2009-06-01
2001 traf sich die Group of eight in Genua. Es wurden Tage der brutalen Außerkraftsetzung der Bürgerrechte, die zusammen mit der Erinnerung an und dem Schmerz wegen dem Tod von Carlo Giuliani immer noch auf dem kollektiven Bewusstsein lasten. Es waren auch Tage, an denen die "Großen der Erde" das neue Kredo der neoliberalen Globalisierung herunterleierten, als handle es sich um eine neue universelle Religion. Ihren Angaben nach, war die Welt im Begriff, einen witschaftlichen und politischen Triumphzug zu erleben: der neue transnationale Kapitalismus würde dank den Chancen der Mondialisierung allen, die hätten zu Reichtum kommen wollen, Profite garantieren. Die vorgeschlagenen Rezepte griffen die Forderung auf, die Produktionen dorthin zu delokalisieren, wo man die Arbeiter mit Hungerlöhnen bezahlte , während die in der westlichen Welt herangereiften Rechte durch eine wilde Politik der hemmungslosen Prekarisierung der Arbeit (sie nannten das "Flexibilität) verstümmelt wurden.
Den Kapitalbesitzern wurde ein neuer run auf den Profit angeboten, bei dem das Sozialwesen und die über viele jahre andauernde Kämpfe und Mobilisierungen von Unten gewonnenen Rechte ausgeweidet wurden. Es schien, als stünde dem globalen Kapital ein neues Allheilmittel zur Verfügung: die aus Geld weiteres Geld erzeugende Investition von Überschüssen im Finanzwesen - die eine "globale Finanzarchitektur" kreierte und es ermöglicht hätte, über bewusst bei der Verschäfung der sozialen Ungleichheiten als Komplizen agierende Regierungen, jede Problemlage zu harmonisieren.
Heute, während sich die Mächtigen der Erde aufmachen, einen Weltwirtschaftsgipfel abzuhalten (...)*, ist es Zeit, Bilanzen zu ziehen. Verglichen mit den Verheißungen, die beim G8 in Genua gemacht wurden, stehen wir einem entgegengesetzten Szenario gegenüber. Die Bilanz ist gnadenlos vernichtend - und das Wort, das aus allen Ecken des Planeten wiederhallt ist: Krise. Nicht eine vorübergehende Krise: sämtliche Zuständige von der Baustelle sind sich darüber einig, dass es sich um die gravierendste Krise der letzten 80 Jahre handelt. Die Situation liegt allen vor Augen: Millionen arbeitsolse Arbeiter, Unternehmen, die am Rande des Zusammenbruchs stehen oder sich in wilder Restrukturierung befinden, exponentieller Zuwachs der öffentlichen Verschuldung, Einbrüche des Bip und eine allerorten verarmte Mittelklasse. Es ist kein Zufall, dass sich dieser Prozess der Mittel des Krieges bedient hat, der von den G8 Ländern für die beste Antwort auf die terroristische Attacke vom 11. September 2001 betrachtet wird. Besonders der grausame Krieg im Irak hat eine beeindruckende Menge Geld aufgesogen, was über einen auf starke Zinssenkung setzenden Verkauf von US-amerikanischen Staatstiteln auf dem Weltmarkt ermöglicht wurde - unter Verknüpfung dieser Politik mit der Freigabe von künstlichen Finanzprodukten, die den Verbraucher zwangen - bei durch manipulierte Rating-Analysen caschierten Risikospannen - nicht existierendes Geld auszugeben.
Die Profite der Globalisierung haben die Kluft zwischen dem Süden und Norden vergrößert, formidable Spekulationen mit der Umwelt und den primären Ressourcen (angefangen beim Wasser) erlaubt und generalisiert greifende Privatisierungspolitiken erzwungen. Die Profite der Globalisierung haben den Hunger und den Durst in der Welt nicht gestillt. Im Gegenteil: jeden Tag gewinnt die Tragödie des nackten Überlebens auf dem Planeten an neuem Boden. Die Missverhältnisse treffen die soziale Organisation: überall wächst die Ungleichheit, der Reichtum ist in den Händen von einer Handvoll Männer konzentriert - während sich Abermillionen fragen, ob sie morgen mit einem Lohn rechnen können werden.
Die neoliberale Globalisierung ist gescheitert.
Ein Jahrzehnt hat genügt, um von der ideologischen Begeisterung zum wirtschaftlich-finanziellen Desaster zu gelangen und vom Triumph des Kapitalismus nach dem Ende der Zeit des kalten Krieges zur Rezession.
Was kann ein Schwarm Banker und Wirtschaftsminister, die in nicht wenigen Fällen eine eminent wichtige Rolle bei der Steuereung der Situation bis hin zum jetzigen Zustand der globalen Krise gespielt haben, der Welt Neues und Wichtiges berichten? Es ist kein bereits völlig Sinnentleerter G8 und auch kein G20, der sich die Rolle einer globalen Weltregierung anmaßen kann.
