2009-04-06 

Meine Flucht aus dem brennenden Hotel

Straßenschlachten, Plünderungen, Brandbomben: Zum Abschluss des Nato-Gipfels versank Straßburg in einer Welle der Gewalt. Selbst Polizei und Feuerwehr ergriffen die Flucht.

Unser Korrespondent Holger Eichele konnte sich gerade noch rechtzeitig aus einem brennenden Hotel retten.

Kaum sind die 28 Staatschefs samt Polizei-Eskorten wieder in der Straßburger Innenstadt verschwunden, wo in einem abgeriegelten Viertel die eigentliche Nato-Tagung stattfindet, versinkt das französische Rheinufer in Chaos und Gewalt. Wo gerade noch Präsidenten für Frieden und Freiheit geworben haben, liefern sich jugendliche Gewalttäter wüste Straßenschlachten mit Polizisten.
Zuerst trifft es ist eine Tankstelle um die Ecke: Krawallmacher zertrümmern die Scheiben und plündern den Verkaufsraum. Die Polizei hat sich vollständig zurückgezogen. “Freibier”, ruft ein Vermummter, der “Schwarze Block” greift zu. Auffallend viele der Chaoten sind Deutsche, meist zwischen 18 und 30 Jahre alt, schwarz gekleidet und kampferprobt. Halstücher und Sonnenbrillen verdecken die Gesichter. Einige tragen Skibrillen zum Schutz gegen Tränengas.
Auf der anderen Straßenseite fliegen die ersten Molotowcocktails, die Touristen-Information brennt, auch aus dem ehemaligen Grenzposten schlagen meterhoch die Flammen. Die Militanten zertrümmern die Hotelrezeption und verjagen die Angestellten. Stühle und Tische aus dem Restaurant werden auf der Straße zu Barrikaden aufgetürmt und in Brand gesteckt. Nun brennt nebenan auch die Apotheke.
Zivilpolizisten, die im Hotel wohnen, flüchten aus Angst vor den Angreifern unter das Dach. Ich verbarrikadiere mich auf meinem Zimmer, andere fliehen in Panik auf die Straße und werden von den Schlägern bedrängt. “Policie, Policie”, ruft eine Frauenstimme. Unten auf dem Parkplatz versucht ein Autonomer, ein Auto anzuzünden. Plötzlich ein Heulton – im Ibis geht der Feueralarm los. Aus dem Erdgeschoß quillt dunkler Rauch.
Betttücher werden aneinandergeknüpft, Fenster zur Rückseite geöffnet. Plötzlich detonieren auf der Straße Blendgranaten. Eine schwerbewaffnete Sondereinheit der Nationalpolizei hat sich zum brennenden Hotel vorgekämpft. Die Chance zur Flucht: Gepäck und Ausrüstung bleiben im Zimmer, mit einem feuchten Tuch vor dem Mund geht es über das verqualmte Treppenhaus runter ins Foyer. Der Raum ist menschenleer, der Teppich übersät mit Scherben und Papier. Flammen schlagen aus dem Bistro. Dort, wo einmal eine Glastür war, ist der rettende Weg in die Freiheit.
Freiheit? Auf der Straße blickt der Ausgebrannte in die Mündung einer Tränengaspistole. “Casse-toi”, brüllen die Polizisten, “hau ab!” Die Nerven liegen blank. Mehrere Häuser stehen in Flammen, es gibt Verletzte, einigen Chaoten ist es angeblich gelungen, scharfe Polizeiwaffen aus dem Hotel zu stehlen. Das Ibis ist noch immer von Militanten umstellt, auf die Polizisten hagelt es Steine und Flaschen. Da unterscheidet ein Beamter nicht mehr zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Anwohner, Hotelgäste und harmlose Friedensaktivisten werden mit Tränengas-Granaten verscheucht, ehe aus der Mitte friedlicher Gipfelgegner die Militanten den nächsten Angriff starten.
Über Stunden steht das fünfstöckige Hotel in Flammen – die Bilder gehen um die Welt. Irgendwann kommen zwei rote Rettungsautos und rücken wieder ab. Das Feuer frisst sich bis in den Dachstuhl durch. Alles ist verloren. Die benachbarte Grenzstation und die brennenden Geschäfte sind von der Polizei schon aufgegeben worden.
Als deutsche und französische Feuerwehrleute am späten Samstagnachmittag einen zweiten Löschangriff starten wollen, werden sie erneut vom “Schwarzen Block” mit Steinen und Raketen attackiert. Die Helfer flüchten vor den Angreifern in Richtung Rhein, einigen gelingt nur mit Hilfe eines Bootes die Flucht. Das Ibis-Hotel brennt bis zum Abend fast völlig aus.
Am Ende des Tages feiert die französische Innenministerin Michèle Alliot-Marie den Polizeieinsatz als Erfolg. Wichtigstes Ziel der Polizei sei es gewesen, den Nato-Gipfel der Staatschefs in der Innenstadt abzuschirmen. Zweites Ziel: Demonstranten, Beamte oder Bürger sollen nicht zu Schaden kommen. “Hätte die Polizei stärker eingegriffen, hätte es Tote gegeben”, entschuldigt ein Ermittler am Sonntag.
Während es die Polizei auf deutscher Seite als Erfolg feiert, dass angeblich keine einzige Gewalttat registriert wurde, ist man in Straßburg schon damit zufrieden, die Regierungschefs vor dem wütenden Mob geschützt zu haben. “Der Gipfel selbst verlief völlig ungestört, das ist ein Erfolg”, sagt ein Polizist. “Wir haben den Krieg gewonnen.”