2009-04-05 

Frankfurter Rundschau: Polizei findet Schusswaffen

Straßenschlachten bei Nato-Gipfel

Am Rand des Nato-Gipfels hat es am Samstag erneut schwere Krawalle gegeben. Gipfel-Gegner warfen in Straßburg Steine auf die Sicherheitskräfte. Die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschosse und Blendschockgranten ein.

Straßburg/Kehl. Sie wollten für den Frieden demonstrieren, doch dann eskaliert die Gewalt. Wo am Samstagvormittag noch Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy beim Empfang der Staats- und Regierungschefs der 27 Nato-Länder auf der Rheinbrücke freundlich in die Kameras lächelt, herrscht wenige Stunden später Chaos.

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Staatschef Nicolas Sarkozy Journalisten sichtlich zufrieden die Ergebnisse des Nato-Gipfels erörtern, kämpfen einige Kilometer vom Straßburger Pressezentrum entfernt Feuerwehrleute gegen Flammen an.

Vermummte Nato-Gegner setzten ein Hotel in Brand, auch ein Tourismusbüro und eine Apotheke fallen Flammen zum Opfer. Die Randalierer schmeißen Steine und Brandsätze ins alte Zollhaus auf der Straßburger Seite des Flusses. Eine schwarze Rauchwolke zieht hunderte Meter hoch in dem Himmel über der Europabrücke, die als Symbol für die deutsch-französische Freundschaft gilt.

Das Hotel war wegen des Gipfels geschlossen. Die Polizei kann zunächst nicht sagen, ob sich noch Menschen in den Gebäuden befinden. Auch zu möglichen Verletzten gibt es keine Angaben. Polizeihubschrauber kreisen über dem Gebiet nahe der Rheinbrücke nach Kehl in Deutschland.

Der beispiellose Einsatz von mehr als 10.000 Polizisten, Gendarmen und Soldaten in der Europa-Stadt hat nicht verhindern können, dass der Jubiläumsgipfel zum 60-jährigen Bestehen der Nato von massiven Krawallen überschattet wurde.

Zum Abschluss des Treffens eskalieren die Proteste in offene Straßenschlachten. Die französischen Behörden machen dafür rund tausend "besonders gewalttätige" Mitglieder des sogenannten Schwarzen Blocks verantwortlich.

Die zumeist schwarz gekleideten und vermummten Randalierer, darunter viele Deutsche, warfen mit Steinen und Flaschen auf Polizisten. Diese setzten massiv Tränengas, Wasserwerfer und sogenannte Schockgranaten ein, die einen ohrenbetäubenden Lärm verursachen.

Die Polizei in Straßburg stellt zudem bei den Nato-Gegnern zahlreiche Schusswaffen sicher. Die scharfen Waffen seien am Samstagnachmittag bei Randalierern entdeckt worden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus französischen Sicherheitskreisen.

Nach Angaben der Straßburger Präfektur wurden zehn Demonstranten leicht verletzt, der ärztliche Notdienst im "Protest-Camp" der Gipfelgegner sprach von mindestens 20 Verletzten.

Die genehmigte offizielle Abschlusskundgebung verlief am Nachmittag zunächst weitgehend ruhig. Der Protestzug aus rund 10.000 Demonstranten musste sich mit einer Route im Straßburger Hafengelände begnügen - weitab vom Kongresszentrum, wo sich am Vormittag die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten versammelt hatten.

Demonstrationszug gestoppt

Eigentlich wollen sich Zehntausende Nato-Gegner von beiden Seiten des Rheins an diesem Samstagmittag zu einer Großkundgebung gegen das Militärbündnis in Straßburg versammeln. Doch die Großdemonstration gegen Kriege im Irak und Afghanistan wurden wegen der Krawalle zur Nebensache.

Denn friedlich gesinnte Nato-Gegner ziehen sich entsetzt zurück: "Das finde ich echt das Letzte. Das war keine Demonstration", sagt Giti aus dem oberschwäbischen Biberach, die schon am Freitag bei der Demonstration in Baden-Baden teilgenommen hatte. Zwar seien friedliche Demonstranten auch in Straßburg in der Überzahl: "Aber die Vermummten haben uns alles versaut. Heute fällt die Demo aus."

Rund 7000 deutsche Demonstranten, von denen mehrere hundert eigens mit der Bahn aus Nordrhein-Westfalen angereist waren, konnten sich dem Protestzug nicht anschließen. Sie waren im Grenzort Kehl blockiert, weil die Europabrücke entgegen ersten Zusagen der französischen Behörden gesperrt blieb. Daran änderten auch alle Vermittlungsversuche des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele nichts, der mit den übrigen Demonstranten an der Grenze festsaß.

Auch die Fußgängerbrücke Passerelle wurde auf französischer Seite dichtgemacht. Die Polizei hatte den Stopp des vorgezogenen Ostermarsches damit begründet, den Wechsel von gewaltbereiten Demonstranten von Straßburg nach Kehl verhindern zu wollen.

Auch sollte eine Gefährdung der friedlich demonstrierenden Teilnehmer des Protestzuges verhindert werden, hieß es bei der Einsatzleitung. Der Raum unmittelbar vor der Brücke wurde von mehreren Hundert Polizisten abgeriegelt.

