2009-04-11
Mittendrin statt nur dabei
Der Plan:
Der BAK AuF (Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden) der Linksjugend [´solid] hatte im Vorhinein einiges Organisiert. So fuhren am Mittwoch Buse durch ganz Deutschland um die Genossen und Genossinnen einzusammeln.
Vor Ort sollte es innerhalb des Protestcamps ein eigenes Barrio geben und am Samstag wollte mensch gemeinsam in einem Finger eine eigene Blockadezone ansteuern. Die Rückreise war für Sonntag geplant.
Die Anreise:
Da der Bus über Bremen, nicht aber über Oldenburg fuhr, reisten wir bereits am Dienstagabend zu Genossen nach Bremen um dort des frühen Morgens nach Strasbourg aufzubrechen. Der Bus mit dem wir fuhren wurde nicht Kontrolliert, ganz im Gegensatz zu einem anderen [´solid]-Bus der an der Grenze 4 Stunden lang aufgehalten wurde.
Im Camp:
Im Protest-Camp vor Ort sammelten sich alle Verbandsmitglieder in einem eigenen Barrio. Den gesamten Mittwoch über trudelten weitere Genossen und Genossinnen ein. Sowohl von [´solid] als auch von die.linke.SDS und zum Teil auch von der Partei Die LINKE. Das Camp an sich war sehr gut ausgestattet. Zwei VoKü´s sowie mehrere verschiedene Toiletteneinrichtungen und Duschgelegenheiten.
Der erste Tag:
Am Donnerstag wurde über die Camp-Infrastruktur konspirativ eine Demonstration organisiert, die Solidarität mit den Anti-G-20 Protesten zum Ausdruck bringen sollte. An dieser Demo nahmen wir nicht teil, dafür aber Genossen die zum Teil auch aus dem Landesverband Niedersachsen kommen. In der Nähe des Camps wurde am Rande der Demo eine Kaserne zum Teil entglast. Bis nach Strasbourg hinein blieb die Demo von da an aber relativ friedlich. In der Stadt angekommen wurden die Menschen dann aber von französischen Polizeikräften ohne Vorwarnung mit Tränengasgranaten beschossen, wie uns Genossen berichteten. Versuche sich weiter in der Stadt zu halten scheiterten sehr schnell. Es reichte der Polizei aber wohl nicht die Demo zu zerschlagen und die Versammlung aufzulösen. Die Polizeikräfte jagten die zuvor Protestierenden wie die Hasen über Felder und durch Wälder zurück zum Camp. Dabei kamen nach zahlreichen Zeugenaussagen neben Tränengas auch Blendschockgranaten und Gummigeschosse zum Einsatz. Wer die ca. 6 Kilometer zurück zum Camp nicht im Laufschritt schafte musste sich im Wald verstecken oder wurde Festgenommen. Während die Polizeikräfte laut hörbar näher rückten begannen Autonome und Anarchosyndikalisten mit dem Bau von Barrikaden an den Camp-Einfahrten. An einer brennenden Barrikade nur wenige 100 m vom Camp entfernt entbrannte schließlich eine mehrstündige Straßenschlacht. Neben den Blendschockgranaten kam hier zum Leidwesen der Anwohner in erst Linie Tränengas zum Einsatz. Nach mehreren Verhandlungsversuchen sagte die Polizei schließlich zu sich zurückzuziehen. Dies hielt sie aber nicht davon ab bis in die späten Abendstunden den Wald zu durchforsteten um jene zusammen zu knüppeln die sie fanden und diese anschließend Festzunehmen. Die letzten trauten sich erst um 2 Uhr Nachts aus ihren Verstecken. Bei der Treibjagt von Strasbourg bis ins weit außerhalb gelegene Camp blieben insgesamt ca. 270 Aktivisten auf der Strecke und wurden Fest- oder in Gewahrsam genommen.