An die vielen von der Bewegung von Seattle produzierten Erklärungen, Aufrufen und Manifesten zurück denkend bekräftigen wir, dass der Kurs der globalen Wirtschaft geändert gehört. Unsere Sorgen und unsere scharfen kritischen Stellungnhahmen gegen die Rethorik und die Praxis der Globalisierung haben sich als völlig berechtigt und fundiert erwiesen. Wir erleben, wie sich die Regierungen in einer Spirale von Notstandsmaßnahmen winden, die unvorstellbare Liquiditätsausmaße offenbaren, wo es über ein ganzes Jahrzehnt geheißen hat, dass die Mittel für ein Eingreifen an den vielen Fronten der humanitären Tragödien und zu einer mit dem nötigen Nachdruck betriebenen Wiederherstellung der durch Jarzehnte der Vergewaltigung der Umwelt durch giftige Massenproduktionen verursachten ökologischen Schäden materiell nicht vorhanden waren. Eine Liquidität, die für Rettungsmaßnahmen der Regierungen verwendet wird, die zugunsten der großen Bankhäuser getätigt werden - die selben, die eine Myriade an Finanzabfallprodukten ersonnen haben, die den Verbrauchern Schaden zugefügt haben. Nichts scheint auf eine Redimensionierung der Rüstungsindustrien zu deuten - Fässe ohne Boden, die unheilbare Zerwürfnisse zwischen den Völkern des Planeten alimentieren. Kein nennenswerter Plan, der mit der Schwere der Lage Schritt halten könnte, scheint von den großen Spitzeninstanzen der Welt zu kommen. Nich von Ungefähr war der G20 Gipfel in London, der zu keinem nennenswerten Ergebnis führte, enttäuschend. Der politisch-ökonomische Gipfel, der in Italien abgehalten werden wird, wo der Süden verarmt, während in allen strategischen Bereichen des Sozialwesens auf die Lebensqualität verschlechternde und die Zukunft der jungen Genberationen beeinträchtigende Weise unverzichtbare Mittel gekürzt werden. Diese grundlegende Unfähigkeit, die Krise zu bewältigen, geht übrigens mit der Verheißung der Errichtung pharaonischer Bauewerke einher, die von zweifelhaftem kollektivem Nutzen sind, eine sichere zerstörende Wirkung für die Umwelt bedeuten und ein tönernes titanisches Gebaren verraten, das die schwere und die Tiefe der Krise kaum zu begreifen scheint.
Unter Hinweis darauf, dass wir in Genua erklärt hatten, dass eine andere Welt möglich ist, finden wir es unangemessen, dass die großen Wirtschaftsmächte der Erde - ausgerechnet jetzt, wo alle Wetten, die sie auf der Haut der Schwächeren ausgespielt haben, verloren wurden - unter sich und hinter verschlossenen Türen in in einem Isolierungsposten verschanzt diskutieren. An den Gipfeltagen werden wir auf den Straßen und auf den Plätzen** sein, um über die globale Krise zu diskutieren und um aus kritischen Reflexionen hervogegangenen Unternehmungen*** und jenen Wirklichkeiten**** eine Stimme zu geben, die mit innovativen Ansätzen, andere wirtschafliche und soziale modelle ausprobieren, die Alternativen auf jene desasterträchtige Modelle der Wirtschaftspolitiken der Großmächte bieten.
Wir werden in Lecce sein, um nachzudenken und um zu protestieren - in der Überzeugung, dass die direkte Beteiligung der Bürger an die politischen Entscheidungen ein Grundrecht ist, das jederzeit beansprucht gehört - um so mehr in dieser Zeit, in einer Krise, die auf das Leben eines jeden zubeißt und die schwächeren Gruppen am schaärfsten trifft.
Heute ist eine andere Welt nicht nur möglich, sondern nötig. Heute gehören die Argumente derer gehört, die, auf die Schaffung und Ausweitung von partizipierten Kommunikationsnetzen setzend, eine radikale Änderung der weltweiten Wirtschaftspolitiken einfordern.
Wir appellieren an die zivile Gesellschaft, an die Bewegungen, Vereine, an die Gewerkschaften und an Alle, die diesem Manifest zustimmen, eine Wegstrecke zu beleben, die am 12. Juni in einem Konvent über die globale Krise und die wirtschaftlichen Alternativen und am 13. Juni in einer landesweiten Demonstration in Lecce aufgeht.
NoG8 Koordination Lecce
A.d.Ü.:
* die Auslassung ist im Originaltext enthalten, siehe website.
** Im Original: "Piazze". Die Piazza ist ein ganz wichtiges, nicht nur strukturelles, sondern auch kulturelles und soziales Element des politisches Lebens, weil sie ein Ort ist, an dem die kollektive Zusammenkunft und auseinendersetzung möglich ist. Nicht von ungefähr ist von Italien im Kontext von Protesten und militanten Auseinendersetzung nicht von "auf die Straße gehen" und von "Straßenkämpfen" die Rede, sondern jeweils von "scendere in Piazza" (runter gehen in die Piazza) und von "scontri di Piazza" (Zusammenstößen auf der Piazza) die Rede. Die "Straßen" können hier , sozusagen ergänzend, als die Orte verstanden werden, an denen die Menschen leben, mit denen man anlässlich des Protests hofft, zu kommunizieren.
*** Im Original: "Esperienza". Diese Begrifflichkeit bedeutet "Erfahrung" und bezeichnet Projekte und Initiativen - ganz bewusst als etwas, das eine "Erfahrung" darstellt und aus "Erfahrunng" hervorgeht.
**** Dieser Begriff hat nicht annähernd eine angemessene Entsprechung im Deutschen, deshalb wird er wörtlich übersetzt. In der deutschen Sprache kommt "Zusammenhang" der Begrifflichkeit am nächsten, ohne dabei der Bedeutung im italienischen aber vollkommen gerecht zu werden: mit "Realtá" sind soziale oder, gegebenenfalls, politische "Wirklichkeiten" gemeint, aso Situationen und das, was sich aus diesen heraus bildet. Das Bild der "Wirklichkeiten" hebt deutlicher als der deutsche Begriff "Zusammenhang" den Gedanken der Teilnahme, der Gestaltung und der Mitsprache als gesellschaftlicher Körper im gesellschaftlichen Kontext hervor.
090704_plakat.pdf
[Quake G8!]
application/binary135244
2 MB