2009-06-16
15. Juni 2009
Morgen Mittag Protestpräsidium der aquilanischen Territorialkomitees in Montecitorio. Sie protestieren gegen das Regierungsdekret, das das Parlament sich anschickt, unverändert zu verabschieden. Die Bürgermeister aus dem Erdbebenkrater* werden hingegen in Preturo, dem G8-Flughafen, protestieren.
Der über zwei Monate in den Zeltstlagern des vom Erdbeben am 6. April verwüsteten Kraters ausgebrütete Aquilanische Protest ist im Begriff, den Appennin zu überqueren, um Rom zu erreichen.
Morgen ab 12:00 Uhr mittags wird es vor Montecitorio*** ein von allen aquilanischen Komitees einburefenes Präsidium geben, um gegen das Decreto Abruzzo**** zu protestieren, das sich die Abgeordnetenkammer anschickt, zu verabschieden, ohne dass die von Oppositionsparteien und von den abruzzischen Lokalbehörden vorgeschlagenen Änderungen des im Senat am vergangenen 31. mai verabschiedeten Textes angenommen wurden.
Heute Nachmittag wird es in Roseto degli Abruzzi eine große, von allen aquilanischen Komitees einberufene, öffentliche Vollversammlung geben, um die 35000 Evakuierten in den Protest einzubinden, die in den Hotels an der Küste untergebracht wurden. Auch sie, so hofft man, werden morgen in Rom sein.
Den Protest zu organisieren, ist nicht einfach gewesen. Seit vergangener Woche finden mit aufmerksamer und intensiver Beteiligung Versammlungen in den Zeltlagern statt. Obwohl der Zivilschutz, oft mit fadenscheinigen Begründungen den Komitees systematisch die Möglichkeit verweigert, in den Zeltlager Flugblätter zu diversen Initiativen zu verteilen.
"Wenn das jetzt unsere Stadt ist", sagte einer der jungen Leute vom 3:32***** , "warum wird uns dann verboten, die Bürger wissen zu lassen, was wir gerade machen? Die Zeltstädte solten die Piazze****** und die Straßen von L'Aquila sein, also muss es auch die gleiche demokratische Praktikabilität geben, die man hätte, wenn die Stadt nich eingekracht wäre".
Regierung und Zivilschutz haben auf dieses Experiment gesetzt, auf "gefederten" Betonplatten zu plazierende Fertigbaumodule sollen - bis Ende Oktober, sagten sie - mindestens 13000 Aquilanern ein Obdach bieten. Die anderen sollten in der Lage sein, in ihre Häuser zurück zu kehren, wenn diese nicht allzu schwer beschädigt sind. Es besteht aber die konkrete Möglichkeit, dass nicht alle Zeltlager fristgerecht abgebaut werden. Und mehr als konkret ist die Perspektive auf eine in ihrem städtebaulichen Gefüge völlig verdrehte Stadt, wenn die zwanzig (und vielleicht mehr) neuen Siedlungen mit den C.a.s.e. ******* Fertigbaukomplexen einmal stehen.
Deshalb ist der Protest der Bürger im Begriff, sich auch gegen die Bagger der Unternehmen zu richten, die in verschiedenen Teilen der Stadt die Aushebungsarbeiten zur Plazierung der Betonplatten durchzuführen, auf denen dann die Fertigbauten errichtet werden sollen, die ein guter Teil der Aquilaner über eine nicht geklärte Zahl von Jahren als sein zu Hause betrachten müssen wird.
Die vom Zivilschutz statrk gefürchteten Proteste drohen, die Bauzeiten der Wohnkomplexe zu verlängern, die schon an der Grenze der technischen Möglichkeiten, dden Verpflichtungen gerecht zu werden.
Es sind aber nicht nur die Bürger und die Komitees, die gegen die Regierung protestieren. Bürgermeister und Angehörige der Lokalverwaltungen haben beschlossen, sich in Preturo zu sammeln, auf dem Fughafen, der dem G8 im Juli als logistischer Stützpunkt dienen wird.
Organisatorin des Präsidiums in Preturo ist die Präsidentin der Provinzverwaltung von L' Aquila, Stefania Pezzopane, die bei einer Sitzung des Provinzrates, in der sie von ihrer Anhörung bei der Kommission für Umwelt, Territorialstruktur und Landwirstchaft im Senat berichtete, die Unterstützung der Bürgermeister des Kraters bekommen hat. Bei der Anhörung hat es sich um eine der Vorsprachen gehandelt, die dazu dienen sollten, den Abgeordneten die Gründe für die von den Bürgermeistern geforderten Änderungen im Dekret zu erläutern. Änderungen, die von der Mehrheit, die es eilig hat, das Spiel mit dem Decreto Abruzzo "formvollendet" abzuschließen********, en bloc abgewiesen wurden, damit man sagen kann, dass der Wiederaufbau tatsächlich in Rekordzeit in die Wege geleitet wurde.
Zum Präsidium in Rom wurden Busse organisiert, die vom Busbahnhof Vollemaggio um 9:30 Uhr starten werden. Die Komiteemitglieder empfehlen denen, die Teil nehmen werden, keine Partei- oder Gewerkschaftsbanner mitzubringen "da es sich um eine gruppenübergreifende Demonstration im Interesse Aller" handelt. "wir werden mit Zelten und Schlafsäcken nach Montecitorio ziehen", sagen die Mitglieder der Komitees, "um unseren Politiker verständlich zu machen, wie schlecht es einem bei 30° C Außentemperatur im Zelt geht. Die Politiker in Rom müssen begreifen, wie ernst die Lage in L' Aquila ist - etwas, das sie aus ihrer Perspektive einfach nicht nachvollziehen können".
A.d.U.:
* 49 Ortschaften, davon 37 in der Provinz L'Aquila, in denen das Erdbeben eine Stärke von mehr als 6 % MCS gehabt hat
** Im Original: "Presidio". Statische Protesveranstaltung an einem Ort mit Postencharakter
*** Sitz der Abgeordnetenkammer, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Palazzo_Montecitorio , http://de.wikipedia.org/wiki/Camera_dei_deputati
**** Dekret über den Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Region
***** Lokale Initiative, in der einige Komitees, die sich in den Wochen nach dem Erdbeben gegründet haben versuchen, wegen der kalten und zynischen Entmündigung der Erdbebenopfer sowie der lokalen Institutionen, wegen der mit klaren Spekulationsplänen einher gehenden, gewaltsamen Zentralisierung aller Macht bezüglich des Wiederaufbaus und der Organisation des Lebens im Notstandsgebiet und wegen der besagte Umstände sichernde und fördernden Miltarisierung des Territoriums gemeinsam gegen die von oben auf zynischste Weise geschaffene Situation vorzugehen.
****** Die Piazza hat in Italien immer noch eine wichtige soziale Funktion. Die Piazza ist ein Ort der Kommunikation und auch der Auseinandersetzung.
******* “Complessi Antisismici Sostenibili Ecocompatibili” = “Antiseismische, ökologisch verträgliche Komplexe”. Bezeichnung für den Teil des sehr umstrittenen Wiederaufbauplans, der die Errichtung von Siedlungen auf bisher unbebauten Arealen im Erdbebengeibiet vorsieht.
******** Lokalbehörden wird im Dekret über den Wiederaufbau jedes Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht angesprochen. Die Zentralisierung aller Entscheidungsmacht wird - zu Recht - als der Dekmantel für due Umsetzung eines gigantischen Spekulationsprojekts gesehen, der die ursprüngliche Bevölkerung aus der Stadt vertreiben und die sozialen Strukturen im Territorium nachhaltig zerstören wird.