2009-04-01 

Let's start a riot

Wenn am 3. und 4. April 2009 in Straßbourg und Baden-Baden mehrere zehntausend NATO-Gegner auf mehrere zehntausend Bullen treffen, wird es knallen. Es wird zu Riots kommen, es wird eskalieren. Und immer wenn die Lage eskaliert, Steine fliegen, Barrikaden brennen, ist die bürgerliche Presse und die etablierte Politik von links bis rechts schnell mit ihrem Urteil zur Stelle. Hirnlose „Chaoten“ seien da am Werk und handelten in reiner Zerstörungswut ohne Ziel, ohne Hemmungen und letztlich ohne Grund. „Gewalttätige Randalierer“ nutzten einen eigentlich berechtigten Protest für ihren unreflektierten Hass auf „das System“ und schadeten somit der „Sache“, heißt es von Seiten friedlicher Demonstranten.

Bild: Daniel Rosenthal

Nun, das ist Bullshit. Militanz im Rahmen diverser Gipfeltreffen, sei das nun bei der NATO, dem IWF, der Weltbank, dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder dem jährlichen Treffen der G8 oder G20 hat ihre Tradition und ihren Sinn. Sie ist weder unpolitische Randale noch Schädigung einer guten Sache aus jugendlichem Übermut und fehlender politischer Weitsicht heraus. Allerdings ist diese Militanz auch keine bloße Abwehrreaktion den Cops gegenüber. „Die haben angefangen!“ ist kein Argument. Wir müssen uns nicht entschuldigen, oder angeblich von uns begangenes Unrecht mit dem viel größeren, von der Gegenseite tagtäglich begangenem Unrecht (Stichwort: Strukturelle Gewalt) rechtfertigen. Wir wollen es knallen lassen, und wir haben auch allen Grund dazu.

Wenn in Straßbourg am 4. April Steine auf behelmte und gepanzerte Schlägerbullen fliegen, Straßen durch brennende Mülltonnen und Barrikaden versperrt werden, dann ist das in erster Linie Ausdruck einer unversöhnlichen antagonistischen Haltung der NATO und den von ihr geschützten Strukturen des Kapitalismus gegenüber. Der demonstrative Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates macht die Radikalität und Kompromisslosigkeit unserer Systemkritik sichtbar. Wir akzeptieren eure Regeln nicht, wir akzeptieren eure Autorität nicht. Wir wählen die Formen unseres politischen Handelns selbst, und wir scheißen auf einen Dialog mit euch, wir wollen uns nicht in euer Spiel einbinden lassen. The medium is the message: Ein Stein kann mehr als tausend Worte sagen, und im richtigen Kontext mehr Inhalte transportieren als ein ganzer Ostermarsch.

Ein anderer Punkt sind die Medien. Als 1999 in Köln der G8-Gipfel unter Vorsitz des Basta-Kanzlers Schröder stattfand, fanden sich zwar um die 35000 Menschen zu einer großen Demo ein, laut Massenmedien passierte allerdings nichts. Der Gipfel verlief störungsfrei, die Kölner Innenstadt war hermetisch abgeriegelt und in den Mainstream-Medien wurden die Proteste weitgehend ausgeblendet. Auch innerhalb der linken Szene wurden die Proteste nicht Ausgangspunkt weiterer Aktivitäten: erfolgreiche Proteste sahen anders aus. Wenig später fand in Seattle die Tagung der WTO statt. Die Proteste wurden dort auch militant geführt und das WTO Treffen stark in seiner Durchführung beeinträchtigt. Dieser Erfolg trug weltweit zum Aufbruch der kapitalismus-kritischen Globalisierungsbewegung mit ihren vielen Facetten bei, und bescherte deren Anliegen ein großes Podium. Um überhaupt in den Massenmedien, und somit auch im Bewusstsein des Großteils der Bevölkerung vor zukommen, braucht es Action. Und erst mal mit zu bekommen, dass es Leute gibt, die sich radikal gegen dies und jenes richten, ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, selbst mal die Option linker Organisierung und Aktivitäten wahrzunehmen.

„Moment,“ wendet da der friedliche Attacist ein: „Durch die Krawalle gehen doch unsere Inhalte völlig unter, das schadet doch der Sache“. Nun ja, wer tatsächlich glaubt, dass bürgerliche Medien, die von Anzeigen und Auflagen abhängig sind, wirklich neutral über irgendwelche unserer Inhalte berichten, der glaubt auch an die Soziale Marktwirtschaft.

Sie tun es ja meist nicht mal korrekt bei friedlichen Aktionen, wenn diese denn überhaupt Erwähnung finden. Davon abgesehen ist es auch eine Sache der Methodik: Agieren oder Reagieren wir? Sollen wir unsere Politik und Aktionsformen nach dem Willen von SPIEGEL, Springer und Co ausrichten?

