2009-04-07 

Straßburg: Ein Erlebnisbericht

Es folgt ein Erlebnisbericht der Tage vom Wochenende, der die Geschehnisse noch einmal festhalten soll, aber auch mit kritischen Anmerkungen unterlegt ist, um eine Gegenposition zu dem alltäglichen Medienbild zu schaffen. Er soll aber auch eine Alternative zu den Selbstabfeierungsversuchen und unkritischen Solidaritätsbekundungen einiger radikaler Gruppen sein, um das Geschehene möglichst differenziert betrachten zu können.

Bild: Strasbourg

Am Freitag Mittag brachen wir mit unserer Gruppe in einem Wagen nach Frankreich auf. Wir nahmen die Route über Österreich und die Schweiz, da wir von vielen Einreiseverboten gehört hatten. Dieser Umweg brachte uns zwar sicher ans Ziel in Straßburg, kostete uns allerdings fast vier Sunden Fahrzeit mehr. Das Camp lag weit abseits der Stadt gleich in der Nähe des Schengener Informationssystems auf einem weitläufigen Gelände. Im Einzugsgebiet um das Camp angekommen hörten wir bereits beim verlassen des Autos Schockgranaten explodieren, zusätzlich zog der Geruch von Tränengas durch die Luft. Wir packten unsere Sachen, als uns einige Autos mit AktivistInnen, die wohl auch gerade angekommen waren in rasendem Tempo entgegenkamen. In beinahe noch schnellerem Tempo kam ein Konvoi CRS- Einheiten hinterher, gefolgt von 2 deutschen Wasserwerfern. Wir warfen unsere Sachen wieder ins Auto und warteten am Straßenrand ab. Währenddessen gingen die Auseinandersetzungen vor uns weiter. Wir holten abermals unsere Sachen aus dem Auto und mit weiteren AktivistInnen versuchten wir auf anderen Wegen das sehr große Camp zu erreichen. Einige vermummte Autonome hatten glücklicherweise kurz vorher einen vermutlich von der Polizei auf einem Feldweg gezogenen NATO-Draht aus dem Weg geräumt und so konnten wir passieren.

Nach einigen Umwegen erreichten wir schließlich das Camp von der anderen Seite. Auf der Route trafen wir auf einige Anwohner, die uns immer wieder auf Französisch „Viel Glück“ wünschten, anscheinend hatten sie auch bereits die Nase voll von der ständigen Polizeipräsenz in ihrem Viertel. Währenddessen gingen die Auseinandersetzungen unaufhörlich weiter, das Gas war zum Teil auf das Camp geweht worden. Niemand konnte uns aber sagen, worum diese Auseinandersetzung ging und was denn eigentlich genau los sei. Nach kurzer Diskussion beschlossen wir das Auto umzuparken. Während wir das Zelt aufbauten trafen wir auf AktivistInnen von Block-Nato, die uns erklärten, sie würden vor Anbruch der Dunkelheit in die Stadt fahren, da die Polizeipräsenz am Camp eindeutig zu hoch sei. Wir entschieden uns erst einmal gegen ein Mitkommen, waren wir doch gerade erst angekommen. Leider fanden am Abend meines Wissens keine Blockade Trainings mehr statt und so konnten wir uns nicht genug auf eine friedliche Blockade vorbereiten.

Mittlerweile hatte sich die Lage wieder etwas beruhigt und wir genossen nun die Camp Atmosphäre. Alles war sehr umsichtig eingerichtet, es war Stroh auf den Wegen gestreut worden und die verschiedenen Volxküchen sorgten für ständige Verpflegung. Nach und nach wurde uns erst die Größe des Camps bewusst. Die Bar war in weiser Voraussicht an einer extra Stelle platziert worden, das Gebiet mit der Bühne und der Tekno-Area war ebenso fast außer Hörweite des übrigen Camps. Sogar der Bauer hatte sich Mühe gegeben und auf seinem Hof einen Würstelstand und einen Getränkeverkauf zu relativ fairen Preisen organisiert. In dem Stand, der die EA-Nummern und die Natriumchloridlösungen zum auswaschen von Tränengas verteilte, gab es auch Gleitgel und Kondome zu haben. Das Ganze glich an dieser Stelle eher einem Festival als einem politischen Camp.

