2009-05-07 

Fight fire with fire

Die NATO ist von Beginn an ein Kriegsbündnis. War es zunächst auf Kalten Krieg, innere Aufstandsbekämpfung und Aufrüstung ausgerichtet, schreibt es sich mehr und mehr die "globale Sicherheit" auf die Fahnen. Dabei meint sie jedoch die Sicherung kapitalistischer Wertesysteme und deren Ressourcen. Krieg und Militär ist ihr Durchsetzungsmittel, die NATO und ihre Militär- und Sicherheitsapparate gehen dabei über Leichen. Sowohl Kriegsführung als auch die Sicherung der Grenzen vor Migration und eine sich ausweitende Vernetzung internationaler Polizei- und Militärstrategien sind ihre neuen Aufgabengebiete.

Auch in Strasbourg wurde das komplette Sicherheitsprogramm aufgefahren (30.000 PolizistInnen, Militär, Aufhebung des Schengen-Abkommens, Ausreiseverbote, Anquatschversuche, Bildung von Sicherheitszonen und damit verbundene Einschränkung der Bewegungsfreiheit der lokalen Bevölkerung...), um jeglichen Protest in der Nähe der NATO-Tagung zu unterbinden.

Bild: Strasbourg

Aktionen in der Innenstadt waren kaum möglich. Sobald sich größere Menschenmengen versammelten, wurden diese massiven Tränengas- und Knüppelangriffen der Polizei, Gummischrot, Schockgranaten und plastikummantelten Stahlgeschossen ausgesetzt. Trotzdem gab es unter den AktivistInnen eine handlungsbereite und offensive Haltung, die sich in verschiedensten Formen ausdrückte: Auf Repression wurde geantwortet, zb. nachdem die Clowns in der Nähe der Camps angegriffen worden waren; Blockaderäumungen führten nicht zu Einschüchterung sondern zu neuen Blockaden an anderer Stelle; Angriffsziele wurden selbstbestimmt ausgesucht (Militäreinrichtung, Polizeiabsperrungen, Grenzposten etc). Nicht jede Bullenmassnahme konnte durchgeführt werden. Ihre Versuche, dem Camp näher zu kommen wurden erfolgreich zurückgeschlagen. Viele Barrikaden wurden errichtet, um Zufahrtswege der Bullen dichtzumachen. Auch mindestens eine Brückenabsperrung auf dem Weg zur Demo konnte freigekämpft werden.
Es gab viele erfolgreiche Aktionen, sei es von Kleingruppen oder aus einer Demo heraus: Überwachungskameras und Banken wurden gesmasht, Polizeihelikopter mit Leuchtspur beschossen, Autos von Deligierten wurden beschädigt, NATO-Werbetafeln an Bushaltestellen wurden zerstört. Auch andere Werbetafeln wurden attackiert - dies geschah vor dem Hintergrund der in Frankreich weiter verbreiteten Anti-Werbung-Kampagne.
Weitere gute und für uns ungewöhnliche Dinge waren die Interaktion der örtlichen Jugendlichen, teils aktiv, teils durch Ausforschung der Fluchtwege und die Unterstützung durch die Bevölkerung zB. durch das Auffüllen von Wasserflaschen.

Viele Aktionen machten uns zu einer unberechenbaren Masse. Es war für uns in Frankreich eine ungewöhnlich offensive Praxis und unterschiedlichste Aktionsformen erfahrbar, die sehr inspirierend waren. Dies lässt uns mit einem grinsenden Blick in die Zukunft schweifen. Aktionen gegen Symbole der herrschenden Ordnung, seien es Militäreinrichtungen und -Jeeps, Grenzposten, NATO-Werbeschilder, das IBIS-Hotel (als kräftig mitverdienende Kette im Abschiebegeschäft), sei es ein Bankomat oder auch Angriffe auf die Polizei, all dies sind und waren seit je her Eckpfeiler linker Politik, die sich nicht nur aufs Zuschauen besann. Sie sind symbolhafter Natur und Zeichen unserer (Gegen-)Macht, uns unser Leben zurückzuerobern, etwas gegen unsere Ohnmacht als StatistInnen zu setzen. Sie sind Zeichen, die unsere Unversöhnlichkeit, unsere Unvereinnahmbarkeit ausdrücken sollen; dass wir ihr Spiel niemals akzeptieren, niemals mitspielen werden. Sie sind aber auch oft Hinweise auf ihre konkreten Machenschaften, ein Öffentlich-machen ihrer Schweinereien und der Strukturen dahinter. Eine Symbolik, die natürlich nur dann greift, wenn das Ganze vermittelbar ist.