Und nebenbei bemerkt: Eigentlich ist es oftmals ja gar nicht so schlecht, wenn staatsfetischistisches Gelaber über „Kasino-Kapitalismus“ und ähnlicher Quark vom Tränengasnebel und dem dumpfen Geräusch auf Wannen prasselnder Steine überlagert wird...

Natürlich sollte nicht verschwiegen werden, dass die Motivation zum Angriff bei vielen nicht aus theoretischen Überlegungen gewachsen ist, sondern aus dem Gefühl der Ohnmacht und Wut heraus. Sei es aus Wut über die menschenverachtende Kriegspolitik der NATO-Staaten oder über die letzte Demo, bei der mensch wieder in vollem Spalier laufen musste, permanent ab gefilmt und schikaniert wurde. Mensch ist von Deutschland im neuen Jahrtausend gewöhnt, dass wir uns kaum gegen Bullenübergriffe schützen können und deren Willkür völlig ausgeliefert sind, sei es bei konkreten politischen Aktionen oder auch ganz alltäglichen Kontakten mit unserem „Freund und Helfer“.

Und so kann der Steinwurf eine überaus befreiende Wirkung haben, für den Werfenden persönlich, aber auch für die ganze Bewegung. Großes Rambazamba kann unglaublich motivierend sein, von dem Gefühl „es den Bullen mal so richtig gezeigt zu haben“ kann mensch zehren, und es kann gegen die Gefahr der Resignation helfen, wenn es die Bullen uns mal wieder so richtig gezeigt haben.

Bei all der Lobhudelei auf Bambule sollten aber einige Sachen auch nicht vergessen werden, denn wir sind eben keine gewaltgeilen Hooligans die besoffen einfach Bock auf Krawalle haben. Zu sinnvoller Massenmilitanz gehört das Bewusstsein der Verantwortung für sich und andere, genauso wie der Respekt vor den Mitdemonstranten: D. h. keine Steinwürfe aus der 12. Reihe oder ähnliche unüberlegte Aktionen, die andere gefährden. Dazu gehört auch, dass Nicht-Militanten Gelegenheit zum Rückzug gegeben wird, bevor mensch den Sturm der Bullen provoziert.

All dies gilt natürlich in besonderem Maße für Unbeteiligte. Auch sollten sich einige Menschen mal darüber Gedanken machen, welchen Sinn es macht Privatwagen anzuzünden oder einfach mal die Scheibe der Bushaltestelle einzuschlagen, wo es doch genügend Polizeikarren bei solchen Anlässen gibt. Darüber muss diskutiert werden, denn gerade so was erschwert die Vermittelbarkeit dieser Aktionsform. Klar gibt es Ausnahmen, und im Einzelfall muss nach der Verhältnismäßigkeit bestimmt werden, ob mensch wirklich den Fiat Panda als brennende Barrikade braucht oder ob es nicht die große Mülltonne auch tut. Aber viel zu oft werden solche Überlegungen unserer Meinung nach eben noch nicht angestellt.

Neben den Mitdemonstranten und den Unbeteiligten gibt es bei den meisten Riots ja auch noch die Bullen, welche einen Sonderstatus einnehmen, was die Rechtmäßigkeit körperlicher Gewalt angeht.
Das in einer symbolischen und trotzdem handfesten Auseinandersetzung dem einen oder anderen trotz massiver Panzerung mitunter weh getan wird, liegt in der Natur der Sache. Schön ist das nicht, und es sollte auch kein Ziel sein Bullen zu verletzen, aber unser Mitleid für Leute, die auf Befehl und für den schnöden Mammon andere Leute mit dem Knüppel auf´s Maul hauen, hält sich in Grenzen.
Denn: Es ist eine politische Entscheidung, sich zum Werkzeug zu machen, für die jeder einzelne Cop die Verantwortung übernehmen muss.

Zum Schluss noch ein ganz wichtiger Punkt: Woran es – insbesondere bei der deutschen Linken – noch massiv hapert, ist die Vermittlungsfähigkeit des HalliGalli. Unsere Motivationen sollten zwar in erster Linie uns selbst klar sein, aber um politisch etwas bzw. andere zu bewegen, müssen wir uns auch anderen erklären können, deutlich machen, dass Riots eben keine unpolitische Randale (was z. B. durch das Abfackeln des Privatbesitzes Unbeteiligter sehr erschwert wird) sind. Es ist nicht damit getan, dass wir wissen wie richtig Riots sind. Dies kann durch Texte, Flugis usw. geschehen, durch Diskussionen auf Plenas, im Freundes- und Bekanntenkreis, in Internetforen, aber auch z. B. durch Interviews für Medien nach großen Auseinandersetzungen. Und mindestens genauso wichtig ist der Ausbau unserer eigenen Medienstrukturen wie Indymedia und Freie Radios, Stadtteilzeitungen und Info-Hefte. In diesem Sinne:

Den NATO-Gipfel in Straßbourg und Baden-Baden zum Desaster machen!

Let´s start a riot!