2009-04-11 

Stimmen zum NATO-Gipfel: Karin Binder (MdB, Die Linke)

Protest und Gegenveranstaltung zum Nato-Gipfel

Donnerstag und Freitag in Baden-Baden, Samstag in Kehl und zu guter letzt Sonntag noch auf dem Gegengipfel in Straßburg waren für mich 4 Tage kopfschüttelnder Beobachtungen, einer neuen Palette von Erfahrungen und erschreckender Erkenntnisse.

Baden-Baden

Die Polizeipräsenz in Baden-Baden habe ich im ersten Moment belustigt wahrgenommen – nach dem Motto: was glauben denn die, was da kommt?

Im zweiten Moment habe ich mir vorgestellt, wie sich Menschen unter dieser staatlichen Aufsicht fühlen müssen, Bewohner die versuchen ihren Alltag - Familie, Job, Freunde - zwischen den verschiedenen Sicherheitszonen und Polizeisperren zu leben.

Im dritten Moment wurde mir klar, warum sich die Menschen vor Ort kaum an den Protesten beteiligt haben. Die Behörden haben ihnen erfolgreich klargemacht, dass sie geschützt werden müssten und dass das alles ihrer Sicherheit diene.

Nur vor wem mussten sie vermeintlich geschützt werden? Vor den Friedensdemos, der Staatsmacht, den fremden Regierungschefs oder gar vor der NATO?

Ich frage mich, was diese NATO, dieses vermeintliche Sicherheitsbündnis, für einen Nutzen haben soll, wenn sie selbst den größtmöglichen Schutz vor denen benötigt, deren Sicherheit sie vorgibt zu gewährleisten?

Auf jeden Fall hat diese zigtausendfache Präsenz von PolizistInnen den meisten BewohnerInnen von Baden-Baden und Kehl vermittelt, ihr bleibt am besten zuhause. Was viele Menschen aus lauter Angst vor dem vermeintlichen Chaos, das da auf sie zukommen könnte, leider auch getan haben. Denn eigentlich hätten hundertausende gegen diesen Rüstungswahnsinn, die Kriegsbeteiligung Deutschlands sowie gegen die NATO insgesamt auf die Straße gehen müssen. Und sie hätten auch gegen die Einschränkung ihrer Bürgerrechte demonstrieren müssen. Die Erlebnisse, die ich dann hatte, bestärken mich in dieser Auffassung. Nur zwei Beispiele:

- Kurt, ein Rentner aus Karlsruhe, der mit mir in Baden-Baden war, wurde im Laufe der Demo dreimal mit erhobenen Händen an der Wand (nach Waffen?) durchsucht. Wahrscheinlich haben sie sein Taschenmesser gesucht, das hatte er aber vorsorglich zu hause gelassen. Kurt hätte sicher lieber in seinem Garten gewerkelt, statt dessen hat er die Grundrechte in Deutschland verteidigt.

- Wir, ca.200 Leute und der Wagen der Volxküche, standen nach der Kundgebung noch auf dem Platz in einem Kessel aus Absperrungen und Polizei mit einem einzigen Zu-/Ausgang. Da stürmte plötzlich ein Trupp besonders großer, kräftiger Polizisten in martialischer Ausrüstung in die Demonstration und zerrte einen jungen Demonstranten an allen vieren heraus und zogen ihn durch die Gitter der Sperre. Ich sah nur noch den schwarzen Haarschopf des Jungen. Die anderen Jugendlichen haben versucht ihren Kollegen zu schützen. In dem Gerangel, das dabei losging, waren die Polizisten nicht zimperlich. Einige DemoteilnehmerInnen bekamen Tritte oder Schläge ab. Mit Monty Schädel und einer Gruppe älterer DemonstrantInnen schob ich mich dann zwischen die Polizei und die Jugendlichen, damit nicht noch mehr passiert und andere noch rausgezogen werden.

Auf meine Frage an die draußen stehenden Polizisten, was das solle, hat mir der Polizeipsychologe geantwortet, dass er diese Aktion auch nicht nachvollziehen könne. Es war vorher alles friedlich. Ich wollte dann wissen, was dem Jungen vorgeworfen wird. Das wurde mir nicht beantwortet.

Wir haben dann beschlossen, als Demozug in bunten, dicht geschlossenen Reihen den Rückweg zum Bahnhof anzutreten. Vorn und hinten, links und rechts „begleitet“ von PolizistInnen, die inzwischen wahrscheinlich doppelt soviel waren wie wir DemonstrantInnen. Wir kamen uns vor wie Verbrecher, sind dann aber ohne weitere Zwischenfälle am Bahnhof angekommen.

Dort haben sie dann allerdings wesentlich unauffälliger noch zwei Jugendliche raus gegriffen unter anderem, weil sie schwarze Handschuhe getragen und sich diese vor das Gesicht gehalten hatten - das verstoße gegen das Vermummungsverbot.

Kehl

Die Stimmung zu Beginn der Kundgebung war noch recht gut. An aufgehaltene Busse und gefilzte DemonstrationsteilnehmerInnen waren wir ja schon fast gewöhnt. Dass das natürlich auch mit einer Strategie der Polizei zu tun hatte, wurde spätestens dann klar als die Nachricht - die Brücke brennt - die Runde machte. Wir waren viel zu spät dran. Der Demozug sollte eigentlich schon auf der Brücke sein. Dort angekommen, hatte die Polizei uns den Zugang zur Brücke bereits versperrt. Das angemeldete deutsch - französische Treffen der Demonstrationszüge wurde uns verwehrt. Ein Aufgebot an Polizei aus allen Bundesländern, in Dreierreihen mit zusätzlichen Sperrgittern und weiteren Polizeireihen hin zur Europabrücke war vor uns aufgebaut – „zu unserer Sicherheit“ wurde mir von Polizeiseite entgegnet.

