2009-04-27 

Aus der Niederlage lernen! - Ein Vorschlag nach den enttäuschenden Protesten gegen den NATO-Gipfel

Die Erfahrungen aus den Protesten gegen den NATO-Gipfel zwingen die Bewegung, grundsätzlich über die aktuellen Protestformen nachzudenken. Waren die Protesttage nicht mehr als ein Schlag ins Wasser? Wenn ja, warum war dies so? Und welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?

Proteste waren enttäuschend

Zu den Protesten in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg kamen weit weniger Menschen als angenommen. Der Menge nach konnten die Erwartungen daher nicht erfüllt werden – und das trotz Weltwirtschaftskrise und breite Ablehnung der kriegerischen Einsätze in Afghanistan und anderswo. Aber auch qualitiativ fielen die Proteste weit hinter das Angestrebte zurück: Der Gipfel konnte zu keinem Zeitpunkt gestört werden, größere Menschenansammlungen im Zentrum von Strasbourg und Kehl waren nahezu unmöglich und es gelang noch nicht einmal, bei der Großdemonstration am Samstag gemeinsam zu protestieren.

Bild: Strasbourg

Insofern ist jede Schönfärbung der Ereignisse nichts anderes als eine destruktive Umkehr des Erlebten. Aber in der Erkenntnis einer Niederlage wohnt immer eine Chance inne. Dazu muss jedoch erkannt werden, warum verloren wurde.

Weniger hilfreich ist das Gerede um rufschädigende Gewalt. Wie bereits lange vor dem 4.4. zu erwarten war, beherrscht die Gewaltfrage alle Diskussionen über die Art und Weise der Proteste. Dabei wird wieder ordnungsgemäß fleißig gestritten, diskutiert und distanziert. Aber was heißt denn eigentlich Gewalt? Das tollste am Gewaltmonopol des Staates ist die Hegemonie über den Begriff. Dabei erscheint eine abgeschossene Rakete als beinahe identisch mit einem geworfenen Farbbeutel oder dem bloßen Willen, an bestimmten Orten demonstrieren zu wollen. Alles ist Gewalt.

Es bedarf keiner weiteren Diskussion, dass sich unter den Menschen bei den Blockaden und insbesondere bei der Demo wie immer einige Provokateure und unkontrolliert Wütende befanden. Besonders letztere Gruppe ist nicht die Ursache des Problems, sondern die Auswirkung einer diesmal glänzend funktionierenden Taktik der Staatsmacht. Erst an diesem Punkt angelangt, kann die Diskussion wieder ergiebig werden.

Inszenierte Eskalation

Wahrscheinlich sahen wir in Strasbourg – und abgewandelt in Kehl – erstmals deutlich die neue Strategie der Herrschenden. Der demokratische und rechtsstaatliche Schein wird gewahrt: Alle hatten „theoretisch“ die Möglichkeit, sich gegen Ausreiseverbote juristisch zur Wehr zu setzen, nach langem Hin und Her gibt es ein Camp, Demonstrationen dürfen – irgendwo – stattfinden. Trotz diesen letzten demokratischen Restbeständen wird eifrig provoziert und kriminalisiert.

Es wird zwar immer noch zwischen guten und bösen Demonstranten unterschieden, aber mit Tränengas werden nun beide Gruppen beschossen – und es werden nicht nur „Mitglieder des Schwarzen Blocks“ an der Teilnahme von Aktionen gehindert, sondern einfach alle. Die Herrschenden verstehen es allmählich besser, die Oberfläche des Rechtsstaats zu polieren, während sie seinen Inhalt beseitigen. Im zugestandenen Camp befanden sich Friedensbewegte, Autonome und Gewerkschaftler gleichermaßen in der Mausefalle. Ein rein und raus in größeren Gruppen war beinahe unmöglich. Die örtlichen Gegebenheiten und die Maschinerie der Staatsgewalt erwiesen sich als optimal, um den Raum ständig zu beobachten und einzukesseln. Schlimmer wurde es bei der Großdemo und der genehmigten Route. Nach wenigen strategischen Schachzügen, ein Abschotten hier, ein Einkesseln da, schnappte die Bärenfalle zu. Schon vor der Demo war den verantwortlichen Polizeikräften klar, dass die Strasbourger-Demo nicht auf den Ostermarsch treffen sollte, völlig absurd war die Hoffnung, gemeinsam auch nur in die Nähe des Stadtzentrums zu kommen.

Handlungsperspektive: Dezentrale Aktionen

Die Lehre aus dem NATO-Gipfel muss daher heißen: umdenken! Wollen wir zukünftig nicht mehr in durchschaubare Fallen tappen, müssen wir Konsequenzen ziehen. Das Hoffen auf den Rechtsstaat und die Meinungsfreiheit ist nicht nur naiv, sondern führt zur Lähmung. Wir sollten uns künftig länger und durchdachter überlegen, inwieweit wir uns auf vermeintliche rechtsstaatliche Institutionen und „Kompromisse“ einlassen.

Auch klar ist, dass die Mobilisierung bei Protesten, die sich nicht nur gegen einen direkten Teilaspekt richten, sondern das Bestehende grundsätzlich infrage stellen, nur vergleichsweise wenig Menschen auf die Straße treibt. So kann eine direkte Konfrontation mit dem Gegner nur schwerlich von Erfolg gekrönt sein. Daher sollte mittelfristig vermehrt auf dezentrale Aktionen – fern vom eigentlichen Gipfel-Treffen – gesetzt werden.

Wie schön wäre es gewesen, wenn sich am 4.4. die Allianz der Unwilligen unangemeldet auf den Marktplätzen vieler Städte versammelt hätten? Ob nun eine Fahrrad-Besetzung des verhassten Verkehrs-Kreisels in der Kleinstadt oder ein Impro-Theater beim wöchentlichen Dorfmarkt – diese Überaschungsangriffe – vielleicht auch ohne schwarzen Pulli – wären vermutlich effektiver gewesen.

Diese Strategie bringt zudem fern von der Lösung der aufgetauchten Probleme Vorteile mit sich: Die Polizei könnte diese überraschend hervorbrechende kritische Masse viel schwerer abblocken, wer weiß schon, wo diese auftaucht – und der direkte Kontakt zu den Menschen vor Ort wäre vorhanden. Aufmerksamkeit (auch mediale) bringen solche Aktionen obendrein fern von der quantitativen Menge der Teilnehmenden. Gar nicht zu sprechen von den unendlich vielen Möglichkeiten kreativer Abwandlungen:

Dieses Konzept der „Augenblicksguerilla“ verspricht positives Feedback, stärkt die Qualität des Ausdrucks des Widerstands, spart Kräfte und baut das Fundament für kommende Kämpfe.

Dieser Vorschlag stellt also keinen Rückzug dar, kein Zurückweichen, sondern eröffnet neue Perspektiven. Wenn wir das aus den Protesten gegen die NATO mitnehmen, dann könnte die Niederlage heute die Voraussetzung für die Siege morgen sein.