Da wir uns gegen das Mitlaufen in einem der Finger, die vom Camp losgehen wollten entschieden hatten, hatten wir ein bisschen mehr Zeit in der Nacht und konnten den Aufbruch der einzelnen Finger beobachten. Bereits um kurz nach drei Uhr Nachts machten sich die ersten Menschen auf den Weg, schon hier stand dabei der Polizeihubschrauber in der Luft. Wir machten uns nach einem kleinen Kaffee ebenfalls mit dem Auto auf in die Stadt, dort stellten wir fest, dass die Brücken in die Straßburger Innenstadt wie erwartet gesperrt worden waren. Nachdem wir an einer Stelle von einer Polizeieinheit mit Flashballpistolen und Schockgranatenwerfer bedroht wurden, suchten wir uns zunächst einmal eine Seitenstraße. Wir hörten von der erfolgreichen Blockade der Block-Nato Gruppe, die es tatsächlich geschafft hatte, in der Kälte draußen zu übernachten. Die einzige funktionierende Trambahnschiene sei in der Nähe des Tagungszentrums blockiert worden und die Polizei würde sich im Moment auch ruhig verhalten. Einige Leute von uns gingen einzeln durch die Polizei durch, auf Grund ihres unauffälligen Aussehens gelang ihnen das auch. Der Rest blieb zurück und ging langsam zum Versammlungsort. In einer Kneipe war die Stimmung in der Bevölkerung ziemlich locker, sie verfolgten das Tagesgeschehen mit großem Interesse, hatte in der selben Straße doch einige Tage vorher der Angriff auf die Polizeikaserne stattgefunden. Jeder der reinkam wurde auf Französisch mit den Worten: „Ah schon wieder ein Demonstrant, wo ist dein Schal ?“ begrüßt.

Wir versuchten zum Kundgebungsort zu gelangen, wobei eine Brücke erst einmal durch die Polizei versperrt worden war. Nach kleineren Scharmützeln, Tränengas und Schockgranaten konnten die vielen Menschen doch auf die Brücke gelangen und es formierte sich bereits hier ein großer Zug von Menschen. Als wir auf der Brücke standen, sahen wir ein Gartenhaus in einer Schrebergartenkolonie in Flammen. Erstes Unverständnis machte sich bei uns breit. Einige positive Aktionen wurden allerdings auch durchgezogen. Viele Sprüche wurden gesprüht und Werbungen zerstört. „No Pub“ (franz. Abkürzung für Werbung) war auf vielen Werbetafeln zu lesen, auf die automatischen Werbetafeln wurden Steine geworfen, oder sie wurden anderweitig außer Kraft gesetzt. Ab und zu sah man eine zerstörte Überwachungskamera auf dem Boden liegen. Wir trafen einige AktivistInnen, die uns erzählten, sie seien in der Nacht friedlich über eine Brücke gelaufen und von der Polizei gestellt worden. Dabei seien ihnen Mützen, Handschuhe und Schals weggenommen worden. Einige Natriumchloridampullen hätten die Polizei einfach zertreten.

Schon auf dem Hinweg sammelten sich viele komplett schwarz Vermummte, einige hinterließen mit Sprühdosen ihre Botschaften auf den umliegenden Mauern. Weiter ging es dann an einer Tankstelle vorbei, welche von Vermummten geplündert wurde. Wir gingen schnell weiter in Richtung Kundgebungsort. Wir kauften uns noch einmal Wasserflaschen bei einem orientalischen Laden. Hier unterhielten sich gerade ein paar Leute aus der Bevölkerung über die Sachen, die gerade im Wohngebiet kaputt gegangen waren. Angst stand einigen ins Gesicht geschrieben und sie sprachen weiter darüber, ob sie ihre Autos umparken sollen, oder nicht. Auf der Suche nach dem Platz für die Kundgebung gelangten wir zur Europabrücke. Diese war mit mindestens zwei Wasserwerfern und einigen Polizisten versperrt. Ein paar DemonstrantInnen hatten ein kleines Feuer auf der Straße errichtet. Wir warteten am Rhein auf die Demonstration aus Kehl, die demnächst eintreffen sollte. Die Polizei auf der Brücke dachte jedoch nicht daran den Weg frei zu machen, sondern setzte eine Durchsage ab, dass es in Deutschland verboten sei sich zu vermummen und dass jegliche Straftaten gegen Polizeibeamte sofort geahndet werden würden. Es passierte erst mal nichts, soweit wir das von unserer Position seitlich unter der Brücke sehen konnten.

Eine längere Zeit später fing dann das Grenzhaus an zu brennen, wir konnten nicht erkennen warum, allerdings schaute die deutsche Polizei auf der Brücke mindestens eine dreiviertel Stunde zu, wie das Grenzhaus vor sich hin brannte. Als dann um zwei Uhr sich die Polizei immer noch nicht bewegt hatte und aus diesem Grund auch die DemonstrantInnen aus Kehl nicht über die Brücke kommen konnten, entschlossen sich einzelne Leute die Polizei anzugreifen. Wir entschieden uns zum Kundgebungsort zu gehen, und bekamen von weitem mit, wie die Polizei mit den Wasserwerfern endlich vorrückte um den Brand zu löschen. Währendessen fing ein weiteres Gebäude in der Nähe an zu brennen, es handelte sich dabei um die Apotheke an der wir vorher noch vorbei gelaufen sind und man hörte von weitem Tränengaskartuschen knacken und Schockgranaten explodieren. Wir hatten nun den Kundgebungsplatz erreicht und ruhten uns ein bisschen aus. Viele Menschen waren hier zusammen gekommen. Das Gas schlug immer näher neben uns ein und das zweite Haus hatte bereits so stark Feuer gefangen, dass sich der Himmel auf der einen Seite des Platzes fast komplett verdunkelt hatte.

