2009-06-20 

Die Verlegenheit des Raïs: "Welche Menschenrechte"

12.06.2009

von Stefano Liberti

Zwei Stunden Verspätung, eine einstündige Rede und einige hitzige Wortwechsel, mit überstürzter Flucht um Protestbekunfungen zu entgehen. Der dermaßen durch Polizeiketten geschützte Besuch Muhammar Gaddhafis in einem Audimax der Sapienza*, dass nicht einmal ein Bunker so viel Schutz hätte leisten können, ist alles andere als ein Triumphzug gewesen. Nach einer kurzen Zeremonie mit dem Rektor Luigi Frati im akademischen Senat ist der libysche Führer ins Audimax eingefallen, wo er aus dem Stegreif eine allumfassende Rede heruntergeleiert hat, bei der er alle seine Klassiker aus der Mottenkiste geholt hat: die Kritik der imperislistischen Politik der vereinigten Staaten, die Anprangerung der repräsentativen Demokratie, die Forderung der dem kolonialistischen Joch unterworfenen afrikanischen Staaten auf Entschädigungen. "Die Migranten, die bei euch ankommen, tun nichts anderes, als sich das zu holen, was ihr ihnen in der Kolonialzeit genommen habt".

Pic: Berlusconi

Das aus Studenten, Professoren und Angestellten der Sapienza zusammengesetzte Publikum hat schweigend den Ausführungen des Führers gelauscht. Als es aber zur Fragerunde kam, hat das Publikum weniger Entgegenkommen gezeigt, als Frati sich gewünscht hätte. "Welche Rechte gewährleistet ihr den Migranten, die Italien in euer Land abschiebt?", hat einer gefragt. "welche Rechte? Welche Flüchtlinge", hat ein Mann aus dem Gefolge Gaddhafis auf Italienisch geantwortet. "Amnesty International bemängelt, dass Frauen in euren Aufnahmezentren vergewaltigt und Männer gefoltert und bestohlen werden", hat ein weiterer gewettert. Daraufhin hat der Führer das Wort ergriffen, sich bei den beiden Fragestellern "die über die Menschenrechte, einem Thema, das mir sehr zu Herzen liegt gesprochen haben" bedankt und seine Sicht der Migrationsströme und von deren Beschaffenheit dargelegt. "die, die kommen, sind keine politischen Flüchtlinge. Es handelt sich um gewöhnliche Leute, die dem Hunger entfliehen und auf der Suche nach Nahrung sind. Sie sind arm. In Afrika existiert Politik nicht. Afrika ist in der Hand diktatorischer Regimes", betonte der libysche Führer, der zufällig auch Präsident der afrikanischen Union ist. "Wann wird in Libyen es freie Wahlen geben?", hat ein anderer unter tosendem Beifall gefragt, um zur Antwort einen endlosen Vortrag über die "Demokratie der Massen" in der Dschamahirija**, in denen jede Entscheidung durch Volkskomitees gefällt wird einzustecken. Und er gab einen Rat: "Auch in Italien müsstet ihr Volkskomitees einrichten, mindestens zweitausend, und jeden mit fünftausend Leuten".

Während Frat versuchte, im Angesicht der aufkommenden Polemik Schadensbegrenzung zu betreiben, in dem er die Vorzüge der "im Vergleich zum männlichen Gefolge sehr viel interessanteren" weiblichen Leibwachen des Führers lobte und bedauerte, dass "Meine Frau leider im Saal anwesend ist", ergriff eine Studentin der Welle das Wort, die den Versuch unternahm, die Gründe der Bewegung zu erläutern und die Kritiken an der Kooperationspolitik von Italien und Libyen auf dem Feld der Migration. Mitten im Beitrag wurde ihr Mikrofon ausgeschaltet. Es folgte eine letzte Frage und die Spannung wuchs exponentiell. Aus dem hinteren Saal stiegen Pfiffe und Rufe auf, Arme von Studenten und Studentinnen, die sich meldeten, um sprechen zu können gingen hoch.

Als er merkte, dass die Lage ausartete, beendete er hastig die Veranstaltung. Er bedankte sich beim Führer, der unter Pfiffen, den Saal verließ".

A. d. Ü.:

* La Sapienza: Römische Universität (wörtliche Bedeutung des Namens: "Das Wissen"

** Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Dschamahiriyya