"Unterlassen Sie Gewalt gegen Polizeibeamte. Wir setzen sonst ohne weitere Vorwarnung Wasserwerfer und Schlagstöcke ein", ruft ein Polizeibeamter den überwiegend schwarz gekleideten Demonstranten durchs Megafon zu. Wer vermummt auf deutschen Boden komme, werde festgenommen. Die schwarz gekleideten Nato-Gegner bleiben in Lauerstellung, schrecken vor der Auseinandersetzung mit der deutschen Polizei über dem Rhein aber zurück.

In den Augen der französischen Gipfelgastgeber dürfte sich das massive Polizeiaufgebot gelohnt haben. Schließlich hat es verhindert, dass Demonstranten auch nur in die Nähe des Tagungsortes gelangten.

In Sprechchören riefen die Gipfelgegner "Nie wieder Nato, nie wieder Krieg". Auf Transparente hatten sie Sprüche wie "Millionen für den Frieden statt Milliarden für den Krieg" geschrieben.

Das Gelände rund um das Kongresszentrum war hermetisch abgesperrt, selbst für Journalisten mit einer Gipfel-Akkreditierung. Gestört wurden die Beratungen allenfalls vom Lärm der Militärhubschrauber, die pausenlos über Straßburg kreisten.
Weiträumig von hohen Metallbarrieren abgeriegelt war auch der Bereich um das Straßburger Rohan-Schloss und das gotische Münster.

Damenprogramm teilweise gestrichen

So konnten die amerikanische First Lady Michelle Obama und die Frau des französischen Staatschefs, Carla Bruni-Sarkozy, am Mittag ungestört in die Kameras lächeln, bevor sie das "Damenprogramm" mit einem Besuch des Münsters fortsetzten.

Im Damenprogramm der Gipfelteilnehmer musste nach ddp-Informationen der Besuch des Krebsforschungszentrums IRCAD gestrichen werden, weil die Demonstranten zu nahe an das Gebiet herangerückt waren.

Von den Protesten und Krawallen bekamen sie ansonsten vermutlich ebenso wenig mit wie die Staats- und Regierungschefs. Sie konnten Straßburg gleich nach dem Gipfel per Hubschrauber verlassen. Dafür war eigens ein Fußballplatz neben dem Kongresszentrum in einen Flugplatz umfunktioniert worden.

Blumen und Steine

Schon im Morgengrauen zogen Gipfelgegner von ihrem Camp am Stadtrand aus in mehreren Gruppen Richtung Straßburger Innenstadt. Immer wieder werden sie von Sicherheitskräften gestoppt, die den Zugang in die Altstadt mit Tausenden Beamten blockieren.

Gipfelgegner legen die Straßenbahnverbindung und eine Zufahrtsstraße zum Tagungsort der 28 Staats- und Regierungschef des Militärbündnisses lahm. Hunderte Demonstranten legen sich auf die Straßen, blockieren eine Kreuzung, musizieren und tanzen friedlich. Dazu rufen sie "Nein zur Nato". "Es ist schon ein Erfolg, dass wir bis hierher vorgedrungen sind", sagt ein Sprecher der Nato-Gegner bei der Sitzblockade.

Weiter südlich hält die Polizei eine Gruppe von zunächst rund 500 Demonstranten mit Tränengas, Gummigeschossen und Blendschockgranten in Schach. Auch auf der Hauptverkehrsader Richtung Rheinufer und Kehl liefern sich Aktivisten stundenlange Gefechte mit der Polizei.

Zunächst verhalten sie sich friedlich, winken den Beamten zu und strecken Blumen in die Höhen. Die Polizei schießt dennoch ein Gewitter von Tränengasgranaten in die Menge, berichten Augenzeugen. Irgendwann nimmt sich der erste einen Stein und wirft ihn Richtung Polizeisperre.

Die Stimmung eskaliert, immer mehr Steine, Flaschen, Stöcke und Leuchtraketen fliegen auf die Polizisten zu. Gegen Mittag explodieren Molotowcocktails mit ohrenbetäubendem Lärm. In den leer gefegten Straßen Straßburgs liefern sich die Demonstranten Stellungskämpfe mit der Polizei. 28 Menschen werden festgenommen.

Nach Angaben der Nato-Gegner werden einige Demonstranten durch Gummigeschosse verletzt. Die Polizei bestätigt das nicht.

Dann übernehmen vermummte Steinewerfer vollends das Kommando. Auf dem Weg zur Europabrücke lassen sie ihrer Zerstörungswut ungehindert freien Lauf. Sie schmeißen Fensterscheiben ein, zerstören ein Tankstellengebäude, demolieren Reklameschilder und werfen Straßensperren um.

Das nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa vor der Randale geräumte Hotel wurde schwer beschädigt. Angeblich nahmen die Täter an, dass dort Polizisten untergebracht seien. Die Polizei greift hart durch. Mehrere Brandstifter werden festgenommen, die Demonstration löst sich buchstäblich in Rauch auf: Gebäude brennen, militante Krawallmacher werden von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas verjagt. Die friedlichen Kriegsgegner sind längst verschwunden. Der Kampf gegen die angeblichen Kriegstreiber der Nato ist ein trauriger Tag für Pazifisten.

Zwei Nato-Gegner vor Gericht

Schon vor dem neuen Schußwaffen-Fund in Straßburg waren zwei deutsche Nato-Gegner mit Waffen erwischt worden. Sie müssen sich am Montag wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor einem Straßburger Gericht verantworten. Die jungen Männer waren am Donnerstagabend bei Krawallen in Straßburg festgenommen worden. Sie trugen nach Justizangaben eine Eisenstange und eine Harke bei sich. (ddp/dpa/afp)