Nachdem das Gas so stark wurde, dass es den ganzen Kundgebungsplatz einhüllte, entschlossen wir uns zu gehen. Durch unsere nassen Stofftücher vor unserem Mund gelangte das Gas durch die hohe Dosierung trotzdem hindurch und verursachte umgehend Kopfweh. Beeindruckend war, dass die Frau die auf der Bühne eine enthusiastische Ansprache hielt sich überhaupt nicht davon beeindrucken ließ. Wir dachten nun nicht mehr an eine Demo und beschlossen das Gebiet weitläufig zu umgehen, wie viele andere DemonstrantInnen auch. Aus Angst weiterhin in die Schusslinie der Polizei zu geraten, wollten wir von der Hafeninsel wieder auf die andere Seite, als wir einen Demonstrationszug von weitem hörten. Wir warteten eine Weile und nach einiger Zeit kam dieser dann auch, angeführt von einem Wagen, der mit einer CGT Fahne geschmückt war. Die Mischung der Demonstration war sehr bunt, viele FriedensaktivistInnen, AnarchistInnen und KommunistInnen zogen mit, aber auch skurriles konnte man beobachten, wie ein Haufen Öcalan Fahnen und natürlich waren mal wieder ein paar Palästina Flaggen dabei. Alles in Allem aber ein recht interessanter Haufen, dem sich auch viele Jugendliche aus der Banlieue anschlossen. Diese gingen in ihrer übermütigen Art jedoch auch auf sinnlose Dinge los, wie zum Beispiel ein Bushaltestellenschild. Spätestens hier hätte von den radikaleren Leuten interveniert werden müssen, aber die meisten vermummten Autonomen zog es zu der Brücke in Richtung Innenstadt, die mit deutschen und französischen Wasserwerfern, veritablen Sperren und Einheiten so randvoll besetzt war, dass es aussichtslos erschien dort hinüber in die Innenstadt zu gelangen.

Einige ließen es sich natürlich trotzdem nicht nehmen, auf die Polizei loszugehen, was dazu führte, dass die Polizei erneut Gas und Schockgranaten schoss. Auf der anderen Seite der Brücke hatten sich neben den Übertragungswägen viele Bürger und Schaulustige versammelt, die immer wieder applaudierten, wenn die Autonomen die Polizei angriffen. Die Auseinandersetzungen führten jedoch auch dazu, dass der Demonstrationszug langsam zerfiel, da nicht alle die dauernden Konfrontationen durchstanden. Wir bogen in eine Straße ein und eine Mischung aus Hooligans, Autonomen und Jugendlichen aus der Vorstadt fing an eine Poststelle zu zerstören, dabei wurde auch eine Telefonzelle entglast. Fassungslose Bürger schauten schweigend zu, während auch einige ihrem Ärger Luft machten und die Randalierer beschimpften.

Der Demozug blieb stehen und wir gingen nach vorne, um zu sehen warum dieser nicht weiterging. Als wir ziemlich weit vorne angekommen waren, sahen wir den Dachstuhl eines Hauses brennen. Da die Demonstration aber an genau dieser Stelle vorbeimusste, ging auf Grund der Gefahr und der Hitze, die von dem brennenden Haus ausging nichts mehr. Das war dann den meisten in unserer Gruppe zuviel und wir beschlossen zu gehen. Was für uns unfassbar war, ein Haus inmitten einem Wohngebiet brannte und niemand auf der Demonstration thematisierte öffentlich was gerade passiert, oder verurteilte die Gewalt. Mittlerweile hatte das Feuer das Haus komplett ergriffen, die Löscharbeiten des Feuerwehrmannes auf einer ausfahrbaren Leiter wirkten hilflos. Eigentlich konnte dadurch nur ein weiteres übergreifen der Flammen auf andere Häuser vermieden werden. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, ob es in diesem Haus einen oder mehrere Tote gegeben hatte, was nach den bisherigen Kenntnissen auch durchaus hätte passieren können.

Auf dem Rückweg durften wir mit ansehen, wie weiter auf die Postfiliale eingedroschen wurde und zwei mehrere Tonnen schwere Eisenbahnwägen abgekoppelt und als Barrikade über die Straße gezogen worden waren. Später hieß es dazu noch im Radio, diese seien auch umgeworfen worden. Erschöpft und verärgert suchten wir uns einen Weg nach draußen, zum Glück hatten die Auseinandersetzungen bei der Brücke aufgehört und so konnte auch ein Wagen der Volxküche zu uns durch. Ein Konvoi an CRS Einheiten raste in Richtung der Barrikaden und lieferte sich kurze Auseinandersetzungen mit den DemonstrantInnen, wir zogen es vor uns weiter in die andere Richtung zu entfernen. Die meisten Menschen hatten die Demo bereits verlassen, in dem herrschenden Chaos wäre es auch kaum mehr möglich gewesen, eine Demonstration aufrecht zu halten. Nach einigen längeren Umwegen und klettern über Güterwaggons, die Polizei hatte die meisten Wege abgesperrt, erreichten wir nach einiger Zeit endlich unserer Auto wieder. Über die deutsch-französische Grenze konnten wir ohne größere Kontrollen gelangen, trotz des massiven Polizeiaufgebots, dass wir auf der Straße in ganz Baden Württemberg sahen.