2009-05-22
Im Vorfeld des NATO-Gipfels in Straßburg und Baden-Baden trafen sich im Rhein-Main-Gebiet regelmäßig mehrere Gruppen von autonomen Zusammenhängen über migrantische Vereine bis zur DFG/VK. Einige kleinere Aktionen wurden gegen die zunehmende zivil-militärische Überschneidung durchgeführt, unter anderem am Beispiel der Commerzbank und an den regelmäßigen Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr in Arbeitsämtern. Auf der „Wir bezahlen nicht für eure Krise“-Demo gab es einen sehr präsenten No-NATO-Block. Eine größer angelegte Mobilisierungsveranstaltung am 20. März im KOZ blieb, was die Anzahl der TeilnehmerInnen betraf, ähnlich wie die Vorfeldaktionen unter den Erwartungen. Darin drückte sich wahrscheinlich auch die verquastete Stimmung im Rhein-Main-Gebiet aus, alle politischen Formen den Polen Antiimp-Antideutsch zuzuordnen und den entsprechenden anderen Flügel zu boykottieren. Über solche Dummheiten ist in diesem Heft ja schon Stellung genommen worden.
„Melt them down!“
Wenige Tage vor dem NATO-Gipfel fand in London der G20-Gipfel statt, bei dem 20 der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt Strategien besprachen, wie sie aus ihrer Krise wieder herauskommen könnten. Dies bot natürlich Anlass anti-kaptitalistische Protest auf Londons Straßen präsent zu machen. In inhaltlicher Bezugnahme zu den Anti-NATO-Protesten protestierten in der Londoner City tausende DemonstrantInnen gegen die Verursacher des kapitalistischen Normalzustands und ihre aktuellen Krisenlösungsstrategien. Bei diesen Protesten starb ein Beteiligter. Während das Innenministerium sofort eine Verantwortung der Sicherheitskräfte von sich wies, zeigte eine von AktivistInnen gedrehte und veröffentlichte Filmaufnahme der Proteste, wie der Verstorbene kurz vor seinem Tod Opfer einer Polizeiattacke wurde.
Das Grollen im Vorfeld
Kurz drauf begannen die Aktionstage gegen den NATO-Gipfel. Den Anfang machte eine Demonstration in Freiburg, die, wie in Freiburg üblich, nicht angemeldet wurde und zu der ca. 3.000 entschlossene Nato-GegnerInnen erschienen. Einige, die direkt von der Demo nach Straßburg wollten, erlebten eine böse Überraschung: An den umfangreiche Grenzkontrollen, die nicht nur die unmittelbaren Grenzübergänge um Straßburg sondern fast die ganze deutsch-französische Grenze umfassten, wurde mehreren AktivistInnen Ausreiseverbot erteilt. Ein deutliches Zeichen, wie die französischen Behörden den Umgang mit den GipfelgegnerInnen plante. Die seit langem angekündigte Großdemo in der Straßburger Innenstadt war zu dieser Zeit noch verboten. Unmittelbar vor dem Protestwochenende sahen sich die OrganisatorInnen der Demo schließlich gezwungen, sich auf den eigentlich unhaltbaren Vorschlag der Behörde einzulassen, die Demo auf einer abseits der Innenstadt gelegenen Insel auf dem Rhein stattfinden zu lassen!
Noch weiter abgeschlagen war das Protestcamp, in dem sich bereits in den Tagen vor dem Gipfel mehrere tausend Menschen sammelten. Die Stimmung auf dem in einem dörflichen Vorort gelegenen Camp war ziemlich geladen und krawallorientiert. Dementsprechend kam es abends zu regelmäßigen Scharmützeln mit den französischen Bullen, die fleißig Tränengas und Schockgranaten verschossen, dabei jedoch niemals aufs Camp stürmten und dieses auch nicht umstellten.
