2009-04-16 

Zelthering = Eisenstange = Waffe?

Wo hört Recht auf, wo fängt Sanktionierung politischer Meinungen an?

Nicolas Sarkozy forderte am Sonntag, den 05.04.2009, in einem Interview des Fernsehsenders TF1, dass die „Randalierer“, die für die Gewalttaten am Rande des NATO-Gipfels in Strasbourg verantwortlich seien, „mit der extremsten Strenge bestraft werden“. Er verteidigte auch die Rolle der Ordungskräfte, die „eine bemerkenswerte Arbeit machten“ und fügte hinzu „Es ist doch unglaubwürdig, für den Frieden in der Welt (mit) Äxten und Eisenstangen demonstrieren zu gehen, und dann Beamten die Schuld zu geben, die nur ihre Arbeit machen.“(1)

Am Tag nach diesen Äußerungen wurde in einem Schnellverfahren ein Mensch wegen Mitführens einer „Eisenstange“, ein anderer wegen Mitführens einer „Axt“ verurteilt.

Bild: HH

Bei der sog. „Eisenstange“ handelte es sich um ein ca. 40cm langes Armierungseisen, das der Verhaftete im Rucksack mit sich trug und laut eigener Aussage als Zelthering verwenden wollte. Verurteilt wurde er zu sechs Monaten Haft.

Hinter der „Axt“ verbirgt sich ein kleines Küchenbeil aus der Campingausrüstung einer Fahrradtour. Sein Urteil lautete drei Monate auf Bewährung und fünf Jahre Einreiseverbot nach Frankreich. Ein weiterer Mensch soll ebenfalls ein halbes Jahr im Gefängnis verbringen, da er angeblich einen Stein in der Tasche hatte. Alle drei wurden bereits am Donnerstag Abend festgenommen, was natürlich die Frage aufwirft, inwieweit sie die „Randalierer“ vom Samstag sein können? Verurteilt wurden sie alle ohne Beweisaufnahme. Ist es Zufall, dass die Urteile so haargenau zu den Forderungen Sarkozys am Tag vor den Schnellverfahren passen?

Neben den drei im Schnellverfahren Verurteilten befinden sich im Moment noch fünf weitere Personen im Kontext des NATO-Gipfels in Untersuchungshaft. Bei zweien der drei Franzosen scheint aus der Besorgung von Kocherbrennstoff fürs Camp der geplante Bau von Brandsätzen konstruiert zu werden. Ihre Verfahren stehen noch aus, wie auch die Verfahren zweier weiterer Menschen aus Deutschland, die in Verbindung mit dem Brand der Zollstation am Samstag gebracht werden.

Was ist aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung geworden?

Wurden diese Menschen aufgrund von Taten verurteilt – oder um ein Exempel zu statuieren, um von politischem Protest abzuschrecken?

Es entstehen auch große Fragezeichen zur Seriösität von Journalist_innen, wenn man beispielsweise in der Frankfurter Rundschau vom 04.04.2009 lesen muss: „(…) Die Polizei in Straßburg stellt zudem bei den Nato-Gegnern zahlreiche Schusswaffen sicher. Die scharfen Waffen seien am Samstagnachmittag bei Randalierern entdeckt worden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus französischen Sicherheitskreisen. (…) Schon vor dem neuen Schußwaffen-Fund in Straßburg waren zwei deutsche Nato-Gegner mit Waffen erwischt worden. Sie müssen sich am Montag wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor einem Straßburger Gericht verantworten. Die jungen Männer waren am Donnerstagabend bei Krawallen in Straßburg festgenommen worden. Sie trugen nach Justizangaben eine Eisenstange und eine Harke bei sich. (ddp/dpa/afp)… „(2) Es sind keinerlei Anklagen wegen Schusswaffenbesitzes bekannt. Die Qualität der Recherche wird auch schon daran deutlich, dass aus franz. „hache“ = das Beil nicht nur wie in vielen anderen Artikeln übertreibend eine Axt wird, sondern eine „Harke“.

Offensichtlich werden Informationen von den Medien häufig einfach ungeprüft veröffentlicht und auf diese Weise werden aus Menschen, die ihre Meinung kundtun, waffenschwingende Kriminelle konstruiert.

Wir bemerken jedenfalls die „bemerkenswerte Arbeit“ der Ordnungskräfte, wie auch die der Presse – und werden unseren Unmut darüber bemerkbar machen!

1) Original-Interview mit Sarkozy: http://tf1.lci.fr/infos/jt/0,,4348062,00-nicolas-sarkozy-l-interview-integrale-.html
Zitat in Lepoint: http://www.lepoint.fr/actualites-societe/2009-04-05/strasbourg-sarkozy-prone-une-extreme-severite-pour-les-casseurs/920/0/332367
2) http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/dossiers/nato_gipfel/1710567_Polizei-findet-Schusswaffen-Strassenschlachten-bei-NATO-Gipfel.html