2009-03-31 

Es ist die Ruhe vor dem Sturm

KEHL. Wer als ganz normaler Zaungast am Samstag in Kehl einen Blick auf die politische Weltprominenz werfen will, dürfte Pech haben. Die Passerelle, die prächtige Fußgänger- und Fahrradbrücke über den Rhein, wo am Morgen das Nato-Gipfel-Gruppenfoto stattfindet, wird großräumig abgeriegelt, ebenso die Transferstrecke von Baden-Baden nach Kehl und hernach von Kehl nach Straßburg.

Bild: Libertad!

Derzeit ist in Kehl noch alles ruhig, von zahlreichen patrouillierenden Polizeibeamten abgesehen.

Allmählich wird es Ernst in Kehl. Die Fuß- und Radwegbrücke (Passerelle oder auch Mimram-Brücke genannt) über den Rhein, auf dem am Samstag, gegen 8.30 Uhr, die 27 Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedsstatten sich fürs große "Familienfoto" positionieren werden, ist bereits geschlossen. Die deutschen Sicherheitsbehörden folgen damit dem französischen Beispiel: Als die Präfektur beschloss, den französischen Teil der Brücke bereits knapp eine Woche vor dem Gipfel zu schließen, habe man keinen Sinn darin gesehen, die deutsche Seite offen zu halten. Bereits zu Beginn der vergangenen Woche waren Teile des Rheinvorlands gesperrt worden.

Gleichwohl spürt man derzeit im "Garten der zwei Ufer", zur Landesgartenschau 2004 angelegt, einen massiven Gipfel-Tourismus. Ganz offensichtlich lockten am Sonntag nicht nur die ersten Frühlingsanzeichen die Menschen in großen Scharen auf die Passerelle, sondern auch die Bauwerke, welche für den Empfang errichtet wurden, den Bundeskanzlerin Angela Merkel den Staats- und Regierungschefs am Samstag bereiten möchte. Ungewöhnlich viele Spaziergänger waren mit Fotoapparaten unterwegs und nutzten die letzte Gelegenheit, den Glasbau und die Zelte von der Passerelle aus zu fotografieren. Überall in Kehl sind Polizeifahrzeuge allgegenwärtig, die Beamten sorgen mit hoher Präsenz dafür, dass kein Ausflügler die Absperrungen um die Gebäude durchbricht und im gesicherten Bereich spazieren geht. Auf dem Rhein ziehen Boote der Wasserschutzpolizei ihre Kreise, und nach Angaben eines aufmerksamen Polizeibeamten, der am Rhein Dienst tat, hätten zuletzt auch Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft und des Geheimdienstes CIA an der Brücke nach dem Rechten geschaut.

Derweil bereitet sich die Polizei auf die angekündigten Demonstrationen vor. Die erste ist der sogenannte "Pilgermarsch". Er formiert sich am Freitag um 12 Uhr und zieht vom Bahnhof in die Innenstadt. Die Polizei geht von etwa 200 friedlichen Demonstranten aus. Die zweite ist auf Samstag terminiert. Hier findet der um eine Woche vorverlegte traditionsreiche Ostermarsch statt, zu dem deutlich mehr Teilnehmer als sonst erwartet werden, nämlich 5000. Darunter sind auch etwa 1500 Teilnehmer der "Friedenslok", die am Samstag aus Richtung Münster im Kehler Bahnhof eintreffen wird. Weil die Kapazität des Marktplatzes zu klein und zudem mit gewaltbereiten Aktivisten zu rechnen sei, hat das Verwaltungsgericht Freiburg jetzt entschieden, dass die Kundgebung nicht in der City, sondern auf dem Festplatz "Läger" stattfinden müsse.

Den Demonstranten bleibe aber unbenommen, über die B 28 bis zur Europabrücke zu ziehen, um sich, wie es die Veranstalter planen, der Großdemonstration in Straßburg anzuschließen. Doch ob es so weit kommen wird, ist offener denn je. Laut Wolfgang Schoch von der im Kehler Rathaus vorübergehend eingerichteten Polizeipressestelle der Landespolizeidirektion hänge dies auch davon ab, ob die Demo friedlich verlaufen wird. Es könne durchaus sein, dass bei Gewalttätigkeiten die französischen Kollegen die Grenze auf dem Brückenscheitel dicht machen werden. Dann könnte die Brücke auch länger gesperrt bleiben als bislang vorgesehen (10.30 Uhr). Nach Lage der Dinge ist die B 28 ab Autobahn-Anschlussstelle bei Appenweier bis zur Brücke bereits ab 6 Uhr gesperrt; die Sperrung der B 28 bis Kehl soll gegen 10.30 Uhr wieder aufgehoben werden. Die Anreise nach Kehl mit dem Privat-Pkw – sollte es überhaupt gelingen – , wird an diesem Tag mit erheblichen Behinderungen verbunden sein.

Und was wird die Bevölkerung von den Obamas und Merkels, von den Sarkozys und Berlusconis mitbekommen? "Nichts", sagt Gerhard Zirker von der Polizei-Pressestelle. Davon abgesehen, dass die Prominenz sich am Samstagmorgen ohnehin nur für Minuten in Kehl aufhalten wird: Sie wird von Schaulustigen und Demonstranten weiträumig abgeschottet bleiben. Auch wer am Samstagvormittag die Brücken über die B 28 aufsuchen will, wird erfolglos bleiben. Sicherheitskräfte dürften Interessierte frühzeitig stoppen. So rät die Polizei allen, die "hautnah" dabei sein wollen, sich es lieber vor dem heimischen Fernseher gemütlich zu machen. Überhaupt sollte jeder, der sich nach Kehl begibt, den Kontakt zu gewaltbereiten Aktivisten meiden: Es könne sonst, so Gerhard Zirker, zu unvorhergesehenen Verwicklungen führen.

Viele Schaulustige fragen sich, ob sich Aufwand und Kosten für die Stippvisite der Staatsgäste lohnen, andere zeigen ihren Stolz, dass ein Teil der Geburtstagsfeier der Nato auch in Kehl stattfindet. Eine Frau meinte: "Meine Freunde können gar nicht glauben, dass Obama und die anderen alle in mein kleines Kaff kommen."