Policestate goes Baden-Baden
Für den 3.April wurde zu einer Blockade und zur Demonstration gegen den Willkommensempfang der Staatsoberhäupter in Baden-Baden aufgerufen. Das Großaufgebot deutscher Cops gab sich alle Mühe, jeglichen Protest und Meinungsäußerung zu ersticken. Bereits im Vorfeld hatten Presse und Innenministerium fleißig Terrorhysterie geschürt. Dadurch ließen sich absurdeste Auflagen gegen die AnmelderInnen des Infopunkts und der Demo durchsetzen. Wer glaubt eigentlich ernsthaft, dass Menschen zu einer Demo gehen, bei der Banalitäten wie Hüpfen und Springen verboten sind oder ein Mindestabstand zur allgegenwärtigen Polizei angeordnet ist? Und bei der alle TeilnehmerInnen damit rechnen mussten, dass sie im Anschluss wegen des Außerkraftsetzens des Schengen-Abkommens und den Ausreisesperren gegen GipfelgegnerInnen, nicht auf die Hauptdemo am Folgetag nach Straßburg kommen würden? Von den üblichen Schikanen und Einschüchterungen wie Vorkontrollen, Abfilmereien und drohenden Prügeleinsätzen mal ganz abgesehen. Alles toppte aber das Aufhalten des Lautsprecherwagens in den Vorkontrollen, so dass die Demoleitung gezwungen war, den Lautsprecherwagen der Bullen zu benutzen! Während einige Tage vorher ca. 3000 Menschen auf einer unangemeldeten Demo gegen den NATO-Gipfel in Freiburg auf die Straße gingen, demonstrieren zur Eröffnung des NATO-Gipfels gerade mal 400 Menschen. Wen wundert‘s angesichts dieser Staatspraxis. Police partout – Justice nous part!
Blockadeversuche durchbrechen das Demonstrationsverbot in der City
Früh am Morgen des 4. Aprils begannen dann die Blockaden des Gipfels. Einige hundert Menschen hatten sich bereits in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden in die Stadt aufgemacht. Diese wurde von den Flics allerdings gar nicht abgesperrt, wie es deutsche Bullen sicherlich gemacht hätten. Dafür schossen sie allerdings sofort und unmittelbar mit Tränengaskartuschen auf die sich in Bewegung setzenden Demozüge. Insgesamt drei Demozüge mit insgesamt wohl so ca. 1000 TeilnehmerInnen bewegten sich durch oder in Richtung der in der Innenstadt gelegenen Roten Zone, dem Tagungsort des Gipfels. Während der Zug vom Camp in die Stadt an einem Bahndamm aufgehalten wurde und dort, nach einigen militanten Auseinandersetzungen nur in Kleingruppen in die Innenstadt einsickern konnten, bewegten sich die beiden anderen Blockadezüge relativ entschlossen und flexibel durch den Tränengasnebel und besetzten schließlich eine wichtige Kreuzung auf dem Anfahrtsweg in die Rote Zone. Der Blockadeeffekt, war allerdings eher bescheiden: In der völlig leergefegten Innenstadt war es den tausenden Bullen ein leichtes, den Verkehr entsprechend umzuleiten. Letzten endlich nahmen einfach zu wenige Menschen an den Blockaden teil; das Konzept hätte eigentlich das zehnfache an TeilnehmerInnen gebraucht. Wahrscheinlich kamen so wenige Leute zu den Blockaden, weil ihnen diese nicht so wichtig war, wie die Großdemo. Zumindest scheint der Aufwand, morgens in die Stadt einzusickern, oder das Risiko von der Innenstadt nicht mehr auf die abseits gelegene Demoroute zu kommen, eine zu hohe Schwelle gewesen zu sein. Hinzu scheint ein ausgeprägtes Herdeverhalten zu kommen, indem sich die Mehrzahl der Anwesenden an den Sammelpunkten für die große Masse orientiert, und die hießen in Straßburg Camp und Großdemo. Schade, weil mit mehr Leuten bei den Blockaden sicherlich mehr zu reißen gewesen wäre und außerdem die Blockaden das Demonstrationsrecht in der Innenstadt gegen alle Verbote und Schikanen durchgesetzt hatten.
Rioting on lonesome Island
Die Situation in Straßburg am Samstag war durch den allgemeinen Ausnahmezustand geprägt. Es fuhr kein öffentlicher Nahverkehr, in der Stadt waren kaum BewohnerInnen unterwegs, Kolonnen und Zivilfahrzeuge französischer Bereitschaftsbullen heizten im mörderischen Tempo durch die Straßen und dazwischen versuchten tausende NATO-GegnerInnen vom Camp, vom Bahnhof oder von den Parkplätzen kommend einen Weg zur Auftaktkundgebung zu finden.
Lange bevor alle DemoteilnehmerInnen ihren Weg zum Demoauftakt gefunden hatten, begannen dort die Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und den unablässig Tränengas in die Demo schießenden Flics. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurde von Militanten gezielt die alte Grenzstation und das IBIS-Hotel angegriffen, beide Gebäude schließlich angesteckt und weitere Geschäfte und Einrichtungen zertrümmert.