Neben diesen symbolhaften Angriffen ist natürlich ganz konkret auch ihr Tagesgeschäft angreifend störbar. Wir können Sand in ihren Getrieben sein, auch wenn aufgrund der abgeschiedenen Lage der Demo in Strasbourg dort die Symbolhaftigkeit im Vordergrund unserer Aktionen stand.
Ohne runterzuspielen, dass spontane Wut über die Angriffe der Polizei oder die Sperrung der Europabrücke für die Demo vorhanden war: viele Aktionen waren zielgerichtet und gingen von organisierten Gruppen aus. Angriffe auf Militäreinrichtungen in der Nähe des Camps oder ein brennender Grenzposten sind jeder/m sofort verständlich und kluge Beispiele für militante Interventionen.

Auch das IBIs-Hotel ist ein legitimes Ziel, wobei uns wichtig ist zu vermitteln, wofür es steht: Dass der Mutterkonzern ACCOR im Abschiebegschäft mitspielt, der Front National Räume zur Verfügung stellt und überwiegend migrantische Putz-ArbeiterInnen zu besonders beschissenen Bedingungen arbeiten läßt, ist zwar einigen durch Kampagnen gegen den ACCOR-Konzern noch im Kopf, aber die Masse konnte erstmal nix mit dem Hotel als Angriffsziel anfangen. Als Bullenunterkunft - sollte das denn stimmen - gibt's da natürlich auch keine Zweifel. Die Frage, ob das Hotel nach der Entglasung auch noch angezündet werden musste, ist eine Frage, die wir nach langem Abwägen verneinen, weil unserer Meinung nach nicht sicher auszuschließen war, dass Menschenleben in Gefahr waren (angrenzendes Wohnhaus, Einzelne im Hotel): Klar, ein leeres brennendes Hotel dieser Kette ist ein flammendes (Rauch-)Zeichen, das selbst die Kriegstreiber in ihren Suiten nicht ignorieren können. Uns bereitet generell die Frage nach der Sicherheit Unbeteiligter Kopfschmerzen. Nur wenn absolut sichergestellt ist, dass durch Aktionen keine Unbeteiligten zu Schaden kommen, ist eine Aktion durchzuführen. Dies muss Maxime unseres Handelns bleiben*.

Andere Aktionen wie die Angriffe auf die Bullen begrüßen wir auch ausdrücklich und finden sie politisch sinnvoll**. In einer Situation, in der die Demo in ein ärmeres und auch teilweise ziemlich menschenleeres Gebiet abgeschoben wird, muss Ziel sein, durch Ausbrüche in die Innenstadt und/oder in andere Zonen zu gelangen. Das wird mit Betteln nicht funktionieren.

Wir halten es für einen strategischen Fehler, dass sich das Bündnis ICC (International Commitee for Coordination) darauf eingelassen hat, sich auf der Insel zu versammeln. Es hätte klar sein müssen, dass sich die Demo auf einer Insel, die durch drei Brücken leicht abzuschirmen ist, in eine Falle begibt. Es passt zur polizeilichen Vorgehensweise, möglichst keinen Protest auf die Straße zu lassen, dass sie sie Demo in einen ärmeren Stadtteil abdrängte, in der Hoffnung, dass gewaltförmige Proteste allein dort ihren Ausdruck finden.
Zudem verurteilen wir Aufrufe zur Denunziation wie zB. aus den Reihen des ICC, die dazu auffordern, Film- und Fotomaterial einzusenden, weil sie davon ausgehen, dass die Brandlegungen Bullenprovo waren (vgl. das Interview mit Otmar Steinbicker (ICC): "Wir brauchen Zeugen, die das bestätigen können, jw vom 11./12./13. April 2009).

Im Gegensatz dazu sind wir vom Grundsatz her solidarisch mit den in Strasbourg gelaufenen Aktionen, die auf nicht vereinnehmbare Weise die Wut auf diese Verhältnisse ausdrücken!
In diesem Sinne: Für mehr zielgerichtete Militanz, für mehr Diskussion!

NATO-GegnerInnen on the road
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*In Bezug auf die ausgebrannte Apotheke sind wir uns in der Bewertung nicht einig geworden; während einige vertreten, dass in einer solchen Situation (NATO-Tagung in der Stadt, massive Einschränkungen des Demonstrationsrechts etc.) und angesichts der Dynamik auch eine Apotheke ein gerechtfertigtes Angriffsziel darstellt, fanden andere das Anzünden einer medizinischen Versorgungseinrichtung nicht legitim.

** Kritisch anzumerken bleibt allerdings, dass an zumindest einer Stelle durch Steinwürfe aus eigenen Reihen auf Polizeifahrzeuge mitten in der Demo mehrere DemonstrationsteilnehmerInnen, die keinen Platz hatten auszuweichen, verletzt worden sind.