Eine Delegation aus der Demo wurde auf die Brücke entsandt, um sich ein Bild von der Situation machen zu können. Ich bemerkte, dass die Stimmung in meiner Umgebung zu brodeln begann. Zusammen mit Martin, einem Antifa-Kollegen aus NRW, und mit meinem Ausweis als Bundestagsabgeordnete folgten wir der Delegation auf die Brücke.

Dort wurde uns erklärt, nun könnten wir uns ein Bild machen.

Wir sahen Polizei, Polizeifahrzeuge und noch mal Polizei. Und wir sahen dahinter eine Rauchsäule. Der Blick von der Brücke zeigte hunderte am anderen Ufer friedlich im Gras sitzende Leute. Woher der Rauch kam, war für uns nicht zu erkennen. Allerdings war offensichtlich, dass bislang niemand an Löschen denkt. Hier hätten die Wasserwerfer der Polizei einmal sinnvoll eingesetzt werden können. Feuerwehr war weit und breit nicht zu sehen oder zu hören. Eineinhalb Stunden später fuhren von Kehler Seite Feuerwehrfahrzeuge an, die jedoch nicht an den Brandherd durchgelassen wurden. Offensichtlich sollte der Brand weiterbrennen.

Neben dem Grünen Ströbele waren meine Fraktionskolleginnen Heike Hänsel und Sevim Dagdelen als Vermittlerinnen zu Verhandlungen mit den französischen Behörden durchgelassen worden. Per schlechter Handyverbindung hatten wir die brüchige Information, dass sie nach wie vor am Verhandeln seien. Aber nach ca. zwanzig Minuten wurden wir von der Polizei nachdrücklich von der Brücke verwiesen. Der offenbar Verantwortliche erklärte uns, er könne unsere Sicherheit nicht mehr gewährleisten, es würden Molotow-Cocktails geworfen, der Fahrbahnbelag würde brennen und der Demozug könne auf keinen Fall die Brücke passieren. Er meinte auch, dass die Franzosen uns nicht reinlassen würden. Mit ausgebreiteten Armen schoben er und seine Kollegen uns vor sich her von der Brücke.

Wir gingen - auch deshalb, weil uns klar war, dass wir in die Demo zurück mussten, um dort wenigstens die Situation zu erklären und die Vorgehensweise zu beraten.

Die Diskussionen, die ich dann mit Jugendlichen auch aus dem sog. Schwarzen Block geführt habe, waren heftig. Wobei ich ihnen im nachhinein ein Stück weit Recht geben muss. Sie wollten ihr Recht zur Demo über die Brücke durchsetzen. Aber ich habe friedlichen Protest angemahnt, unsere Demokratie beschworen und an ihre Geduld appelliert - nach dem Motto wir stehen hier und wir bleiben hier: Wir halten die Position vor der Brücke bis das Feuer gelöscht ist und die Polizei keinen Grund mehr hat, uns den Weg zu versperren. Die Medien und die Behörden dürfen keine Chance haben, unsere Ziele wegen Gewalttätigkeiten zu diffamieren. Aber die Jungen hielten mir entgegen, dass unser friedlicher Protest doch von „denen da oben“ gar nicht wahrgenommen würde. Die würden doch nur die Bilder aus Straßburg wahrnehmen. Das was danach in den Medien berichtet wurde, war natürlich auch dementsprechend. Eine Bildsequenz mit einem Ausschnitt aus der friedlichen Demo und viele Szenen von Randale und Bränden. Der Grund der Proteste ging in diesen Bildern wieder einmal völlig unter.

Eine Erkenntnis:

Hätte unsere Demo viel früher die Brücke überschritten, hätten wir mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Teil der Randale verhindern können.

Weitere Erkenntnisse:

Die französischen Behörden wollten keine Proteste, auch keine friedlichen, sonst hätten sie nicht schon Tage vorher mit der Gewalt gegen Campbewohner und anreisende potentielle DemoteilnehmerInnen die Stimmung angeheizt und damit vorgesorgt, dass auf jeden Fall etwas passiert. Im nachhinein müssen wir auch davon ausgehen, dass möglicherweise gezielt Provokateure eingesetzt wurden.

Auch die deutschen Behörden und die Regierung wollten unsere Proteste klein halten. Sie haben es etwas geschickter angestellt, in dem sie den Menschen durch übermäßige Polizeipräsenz, Auflagen und Einschränkungen den Schneid abgenommen haben, ihre Grundrechte in Anspruch zu nehmen.

Aber das ist es, was mir am meisten Sorge bereitet, dass Menschen sich so leicht damit abfinden, dass ihre Rechte beschnitten werden, verbriefte Grundrechte nicht gewahrt werden. Und das alles mit der faulen Begründung, es ginge um unsere Sicherheit.

Fazit

Wenn eine vermeintliche Sicherheit verhindert, dass Menschen ihre Grundrechte wahrnehmen können, dann ist das keine Sicherheit sondern Unterdrückung. Und das hatten wir doch schon mal.