2009-04-07
Hat die Polizei das Hafenviertel in Straßburg absichtlich den Randalierern überlassen? Nach den heftigen Ausschreitungen beim Nato-Gipfel steht dieser Vorwurf im Raum.
Derweil gab es die ersten Schnellurteile gegen Randalierer.
STRASSBURG. Nach den Ausschreitungen in Straßburg am Rande des Nato-Gipfels gibt es am Montag die ersten Gerichtsurteile. Ein 25-jähriger Berliner wurde vom Straßburger Landgericht im Schnellverfahren zu sechs Monaten Haft verurteilt. Er soll am vergangenen Donnerstag Steine auf ein Polizeiauto geworfen haben, ohne zu treffen. Ein 23-jähriger Energieelektroniker aus Karlsruhe erhielt drei Monate auf Bewährung: Ihn nahm die Polizei am Freitagmorgen fest, als er mit einem Hackebeil unterwegs war. Ein dritter Deutscher wurde wegen Besitzes einer Eisenstange zu sechs Monaten Haft verurteilt. Der Staatsanwalt nannte Personen, die mehrere Tag vor dem Gipfel ins Camp gereist waren, "Professionelle der Aufruhr". Nach der Urteilsverkündung gab es im Gerichtssaal Tumulte.
Der elsässische Präfekt Jean-Marc Rebière blieb auch am Montag die Antwort auf die Frage schuldig, warum es so lange gedauert hatte, bis die Einsatzkräfte am Samstag gegen Randalierer und Brände im Hafenviertel vorgegangen waren. Die Bewohner des betroffenen Quartiers werfen den Behörden vor, sie hätten ihr Viertel zugunsten der Innenstadt aufgegeben. Der Leiter des französischen Polizeieinsatzes, Hervé Niel, sprach von großen Schwierigkeiten, genügend Polizisten zu versammeln, um sowohl die Menschen im Bereich der Brände wie auch die Feuerwehr zu sichern.
Aus französischen Polizeikreisen ist zu erfahren, dass es klare Kommunikationsprobleme beim Einsatz gegeben habe. Das deckt sich mit dem, was der Journalist Holger Eichele vom Münchner Merkur erlebt hat. Er arbeitete in seinem Zimmer im Ibis-Hotel, als die Randalierer gegen 12.30 Uhr angriffen. Daraufhin schloss sich der Journalist ein und flüchtete auf eigene Faust gegen 14.20 Uhr über einen Seiteneingang aus dem brennenden Gebäude. "Mich wundert schon, dass niemand kam, um uns zu evakuieren", sagt er. Wie die Behörden bestätigten, waren im Hotel auch Zivilbeamte untergebracht. Vermutlich erkannten Randalierer ihre im Hof geparkten Fahrzeuge und steckten deshalb das Gebäude in Brand.
Die Feuerwehr widersprach gestern Meldungen, denen zufolge sie vor Randalierern geflüchtet sei, statt den Brand im Hotel zu löschen. Die Polizei habe sie abgerufen, als der Demonstrationszug zum Brandort zurückkehrte. Einsatzleiter Niel sagte, die deutsche Polizei habe die französischen Feuerwehrwagen später aus Sicherheitsgründen nicht wieder von Kehl nach Straßburg zurückgelassen.
Laut Rebière hat die Staatsanwaltschaft gegen einen Russen und einen Deutschen Anklage wegen Brandstiftung erhoben. Beide seien geständig. Derweil überlegt ein Straßburger Kollektiv von Nato-Gegnern, die Polizeibehörden wegen unterlassener Hilfeleistung zu verklagen. Das hat auch eine Demonstrantin vor, die von einer Tränengasgranate mitten ins Gesicht getroffen wurde.
Für Monty Schädel, der den Aufmarsch der Gipfel-Kritiker mit organisiert hat, ist die französische Polizei dafür verantwortlich, dass es zur Randale gekommen ist. Sie habe den Demonstrationszug der Friedensbewegung willkürlich mit Tränengasgranaten beschossen – dass da dann bei manchen Teilnehmern die Emotionen hochkochten, könne er nachvollziehen, auch wenn er deren Methoden wie Brandstiftung nicht teile. Er hält es zudem nicht für bewiesen, dass diese Randalierer aus dem Friedenscamp stammten. Ja er hält es sogar für möglich, dass die Polizei die Brände selbst gelegt habe, um für sie nützliche Bilder zu gewinnen – wenngleich er dafür keinen Beleg habe.