Der zweite Tag:
Auf Grund der Polizeiaktionen am Vortag und der ca. 270 Gefangenen wurde für den Freitag eine Antirepressionsdemo geplant. Diese wurde allerdings schon wenige Meter nach Verlassen der Camps mit Tränengas beschossen, worauf hin es zu Flaschen- und Steinwürfen kam. Als die Polizeikräfte versuchen die Menschen mit Blendschockgranaten zurück ins Camp zu treiben, wurden die bestehenden Barrikaden am Camp-Eingang ausgebaut und davor neue errichtet. In einer mehrere Stunden andauernden Straßenschlacht kämpften sich die überwiegend aus dem autonomen Spektrum kommenden Teilnehmer der Demonstration ca. 200 Meter weit Richtung Strasbourg. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurden auch deutsche Polizeikräften eingesetzt, die nach Frankreich abgestellt waren. Nach mehreren Stunden zogen sich die Autonomen ins Camp zurück. Die Polizei beschränkte sich darauf mit Hilfe eines deutschen Wasserwerfers die Barrikaden abzulöschen.
Einen Tag vor den Blockaden fanden außerdem mehrere Aktionstrainings statt.
Samstag, der Tag der Blockaden:
Um 4:00 Uhr morgens brach der gelbe Finger, welcher von [´solid] GenossInnen dominiert war, aus dem Camp auf. Nach drei Kilometern straffem Fußmarsch lief unser Finger das erste Mal in einen Hinterhalt der Bullen. Plötzlich machte es vier Mal „Plopp“ und im nächsten Moment gaben die Tränengasgranaten die über uns platzten jeweils ca. 6 kleine Pucks frei, welche durch Verbrennung das CS-Gas frei setzten. Hier rentierte sich zum ersten Mal die Ausgabe der Feinstaubfiltermasken durch die Organisatoren des [´solid] Barrios. Dank guter Vorbereitung und Ausrüstung zog sich der Finger geschlossen und ruhig zurück.
In einer parallel verlaufenden Straße durch ein Wohngebiet versuchen wir es dann erneut. Die Polizisten verlegten rasch ihre Position und beschossen uns am Ende der Straße erneut, dass sie nun CS-Gas mitten in einem Wohngebiet einsetzten kümmerte sie Augenscheinlich nicht. Zügig zog sich der Finger wieder zurück.
Rennend versuchte die Gruppe nun wieder die ursprünglich gewählte Route. Dies bedeutet zwar, dass wir im Laufschritt durch die noch umher wabernden Tränengaswolken des ersten Angriffes mussten, der unbedingte Wille die Blockadezone zu erreichen sowie die Staubfiltermasken ermöglichten aber das vorankommen. Die schwer gepanzerten Polizisten konnten ihre Position nicht rechtzeitig wider zurückverlegen und hatten das Nachsehen.
Allerdings kam der Finger nur 1 km weiter. Dann wurde er das dritte Mal aus dem Hinterhalt heraus mit großen Mengen CS-Gas beschossen. Nun standen die Aktivisten das vierte Mal an diesem Morgen in Tränengaswolken. Erneut zog sich die Gruppe zurück. Augen wurden mithilfe der im [´solid] Barrio verteilten Augenduschen ausgespült und zum Teil zur Neutralisierung mit Kochsalzlösung behandelt.
Eine neue Route wurde gewählt. Bevor der Finger allerdings in den 4 Hinterhalt lief wurden die Polizeikräfte entdeckt. Mit erhobenen Händen näherte sich die Gruppe langsam den Polizisten und Skandierte dabei „We are peaceful, what are you“ Das Ergebnis war Tränengasbeschuss. Das fünfte Mal an diesem Morgen befand sich der Finger in einer CS-Gas Wolke, das vierte Mal wurden wir ohne Vorwarnung beschossen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Finger eine Strecke von über 7 km zurückgelegt und dennoch fehlten weitere 1,5 km bis in die Strasbourger Innenstadt. Ein Durchkommen war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar, geschweige denn ein erreichten der Blockadezone auf direktem Wege. Wir als Oldenburger Bezugsgruppe beschlossen uns abzusetzen um zum Camp zurück zu kehren. Da wir keinerlei Umwege machen mussten war der Rückweg nur 4 km lang.
Das sollte es für diesen Tag natürlich nicht gewesen sein. Zwischen 10 Uhr und 11 Uhr formierte sich beim Camp ein antikapitalistischer Block, welcher sich vom Camp aus zur angemeldeten Kundgebung in der Nähe der Europabrücke begeben wollte. 6 km weit konnte die Demo ohne Probleme durch die Straßen bis nach Strasbourg ziehen. Umso provokanter von der Polizei den Demonstrationszug wenige 100m vor dem Ziel zu stoppen. Die Europabrücke führt von Deutschland über den Rhein nach Frankreich, allerdings nur auf eine Insel welche durch einen Nebenarm des Rheins vom Rest Strasbourgs getrennt ist. Die Brücke die von Strasbourg aus auf die Insel und somit zur angemeldeten Kundgebung führt war von Polizeikräften abgeriegelt worden.
