2009-05-08
Von Pietro Orsatti und Angelo Venti aus L' Aquila
8/5/2009
Seit gestern wurde die Verteilung von Lebensmitteln für die Autogestiti*, Bürger, die sich dafür entschieden haben, sich autonom** zu organisieren, um dem Zivilschutz nicht zur Last zu fallen*** unterbrochen. "Wir haben in diesem Monat alle Versprechen, die wir den Menschen in den Zelten direkt in die Augen schauend gegeben haben gehalten, und wir sind entschlossen, dies auch in Zukunft zu tun", so hat Guido Bertolaso auf der hochernsten Sitzung des Regionalrates der Abruzzen gesprochen. Das Klima rund um den Zivilschutz und die Aktionsweisen der Regierung ist aber nicht mehr das selbe, wie inden ersten Tagen nach dem Beben; vor zwei Tagen wurde er bei einer Sitzung des aquilanischen Gemeinderates und dann selbst in "freundlicher Umgebung", nämlich im Regionalratssitz in die Enge getrieben.
Die Schwierigkeiten werden immer offensichtlicher, und sie schlagen sich auch in einigen wahrscheinlichen Teiländerungen des Eildekrets**** nieder. Der Ministerrat hat nämlich den Ministerpräsidenten Berlusconi aufgetragen, drei Änderungsklauseln zum Dekret über das Erdbeben in den Abruzzen vorzustellen. Die erste wird die Zuschüsse für den Wiedraufbau von Eigenheimen, die zweite die Befugnisse des Bürgermeisters und des Präsidenten der Abruzzen bei der Planung des Wiederaufbaus der Altstadt von L' Aquila und die dritte wird schließlich die Rolle von Fintecna S.p.A. und die Voraussetzungen, unter denen die Firma berufen sein wird, tätig zu werden, betreffen. Nicht genug, besonders nicht für Frau Pezzopane, die Präsidentin der Provinizialverwaltung, die wegen der immer offensichtlicheren Teilung der Erdbebenopfer in zwei Klassen weiter dem Zivilschutz und der Exekutive die Stirn bietet. "Es muss vermieden werden, dass sich die Situation einstellt, dass es Erdbebenopfer erster und zweiter Klasse gibt", hat Pezzopane erklärt "Das Dekret gehört geändert und verbessert, es sind eine totale Deckung***** und eine andere Rolle der örtlichen Behörden erforderlich". Tatsächlich stellt das Neue am Modell (des Dektrets, d.Ü.) einen einzigartigen Präzedenzfall in der Geschichte der Republik: ertsmals wird nämlich keine 100 prozentige Hilfe für Menschen, die praktisch alles verloren haben vorgesehen - vielmehr ist lediglich eine Teildeckung geplant, die nicht einmal vollständig als Verlustzuschuss abgesichert ist.
Das Unbehagen hat sich natürlich auch in die Camps verlagert, angefangen bei denen in Onna, Fossa und Paganica. Es ist zu noch nicht organisierten Protesten gekommen, die jedoch das Zeugnis eines immer weiter verbreiteten Unbehagens sind, das nicht bloß von den Zweideutigkeiten des von der Regierung erlassenen Gesetzesdekrets her rühren, sondern auch durch das Klima der engmaschigen Militarisierung bedingt sind, der man das gesamte Territorium****** unterworfen hat, um gar nicht von den zahlreichen Problemen zu sprechen, die durch die exzessive Bürokratisierung der Befehlsketten erzeugt werden. Ein Klima, das sich gestern verschärft hat, als die Verteilung von Lebensmitteln an die "auto gestiti" jäh unterbrochen wurde.
Volle Lagerstätten und inexistente Verteilung. Auf die Müllhalde verbrachte Vorräte - wie uns einige wegen der Verschwendung empörte Freiwillige des Zivilschutzes erzählt haben - während Familien und kleine communities*******, die es vorgezogen haben, sich in Zeltsiedlungen und in Hausgärten oder in der Nähe von Kleinstdörfern selbst zu verwalten, sind gezwungen, sich auf den Weg zu machen, um in den seltenen gewerblichen Lebensmittelläden, die in der Provinz wiederöffnet haben, Lebensmittel zu suchen. Die auto-gestiti sind mehrere Tausend - nicht bloß einige Dutzend und es scheint so, als seien sie innerhalb von wenigen stunden zu "Schmarotzern" geworden. Viele von ihnen haben gerade deshalb gewählt, sich autonom zu bewegen, weil sie nicht auf die Camps lasten wollen und sie werden nun, wie es scheint, für ihre Entscheidung bestraft. "Nur Bekleidung. Die Verteilung von Lebensmitteln ist unterbrochen. Wieso? Auf hohem Befehl des Zivilschutzes". Ein seltsames Solidaritätsmodell, das sich je nach Schwankung des politischen Klimas zu ändern scheint, das man in diesen Stunden Umsetzung finden sieht. Viele fragen sich, ob das Erscheinen von Kolonnen von Aufstandsbekämpungsfahrzeugen der Ordnungskräfte ein Zeichen dafür sein könnten, dass man mit Problemen der öffentlichen Ordnung im schon durch das Bewben getroffenen Gebiet.
A.d.Ü.:
* "Die Selbstverwalteten", aber auch: "Die Selbstbestimmten" - nicht einerlei - vielmehr, beides in einem...
** Hier steht "autonom" nicht für "linksradikal", sondern für "auf autonome", also selbständige und selbst organisierte, Weise agierend
*** Der "Zivilschutz" sollte an sich ja für Rettung und Katastrophenschutz stehen. Die Rolle, die er in Italien immer öfter spielt, entwickelt sich aber auf sehr bedenkliche Weise, was sich in den Abruzzen gerade auf erschreckende Weise bestätigt. (siehe hierzu: http://gipfelsoli.org/Home/L_Aquila_2009/6968.html). Freiwillige Helfer haben offenbart, dass sie volle Lagerräume, keinerlei Auslieferung und Vorräte, die auf der Müllhalde landen gesehen haben.
**** Immer vehementer umstrittenes Eildekret über die Gestaltung des Wiedraufbaus des Katastrophengebietes
***** Die Kraft des Dekrets vorgesehen Mittel für den Wiederaufbau sind nicht vorhanden: alles, was die Regierung laut Dekret hinsichtlich der Beschaffung von Deckungskapital aufbietet, sind "Vorhaben", die so vordergründig wie unverbindlich auf Gewinnspielausschüttungen und ähnlichem abstellen. Nebenbei bemerkt: niemand weiß, wie hoch die Spendengelder von Privatpersonen sind, die sehr rasch auf ein "Einheitskonto" gesteuert wurden sind und wer sie wofür verwaltet.
****** "Territorio" wird gängigerweise, aber unkritisch, mit "Gebiet" oder "Land" überetzt. Weil diese Lösung die wichtige mit dem Gedanken der sozialen Selbstbestimmung in einem angestammten und sedimentierte Lebensraum verknüpfte Bedutungskomponente völlig ausblendet, wird hier der Begriff "Territorium" vorgezogen.
******* In der Region sind sehr viele, sehr alte Kleinstdörfer verstreut