2009-05-06 

Rote Hilfe: Erneut NATO-Gegner in Straßburg zu Haftstrafe verurteilt!

Göttingen, den 06.05.2009

Am 5. Mai 2009 fanden in Straßburg weitere Prozesse gegen zum Teil schon seit den Anti-NATO-Protesten Anfang April in U-Haft sitzende Aktivisten statt. Während vier französische Gipfelgegner mit einer Bewährungsstrafe rechnen müssen bzw. wegen Formfehlern freigesprochen wurden, wurde gegen einen deutschen Demonstrationsteilnehmer eine sechsmonatige Haftstrafe verhängt.

Gegen drei Linke aus Tours lautete der Vorwurf auf "Beschaffung brennbaren Materials für den Bau von Brandsätzen", weil sie vor einem Supermarkt mit diversen Flaschen festgenommen worden waren. Nachdem sie die Schnellverfahren direkt nach den Protesten abgelehnt hatten und seither in Untersuchungshaft waren, brachte der gestrige Prozess eine Kehrtwende:

Die drei Männer wurden aufgrund formaler Verfahrensfehler freigesprochen und umgehend aus der Haft entlassen. Dennoch müssen sie mit weiteren Repressionsmaßnahmen rechnen.

Ein französischer Genosse, der zwischenzeitlich freigelassen worden und gestern extra zur Gerichtsverhandlung angereist war, war am Rand der Proteste mit einem Taschenmesser kontrolliert worden und stand gestern wegen des "Besitzes einer Waffe" vor Gericht. Wegen dieses 7 cm langen "Schweizer Messers" fordert die französische Staatsanwaltschaft absurderweise drei Monate Haft auf Bewährung; die Urteilsverkündung findet aber erst am 25. Juni 2009 statt.

Mit einem skandalös harten Urteil endete jedoch das Verfahren gegen Matthias aus Berlin, dem Steinwürfe aus einer Menschenmenge ("violence aggravée"), "rébellion" und Widerstand bei der Festnahme vorgeworfen wurden. Die Anklage beruhte auf offensichtlich widersprüchlichen Aussagen der beteiligten Polizeibeamten, die behaupteten, den NATO-Gegner eine halbe Stunde vor sein er Festnahme dabei beobachtet zu haben, wie er vermummt aus einer etwa 700 Menschen umfassenden Menge heraus Steine in ihre Richtung warf. Während des Prozesses versuchte der Richter mehrfach, den Angeklagten durch aggressive Einwürfe zu provozieren und lehnte die von der Verteidigung beantragte Ladung von EntlastungszeugInnen mit fadenscheinigen Gründen kurzfristig ab. Obwohl selbst der verletzte Polizist zugab, bei der brutalen Festnahme des Aktivisten ausgerutscht zu sein, wird Matthias auch die gebrochene Hand des Beamten angelastet. Zu der Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung kommen noch ein zweijähriges Einreiseverbot nach Frankreich, eine Geldstrafe wegen Beleidigung und die Kosten für eine unabhängige medizinische Untersuchung des verletzten Polizisten, wobei dieser eventuell noch weitere Schadensersatzansprüche geltend macht.

Dieses harte Urteil reiht sich ein in die massive juristische Repression gegen die Anti-NATO-Proteste, die bisher hauptsächlich deutsche Demonstranten getroffen hat: so wurden in den Schnellverfahren am 6. April zwei Männer aus Berlin und Dresden ebenfalls zu sechsmonatigen Haftstrafen verurteilt und warten im Straßburger Knast auf die nächste Instanz.
Ein deutscher und vier französische Gipfelgegner erhielten in den Schnellverfahren drei- bzw. sechsmonatige Bewährungsstrafen. Ein Franzose soll wegen schwerer Körperverletzung für zwölf Monate in Haft bleiben. Mit dem Vorwurf der Brandstiftung sitzen außerdem noch zwei NATO-Gegner aus Rostock in Untersuchungshaft, deren Prozesstermine noch nicht feststehen, sowie ein Straßburger, der am 12. Mai wegen "Aufrufs zur Gewalt" vor Gericht soll.

Für die kommenden Monate stehen noch weitere Verfahren gegen DemonstrationsteilnehmerInnen an, die nach den Protesten wieder freigelassen worden waren.
Die Rote Hilfe e. V. fordert die sofortige Freilassung aller inhaftierten Aktivisten und die Einstellung aller noch laufenden Verfahren! Wir werden der staatlichen Repression unsere stärkste Waffe entgegensetzen: die Solidarität.

Unterstützt die politischen Gefangenen und alle Angeklagten durch Öffentlichkeitsarbeit, Spenden und Soli-Aktionen!

Mathias Krause für den Bundesvorstand
ROTE HILFE e. V. | Bundesvorstand
Net: www.rote-hilfe.de