Mehreren tausend Menschen sollte der Zugang zu einer angemeldeten Protestkundgebung verwehrt werden. Ein unglaublicher Vorgang.
Vor der gesperrten Brücke sammelten sich Zusehens mehr Demonstranten. Dort trafen wir auch die GenossInnen wieder, mit denen wir am Morgen gemeinsam losgezogen waren. Auch nach mehreren Aufforderungen machten die Polizeikräfte keine Anstalten die Brücke frei zu geben. Als sich Menschen der Absperrung näherten wurden sie mit Tränengasgranaten beschossen.
Daraufhin formierte sich ein Block aus Autonomen, Anarchsyndikalisten, Radikalgewerkschaftlern und Kommunisten. Gemeinsam versuchten sie die Blockaden der Polizei zu durchbrechen, was zunächst am Ausufernden CS-Gas Einsatz und den hinzukommenden Blendschockgranaten scheiterte. Über Stunden wurden die Polizisten mit Stein- und Flaschenwürfen immer weiter zurückgedrängt. Brennende Barrikaden verhinderten ein erneutes Vorrücken. Schließlich war fast die gesamte Brücke überquert und die Polizisten zogen sich in eine Seitenstraße zurück.
Nach dem die Straßenschlacht abebbte zogen mehrere tausend Demonstranten über die Brücke Richtung Konzertbühne. Die Autonomen begaben sich weiter zur Europabrücke. Eigentlich sollten über diese Brücke Demonstranten vom deutschen Kehl rüber zur Kundgebung nach Frankreich kommen. Die deutsche Polizei hatte die Brücke aber mit 4 (!) Wasserwerfern und mehreren hundert Polizisten abgesperrt. Nach einigen Angriffen gegen die deutschen Polizeikräfte zogen sich die Autonomen aber von der Brücke zurück.
Während wir uns in einem Park nahe der Bühne eine Mittagspause gönnten wurde eine Tankstelle geplündert, das Inventar einer Zollstation zum Barrikadenbau verwendet und das Gebäude im Anschluss angezündet, sowie ein Hotel in Brand gesteckt in dem Polizeikräfte untergebracht waren.
Zwischendurch griff die Polizei mit Tränengas und Blendschockgranaten an und versuchte die Kundgebung bei der Bühne zu erreichen, sie wurde aber wieder zurückgedrängt.
Schließlich konnte sich der geplante Protestzug formieren. Die angemeldete Route führte über eine Brücke im Norden der Insel direkt ins Zentrum Strasbourgs. Die dann tatsächlich genehmigte Route führte hingegen über die Brücke, die am Mittag noch gesperrt war, und bog dann in ein altes Industriegebiet ab. Niemand wollte es sich gefallen lassen seinen Protest gegen die NATO ausschließlich verrottenden Eisenbahnwagons und verfallenden Industriebauten mitzuteilen. So beschritt der bunte Protestzug denn auch ungefragt die ursprünglich gewünschte Route.
Wie entschieden uns trotz des durchaus verlockenden Anblickes des vorbei ziehenden Protestzuges jetzt den Weg zurück ins Camp anzutreten. Dabei mussten wir die genehmigte Demoroute wählen, da alle anderen Straßen durch Absperrgitter, NATO-Draht, Fahrzeuge und Polizeiketten versperrt waren. Da wir wegen der Polizeikräfte nicht von der Straße abweichen konnten verlängerte sich der Heimweg auf geschlagene 9 km. Erst über Waldwege gelangten wir zum Camp zurück.
Der Zeitpunkt an dem wir unseren Heimweg antraten war unbewusst sehr gut gewählt. Relativ kurz nach dem wir die Insel verlassen hatten, wurde die Brücke wieder gesperrt. Die andere Brücke, welche vom Norden der Insel ins Zentrum Strasbourgs führte, war den ganzen Tag abgeriegelt. Bereits nach wenigen Minuten Fußmarsch erreichte der Demonstrationszug, an dem wir nicht mehr Teil nahmen, die gesperrte Brücke welche ins Zentrum führte. Zu Verhandlungen war die Polizei nicht bereit und nach dem erste Gegenstände geflogen waren wurden Wasserwerfer eingesetzt.
