegen) der tiefen Krise des Neoliberalismus. Trotz des erfahrenen Erfolges der Heiligendamm Proteste ist es dem autonomen Teil der radikalen Linken in Deutschland nicht gelungen, über die letzten zwei Jahre an Größe zu gewinnen. Und die neue Partei der Linken erreichte nicht ihr erklärtes Ziel von 10% bei den letzten EU-Wahlen.
Die bis zur Stunde unbeantwortete Frage, welche gegenwärtig die alternativ-globalistische Linke in Deutschland und darüber hinaus herausfordert, ist folgende: Erstens: welche Art von (antagonistischer) Beziehung wird sie gegenüber den internationalen Institutionen und Foren haben, (inklusive der G8, aber auch gegenüber der neueren, einige „aufsteigende Ökonomien“ einschließenden G20) welche wahrscheinlich eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von Antworten auf die gegenwärtige Krise spielen werden? Wann und wo wird dies artikuliert werden? Zweitens: Auf welche Arten, wenn überhaupt, wird diese Linke fähig sein zur Entwicklung von gemeinsamer Praxis und Formen der Kooperation mit Kämpfen, die anderswo in der Gesellschaft zum Ausbruch kommen? Und drittens: bis zu welchem Grad wird die Dynamik zwischen ihnen fähig sein, auf breitere soziale Prozesse zu wirken, und was wird das für die Zukunft von Bewegungen bedeuten?
Der Ausdruck „Krise“ beinhaltet die Notwendigkeit eines Wandels. Acht Jahre nach Genua können wir mit Bestimmtheit sagen: Eine andere Welt ist absolut unverzichtbar. Die Frage ist nur, welche Rolle wird die Linke bei ihrer Gestaltung spielen?
Ben Trott ist einer der Herausgeber von Turbulence: Ideas for movement (www.turbulence.org.uk) und lebt in Berlin. Dieser Artikel wurde zuerst auf italienisch veröffentlicht in Carta, am 3. Juli 2009.