Dadurch entstand eine groteske Situation: Während noch Minuten vorher darüber spekuliert worden war, ob und wo die Demonstration versuchen sollte, einen Ausbruch aus der abgelegenen und unverschämten Demoroute zu wagen, machten die Bullen mit Beginn der ersten Auseinandersetzungen am Kundgebungsort alle Zugänge zur Demo dicht. Zusammenhänge, die gerade noch überlegt hatten, ob sie wirklich freiwillig auf die als „Mäusefalle“ wahrgenommene Demostrecke gehen sollten oder nicht, standen vor Kordons von Bullen, die niemanden mehr auf die Route ließen. 6000 NATO-GegnerInnen die mit einem Sonderzug angereist waren, standen auf der Europabrücke zwischen Kehl und Straßburg und wurden nicht herübergelassen.
Die Demo selbst konnte unter den ständigen Angriffen der Bullen, dem Gas und dem Nebel, sowie dem ausufernden Krawall nicht mehr durchgeführt werden. Wer sich nicht an den Auseinandersetzungen mit den Bullen beteiligte, versuchte frühzeitig einen Weg von der abgesperrten Insel zu finden. Am Ende dürfte der allergrößte Teil der ca. zehntausend DemoteilnehmerInnen im Laufe der Stunden über einen nicht abgesperrten Schrebergarten zurück diffundiert sein.
Kein Krawall ist auch keine Lösung
Auch wer nicht dabei war, kennt die Bilder: Turmhohe Rauchsäulen aus dem Hotel und der Zollstation; verschreckte AnwohnerInnen, die froh sind, dass die Feuerwehr im letzten Moment das Übergreifen der Flammen auf ihre Wohnhäuser verhindert hat; zertrümmerte Scheiben von Bushaltestellen und einer örtlichen Apotheke als Ausdruck einer unorganisierten und unvermittelbaren Militanz, die zudem noch das Demonstrationsrecht friedlicher AktivistInnen zunichte gemacht hat? Ja und Nein. Erst mal bleibt festzuhalten, das die Randale auch als Antwort auf die umfassenden Maßnahmen des deutschen und des französischen Staates gesehen werden muss, die darauf abzielten, den Protest gegen die NATO zu verdrängen, zu kriminalisieren und unsichtbar zu machen: Ausreisesperren, Demoverbote, allgegenwärtige Polizeigewalt und zu guter Letzt die mehr als unverschämte Abschiebung der Demo auf eine Insel im Hafengebiet. Bei aller Kritik im Einzelnen an militantem Agieren auf Großdemos bzw. dem Agieren einzelner Militanter: Die Alternative zum Krawall wäre das unterwürfige Herumlatschen in einem abgelegenen Hafengebiet gewesen.
Allerdings dürfen die beeindruckenden Bilder vom Krawall nicht darüber hinwegtäuschen, dass Straßburg für die internationale Anti-Summit-Bewegung unterm Strich eine Niederlage gewesen ist – insbesondere für die Militanten. Wir verstehen den Krawall im Hafen als letzte, defensive Antwort auf die Bullenmaßnahmen. Es wären aber auch andere offensivere (militante) Optionen denkbar gewesen, die vor einigen Jahren ja auch noch umgesetzt wurden. Zum einen hätte sich natürlich seitens der Demoorganisatoren bei allem Druck niemals auf diese demokratiefeindliche Route eingelassen werden dürfen. Die Option einen Durchbruchsversuch zu wagen, wurde ja bereits angesprochen, genauso wie die verpasste Chance, bereits am Morgen zu tausenden in die Innenstadt und in die Nähe der Roten Zone zu gelangen und dort das gesamte Aktionsrepertoire der Bewegung auszuspielen. Alle diese denkbaren Optionen versagten allerdings bereits im Ansatz. Einerseits sicherlich weil sich der europäische Bullenapparat im Kontrollieren sozialer Bewegungen auf der Straße zunehmend perfektioniert und im Zusammenspiel Straßburg-Baden-Baden sicherlich neue Maßstäbe gesetzt wurde. Zum anderen aber, und das ist der Punkt, an dem wir etwas ändern könnten, ist es Ausdruck der Schwäche der Bewegung. Immer weniger gelingt es uns, konstruktive Ansätze zu denken und umzusetzen, u.a. weil wir aus der Fixiertheit auf Großdemonstrationen und Straßenschlachtenvisionen nicht herauskommen. Die unkonventionellen Konzepte und deren Umsetzung auf der Straße, die gerade auf den internationalen Gipfeln von Prag bis nach Heilligendamm immer wieder für deren Attraktivität gesorgt haben, waren in Straßburg auf jeden Fall nicht zu finden.