Die Lage der auf der Insel verbliebenen Menschen war prekär. Alle Brücken waren von Polizeikräften gesperrt und zur Auflösung der Demonstration wurden nach Wasser auch massiv Tränengas eingesetzt. Erst nach über einer Stunde Treibjagt über die Insel und ausharren in den Gaswolken begann die Polizei die Menschen in Kleingruppen von der Insel zu lassen. Den ganzen Abend lang trafen kleine Gruppen ein die erst jetzt zurück ins Camp gelangt waren.
Die Rückfahrt:
Auf der Rückfahrt wurden wir auf deutscher Seite kontrolliert. Dabei wurden alle unsere Personalausweise eingesammelt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Daten nicht nur abgeglichen, sondern auch gespeichert wurden. Einige wurden herausgezogen, ihr persönliches Gepäck wurde kontrolliert und sie mussten sich einer Leibesvisitation unterziehen. Interessant dabei ist, dass es sich nicht ausschließlich um Personen handelte die in Frankreich Fest- oder in Gewahrsam genommen worden wahren. Neben jenen wurden auch Personen kontrolliert, welche in Antifakreisen aktiv sind. Wieder ein Beleg dafür, wie umfangreiche Listen im Hinterstübchen geführt werden.
Bilanz:
Schlussendlich lässt sich sagen, dass das Blockade-Konzept nur begrenzt funktioniert hat. Zwar konnte der Gipfelablauf um fast 1 Stunde verzögert werden, aber vielen gelang es nicht bis ins Strasbourger Zentrum zu kommen. Ein früheres aufbrechen hätte wohl nur bedingt etwas gebracht, wenn man bedenkt dass die Demo am Freitag nur wenige hundert Meter weit kam.
Zum Scheitern hat maßgeblich beigetragen, dass die Polizei rund um den Gipfel immer wieder ohne Vorwahrung seht große Mengen Tränengas einsetzte. Auch die Blendschockgranaten sind an dieser Stelle zu nennen. Die Druckwelle die von diesen Granaten ausgeht, kann Menschen leicht das Trommelfell Zerreisen. Außerdem gab es unzählige Schnitt- und Platzwunden. Die Granaten selbst splittern zwar wohl nicht, aber Steinchen und Scherben die auf dem Boden liegen verwandeln sich durch die starke Druckwelle in kleine Geschosse und verursachen Schrappnell-Verletzungen.
Wie gesagt, der Gipfel konnte nicht verhindert werden, lediglich um eine Stunden im Ablauf verzögert werden. Trotz der eher geringen Medienaufmerksamkeit auf diesen Aspekt kann die Aktion als Teilerfolg gewertet werden. Sarkozy hatte gesagt, er wolle keinen einzigen Demonstranten sehen. Nun zu spüren bekam er sie in Form der Verzögerungen trotzdem.
Die Ausschreitungen sind sicherlich einer der eher unerfreulichen Aspekte der Gegenaktivitäten. Der exzessive Gebrauch von CS-Gas, ohne Vorwarnung, auch und gerade gegen (bis dahin) friedliche Demonstranten hat aber maßgeblich zur Eskalation beigetragen. Der Einsatz der Blendschockgranaten ist aufs schärfste zu verurteilen. Der Gebrauch solcher Waffen welche so gefährlich sind gegen protestierende Menschen ist ein nicht zu tolerierender Angriff gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Demonstrationsfreiheit. Es muss gesagt werden, dass die Polizei sich die gesamte Woche eskalierend verhalten hat. (Sinnlose) Gewalt gegen Sachen war zu erwarten nach dem die Polizei vorher mit ausufernder Gewalt gegen die Protestierenden vorgegangen war.
Was bleibt? Der Protest von tausenden, ein verzögerter Gipfel, viel Tränengas in unseren Augen und Nasen, Rauchschwaden über Strasbourg. Für unsere Gruppe aber: Keine Festnahmen, keine Verletzten (wenn man von den Folgen von 30 km Fußmarsch am Samstag mal absieht).