2009-04-02 

»Polizei handelt überwiegend rechtswidrig«

Die Zurückweisungen von NATO-Gegnern an der Grenze zu Frankreich in der Regel reine Willkür. Gespräch mit Martin Heiming

Martin Heiming ist Rechtsanwalt in Heidelberg und Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwaltsvereins

Die Bundespolizei hat bis zum gestrigen Donnerstag über 40 Personen, die zur Demonstration gegen den NATO-Gipfel nach Strasbourg fahren wollten, die Ausreise nach Frankreich verboten. Wie wird das begründet?

Bild: Le Sabot

Unterschiedlich, je nach Einzelfall. Meistens wird in solchen Fällen bei der Grenzkontrolle auf »polizeiliche Erkenntnisse« aus obskuren Dateien zurückgegriffen. Eine solche »Erkenntnis« kann dann mitunter sein, daß jemand bei einer früheren Demonstration mal einen schwarzen Kapuzenpullover getragen hat. Das gilt als »Vermummungsgegenstand«.

Ist das nicht Willkür, wenn solche Einschränkungen der Freizügigkeit ohne Gerichtsurteil verfügt werden?
In der Praxis ist es so, daß die Polizei erst einmal solche Verbote verhängt. Erst danach kann man dagegen klagen. Aber dafür fehlt dann oft die Zeit. Im konkreten Fall ist es ja so, daß die Demonstrationen am heutigen Freitag und am Samstag stattfinden – es nützt also wenig, wenn das Gericht nach Abschluß des NATO-Gipfels verkündet, daß die Polizei rechtswidrig gehandelt hat.

Bei den Zurückweisungen der letzten Tage lag gegen die Betroffenen unseres Wissens nichts vor, was strafrechtlich relevant sein könnte. Mit welchem Recht kann eine Bundesbehörde derartige Willkürentscheidungen treffen?
Die für die Grenzen zuständige Bundespolizei kann laut Gesetz die Ausreise kontrollieren. Das Paßgesetz wiederum besagt, daß in bestimmten Fällen ein Paß verweigert oder die Ausreise unterbunden werden kann. Das gilt für alle Fälle, in denen »erhebliche Belange« der Bundesrepublik auf dem Spiel stehen.

Und darüber entscheidet irgend­ein Polizeikommissar?
Der »erhebliche Belang« wird meist ungefähr so begründet: »Aufgrund unserer Erkenntnisse würden Sie in Frankreich als Gewalttäter auffallen. Das aber würde das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen – deswegen lassen wir Sie erst gar nicht über die Grenze.«

Einigen der zurückgewiesenen NATO-Gegnern wurde zur Begründung gesagt, ihr Halstuch sei ein »Vermummungsgegenstand«. »Vermummung« ist in Frankreich aber gar nicht strafbar, was geht das die deutsche Polizei an?
Das ist eine gute Frage. Leider kann ich die nicht beantworten.

Einige NATO-Gegner berichteten, die Polizei habe ihre Zurückweisung damit begründet, sie seien nicht »kooperativ« gewesen. Seit wann gibt es eine rechtliche Verpflichtung, der Polizei gegenüber kooperativ zu sein?
Meines Wissens gibt es kein Gesetz, das so etwas vorschreibt. Die Absurdität dieser Forderung wird aber dadurch auf die Spitze getrieben, daß in einem Fall ein NATO-Gegner sogar deswegen zurückgewiesen wurde, weil er kooperativ war. Begründung: Er habe so seine bösen Absichten verschleiern wollen.

Handelt die Polizei bei ihren Zurückweisungen rechtswidrig?
In den überwiegenden Fällen ja. Sie ist auf das Ziel »Sicherheit« getrimmt – alles andere bleibt dabei auf der Strecke: Grundrechte, Menschenrechte, Freizügigkeit nach dem EU-Vertrag usw.

Bin ich als Bürger gezwungen, mir eine offenkundig rechtswidrige Handlung gefallen zu lassen?
Ich würde auf gar keinen Fall zum Widerstand raten.

Ob das angesichts von Polizeiknüppeln ratsam ist, ist eine andere Frage. Aber könnte ich nicht vor Gericht bestehen, wenn ich mich wehre?
Damit wären wir im strafrechtlichen Bereich – das heißt dann »Widerstand gegen die Staatsgewalt«. Die Gerichte gehen in der Regel davon aus, daß man sich das erst einmal gefallen lassen muß.

Für mich riecht das nach Polizeistaat. Was kann man gegen diese Willkür tun?
Es ist wichtig, ein solches Vorgehen anschließend gerichtlich überprüfen zu lassen. Und es muß in die Öffentlichkeit gebracht werden – etwa durch Interviews wie dieses.

Wir haben leider nicht die Resonanz der Bild-Zeitung, die in Millionenauflage gegen die NATO-Gegner hetzt.
Das ist richtig. Bild hat vor der Demonstration am Montag in Freiburg den Lesern suggeriert, die Stadt werde in Schutt und Asche gelegt. Passiert ist überhaupt nichts – die Demonstration verlief meines Wissens völlig friedlich.

* Anwaltsnotdienst: 0033 – 368 460262 (französisch) 0 761 409 725 1 (deutsch)