2009-06-28 

Repressionsbericht zum NATO-Gipfel

Legal Team legt Dokumentation der Polizeigewalt vor. Noch sieben Demonstranten in Haft

Von Frank Brendle

»’Keiner sagt, daß du nicht demonstrieren darfst, wir würden nur gerne etwas mehr wissen.’ Während des kurzen Verhörs wird der junge Mann gegen ein Gitter gedrängt, umringt von drei Polizisten. Der erste beobachtet, der zweite befragt, der dritte schlägt leicht auf seinen Kopf, so wie man an eine Tür klopft. Der junge Mann schlägt die Augen nieder, weiß nicht, wo er hinsehen soll.«

Die Szene ereignete sich im April 2009 in Strasbourg.

Pic: Strasbourg

Sie ist noch eines der harmloseren Beispiele für die Polizeiwillkür gegen Anti-NATO-Demonstranten. Das Legal Team Strasbourg hat nun eine 114 Seiten umfassende Dokumentation vorgelegt, die akribisch die Repression der französischen Polizei während des NATO-Gipfels Anfang April verzeichnet. Die Dokumentation basiert auf zahlreichen Augenzeugenberichten und beinhaltet Übergriffe angefangen von Beleidigungen über Einschüchterungen, willkürlichen Beschlagnahmungen bis hin zum gezielten Beschuß von Demonstranten mit Granaten.

Zu den dramatischen Schilderungen gehört diejenige einer Demonstrantin, die sich auf dem Weg zur Kundgebung im Polizeikessel gefangen fand und verzweifelt versuchte, sich vor Tränengas- und Schallgranaten zu retten. Sie wurde schließlich getroffen und mit Verletzungen am Trommelfell und am Bein ins Krankenhaus eingeliefert. »Bei den Röntgenaufnahmen wurde festgestellt, daß ich Metallsplitter in der Innenseite der linken Wade, im linken Oberschenkel und in der rechten Schulter hatte…« Die Verletzungen sind bis heute nicht auskuriert.

»Die Bullen, besonders die CRS (Bereitschaftspolizei), haben aus allen Richtungen angegriffen – Blendgranaten, Tränengas … Die CRS haben mit Steinen geworfen«, heißt es an anderer Stelle. Augenzeugen schildern die improvisierten Haftbedingungen. Minderjährige hätten sich auf der Polizeiwache nackt ausziehen müssen und ihre Eltern nicht benachrichtigen dürfen. Anwälte wurden verweigert, die Gefangenen nicht einmal ordentlich erfaßt.

Die unmittelbar nach dem Gipfel inszenierten Schnellverfahren fanden nach Einschätzung des Legal Teams in einer »Atmosphäre der Lynchjustiz« statt. Die Beschuldigten seien »aufgrund von Absichten, die ihnen unterstellt wurden, und kaum wegen ihrer Taten« angeklagt worden – sie wie jene drei jungen Männer aus Tour, die am Montag vor Gericht standen: Sie hatten in einem Supermarkt völlig legal Alkohol und andere Gegenstände gekauft. Der – unbeweisbare – Vorwurf, sie hätten damit Molotow-Coctails bauen wollen, brachte ihnen nun vier Monate Haft auf Bewährung ein.

Gegenwärtig befinden sich nach Angaben des Legal Teams noch sieben Demonstranten im Gefängnis. Drei von ihnen werden im August entlassen, zwei müssen eine einjährige Haftstrafe absitzen und weitere zwei warten noch auf ihren Prozeß.

Der Aufforderung des Legal Teams, die Dateien angeblicher Gewalttäter zu löschen, dürfte die Polizei kaum nachkommen. Statt dessen drehen die Behörden weiter an der Repressionsschraube: In Frankreich herrscht jetzt bei Demonstrationen ein Vermummungsverbot. Ein Anfang dieser Woche von Präsident Nikolas Sarkozy unterzeichnetes Dekret sieht Strafen von 1500 Euro vor, wenn die Vermummung »eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung befürchten« läßt. In der französischen Medienlandschaft wird die Maßnahme als Lehre aus den NATO-Protesten verkauft. Nähmen sie die Dokumentation zur Kenntnis, müßten sie ihr Bild um 180 Grad ändern.

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